Kritik ist in der Politik angekommen

Festpreise für Grippeimpfstoffe im Visier

Berlin - 20.04.2018, 10:00 Uhr

Die Kritik an des Festpreisvereinbarungen für Grippeimpfstoffe reißt nicht ab. (Foto: imago)

Die Kritik an des Festpreisvereinbarungen für Grippeimpfstoffe reißt nicht ab. (Foto: imago)


Die Grippeimpfstoff-Vereinbarung im Nordosten Deutschlands hat Nachahmer gefunden. Auch in Sachsen-Anhalt setzen Kassen und Apotheker nun auf das Festpreismodell. Die Kritik an der Konstruktion lässt indessen nicht ab – und ist auch in der Politik angekommen.

Der Magdeburger Bundestagsabgeordnete Tino Sorge (CDU) hat sich in die Diskussion um die Grippeimpfstoffversorgung eingeschaltet: „Entgegen dem klaren Willen des Gesetzgebers setzen viele Krankenkassen ihre riskante Praxis fort, Verträge für die Impfstoffversorgung mit nur einem Hersteller auszuhandeln“, erklärt er in einer Pressemitteilung. „Das Risiko von Lieferengpässen nehmen sie dabei leichtfertig in Kauf.“ Seit Jahren sei bekannt, dass exklusive Verträge für die Impfstoffversorgung ein hohes Ausfallrisiko bergen, sollte der betreffende Hersteller nicht liefern können. Schließlich ist die Produktion von Impfstoffen aufwendig und benötigt Vorlauf. „Sie ist kurzfristig – beispielsweise während einer Grippesaison – kaum noch möglich“, so der Gesundheitspolitiker. Sorge fordert die gesetzlichen Krankenkassen daher auf, „von ihrer riskanten Praxis exklusiver Impfstoffverträge Abstand zu nehmen“. Er ist überzeugt: „Angesichts der soliden Finanzlage der GKV besteht keine Veranlassung, den kritischen Bereich der Impfstoffversorgung aus kurzfristigen Kostenerwägungen heraus zu gefährden“.

AOK und LAV Sachsen-Anhalt setzen auf Festpreis

Auslöser seiner Forderung ist, dass nun auch in Sachsen-Anhalt ein Festpreismodell für die Versorgung mit Grippeimpfstoffen vereinbart wurde. Und zwar nach dem Vorbild der Vereinbarung der AOK Nordost mit den Apothekerverbänden der Länder Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern.  Das heißt: Weder im Nordosten, noch in Sachsen-Anhalt hat die Kasse einen Vertrag mit einem Hersteller abgeschlossen. Vielmehr haben die regionalen AOKen federführend für alle Kassen mit den entsprechenden Landesapothekerverbänden Vereinbarungen getroffen. Das ist auch keinesfalls abwegig: Immerhin handelt es sich um Sprechstundenbedarf, und dort fallen Impfstoffe nicht unter die Arzneimittelpreisverordnung. 

Während Sachsen-Anhalt in den vergangenen Jahren auf klassische Ausschreibungen und Rabattverträge für Grippeimpfstoffe gesetzt hat, gibt es im Nordosten die Festpreisvereinbarung seit 2011. Danach bekommen die Apotheker von der Kasse einen fixen Betrag pro generisch verordneter Impfdosis. Je günstiger sie den Impfstoff besorgen können, desto höher ist ihre Marge. Bislang wurde dieses Vertragsmodell auch reibungslos umgesetzt. 2011 ist es vom Bundeskartellamt und dem Oberlandesgericht Düsseldorf vergaberechtlich geprüft und für zulässig befunden worden. Der Unterschied in der kommenden Saison ist, dass erstmals ein Festpreis für einen tetravalenten Impfstoff vereinbart wurde – und zwar in Höhe von 10,95 Euro. Und das ist aus Sicht der meisten Hersteller eines solchen Vierfach-Impfstoffs zu wenig. Lediglich Mylan hat mit einer Tochterfirma des Berliner Apotheker-Vereins eine Rahmenvereinbarung abgeschlossen, die Apotheken einen attraktiven Bezug ermöglicht.  

Kritik aus Industrie und Ärzteschaft

Der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie ist überzeugt: Diese Vertragskonstellation ist letztlich auch nichts anderes als ein quasi-exklusiver Rabattvertrag. Und eben diese Rabattverträge hatte der Gesetzgeber erst vor einem Jahr mit dem Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz (AMVSG) abgeschafft. Auch Kinder- und Jugendärzte hatten der AOK Nordost und den Apothekerverbänden vorgeworfen, die neue Gesetzeslage zu ignorieren. 

Die Ärztekammer Sachsen-Anhalt ist nun ebenfalls alarmiert: „Aus der seit Jahresbeginn grassierenden heftigsten Grippeepidemie seit 17 Jahren haben Krankenkassen offenbar keine Schlüsse gezogen. Vielmehr werden Verträge zu Niedrigpreisen geschlossen, so dass letztlich wohl nur ein einziger Hersteller in Frage kommt und damit Lieferengpässe provoziert werden. Was heute preiswert erscheint, kann uns erneut teuer zu stehen kommen“, mahnt Dr. Simone Heinemann-Meerz, Präsidentin der Ärztekammer Sachsen-Anhalt. Auch sie sieht hier praktisch eine Monopolstellung. „Im Fall von Lieferschwierigkeiten wird man nicht in der Lage sein, eine Ersatzversorgung sicherzustellen“, so die Kammerpräsidentin.

Die Kammerversammlung der Ärztekammer Sachsen-Anhalt fasste am 7. April eine Entschließung, in der sie fordert, „die Entscheidung über den Impfstoffeinsatz unabhängig von Festpreisregelungen ausschließlich uns Ärzten zu überlassen und potenziell versorgungsgefährdende Verträge bundesweit zu stornieren“. 

AOK: Vereinbarung mit Apothekern ist herstellerunabhängig

Die AOK Sachsen-Anhalt ist hingegen überzeugt, dass mit dem Vertrag die Impfstoff-Versorgung gesichert sei: „Mit dem Vertrag wird früher als sonst eine ‚Bestandsaufnahme‘ gemacht, wie viele Impfstoffe in der kommenden Saison benötigt werden. Die Hersteller wissen verbindlich, was benötigt wird“. Die Kasse glaubt auch nicht, dass sie gesetzliche Vorgaben umgeht: Mit dem AMVSG seien lediglich die exklusiven Ausschreibungen abgeschafft worden. Die Vereinbarung mit dem Landesapothekerverband gelte dagegen unabhängig von einem Hersteller. Der Arzt behalte seine Verordnungshoheit. Doch eine gewisse Einschränkung gibt es: „Grundsätzlich ist er gemäß der Sprechstundenbedarfsvereinbarung verpflichtet, wirtschaftliche Bezugsquellen bzw. -wege zu nutzen“, heißt es bei der AOK. Sollte er dennoch einen bestimmten Impfstoff eines am Markt befindlichen Herstellers namentlich verordnen, ist das grundsätzlich möglich.“ Nach Wahrnehmung der AOK reagieren die Ärzte in Sachsen-Anhalt bisher überwiegend positiv auf die neue Versorgungssituation. „Die offenen Fragen, die sich aus der Änderung des Verfahrens ergeben, können wir in Gesprächen regelmäßig ausräumen“.

Wird der Gesetzgeber torpediert?

Die Politik ist dennoch kritisch. Auch die Bundestagsabgeordnete Martina Stamm-Fibich, Berichterstatterin für das Thema Arzneimittel in der SPD-Fraktion, machte am gestrigen Donnerstagabend bei einer Diskussionsrunde von Pro Generika deutlich, dass ihr die Grippeimpfstoffvereinbarungen missfallen: „Es ist erschreckend, wie etwas, das sich der Gesetzgeber überlegt und sauber aufgeschrieben hat, am Ende torpediert wird“.

Vor einem Monat hat sich bereits die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion im Bundestag, Karin Maag, ähnlich geäußert. Sie sagte, wenn nach dem Gesetzgeber „geschrien“ werde, könnte man „Festpreise in diesem Bereich komplett verbieten oder alle vertraglichen Schlupflöcher grundsätzlich dicht machen.“ 

Wird Spahn in dieser Sache aktiv?

Man wird sehen, ob und wann Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in dieser Sache aktiv wird. Wie die gesundheitspolitische Sprecherin Sabine Dittmar der SPD am Montag angekündigt hat, soll in Kürze ein Vorschaltgesetz zur Wiederherstellung der paritätischen Finanzierung in der GKV eingebracht werden. Sie hatte auch zu verstehen gegeben, dass hier einige weitere Regelungen aufgenommen werden könnten. Ein sogenanntes Omnibusgesetz ist also zu erwarten.

Der Impfstoffhersteller und Mylan-Konkurrent Sanofi lässt die Zulässigkeit von Festpreisvereinbarungen indessen gerichtlich prüfen. Aus Sicht von Sanofi sind die vorangetriebenen Festpreismodelle rechtswidrig. Beim Sozialgericht Frankfurt hat das Unternehmen einen Antrag auf einstweilige Anordnung eingereicht. Darüber hinaus prüft auch das Bundeskartellamt die Vereinbarung aus dem Nordosten.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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