Überdosis 3-Bromopyruvat (3-BP)

Anklage gegen Heilpraktiker wegen Todesfällen

Karlsruhe - 13.04.2018, 11:00 Uhr

Die Staatsanwaltschaft klagt einen Heilpraktiker an, weil er mit einem unerprobten Mittel drei Menschen getöt haben soll. (Foto: Imago)

Die Staatsanwaltschaft klagt einen Heilpraktiker an, weil er mit einem unerprobten Mittel drei Menschen getöt haben soll. (Foto: Imago)


Der Fall erregte bundesweit Aufsehen: Im Sommer 2016 verstarben mehrere Krebspatienten kurz nach der Behandlung eines Heilpraktikers mit einem ungeprüften Mittel. Nach mehr als anderthalbjährigen Ermittlungen klagt ihn die Staatsanwaltschaft nun wegen fahrlässiger Tötung in drei Fällen an: Eine ungeeignete Waage soll zu tödlichen Überdosen der gefährlichen Substanz geführt haben.

Der im nordrhein-westfälischen Brüggen-Bracht tätige Heilpraktiker Klaus R. wird sich demnächst vor Gericht verantworten müssen: Er hatte Krebspatienten für hohe Summen alternativmedizinische Krebstherapien verabreicht, die laut seiner Auskunft viel besser als Chemotherapien seien. Doch mehrere Patienten, die ihm vertrauten, starben kurz nach der Behandlung. Die Staatsanwaltschaft Krefeld ermittelte seit Juli 2016 – und erhebt nun Anklage wegen des Vorwurfs fahrlässiger Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz in vier Fällen in Tateinheit mit dem Vorwurf der fahrlässigen Tötung in drei Fällen (Az. 3 Js 720/16).

Die Staatsanwaltschaft legt dem Beschuldigten zur Last, in seiner Praxis für vier Patienten „unter gröblicher Außerachtlassung der gebotenen und ihm zumutbaren Sorgfalt“ erheblich überdosierte Infusionslösungen mit dem Wirkstoff 3-Bromopyruvat (3-BP) hergestellt und intravenös verabreicht zu haben. Drei der Patienten verstarben später.

Ermittlungen mit niederländischen Behörden

Bislang hatte die Staatsanwaltschaft erklärt, es sei schwer, ursächliche Verbindungen zwischen der Gabe von 3-BP und den Todesfällen zu beweisen, weshalb auch neue Analysemethoden erarbeitet werden mussten. Die laut Pressemitteilung aufwendigen und in enger Kooperation mit den niederländischen Strafverfolgungsbehörden und verschiedenen rechtsmedizinischen in- und ausländischen Instituten geführten Ermittlungen führten zu einer vergleichsweise einfachen Erklärung: Der Beschuldigte habe bei der Zubereitung der Infusionslösungen eine ungeeignete Waage benutzt, weshalb es bei den geschädigten Patienten zu einer drei- bis sechsfachen Überdosierung gekommen sei. Dies habe den Tod verursacht, erklärt die Staatsanwaltschaft.

Der Heilpraktiker habe keinerlei Kontrollmechanismen vorgesehen oder geschaffen, um die von ihm eingewogene, auf das Körpergewicht und die Konstitution des Patienten individuell abgestimmte Dosierung des Wirkstoffs zu überprüfen. „Hierzu wäre er indes aufgrund des Umstandes, dass es sich jeweils um eine individuelle Dosierung und um eine Substanz handelte, welche auch nach den ihm bekannten Erkenntnissen sorgfältig dosiert werden musste, bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt verpflichtet gewesen“, argumentiert die Anklage.

Staatsanwalt: Wirksamkeit grundsätzlich nicht ausgeschlossen

Die Herstellung und die Verabreichung des noch nicht weitergehend oder gar abschließend erforschten Wirkstoffs 3-BP sei dem Beschuldigten im Rahmen seiner Tätigkeit als Heilpraktiker nicht grundsätzlich verboten gewesen, erklärt die Staatsanwaltschaft. Auch sei nach aufwendigen rechtsmedizinischen Untersuchungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Wirkung des Mittels davon auszugehen, dass grundsätzlich die Möglichkeit einer Wirksamkeit dieser Substanz gegen Krebserkrankungen nicht ausgeschlossen werden könne. „Allerdings ist bei ihrer Verabreichung eine besondere Sorgfalt erforderlich, weil bereits eine geringe Überdosierung zu erheblichen und potentiell letalen Nebenwirkungen führen kann“, erklärt die Staatsanwaltschaft.

Gehirnzellen sterben ab

Nach ihren medizinischen Feststellungen durchbreche die Substanz bei Dosierungen über dem 4,5-fachen der therapeutischen möglicherweise wirksamen Menge die Blut-Hirn-Schranke und wirke unmittelbar im menschlichen Gehirn. 3-Bromopyruvat greife dabei den Zellstoffwechsel und die Zellatmung an, wodurch Gehirnzellen abstürben. „Diese Wirkungsmechanismen und die sich daraus ergebenden organischen Folgen sind auch rechtsmedizinisch nachweisbar todesursächlich bei den drei verstorbenen Patienten gewesen“, heißt es von Seiten der Anklage.

Obwohl R. die ungeeignete Waage seit April 2016 verwendet hatte, haben die Ermittlungen keine Hinweise auf vergleichbare Fälle bei anderen Patienten ergeben. Daher bestünde kein Anlass zur Annahme, dass weitere Patienten des Beschuldigten durch eine Überdosierung des Wirkstoffs 3-BP gesundheitlichen Schaden genommen haben könnten, erklärt die Staatsanwaltschaft. Der Abschluss der Ermittlungen schaffe daher nicht nur für die Angehörigen der verstorbenen Patienten Klarheit: Er beende auch die Verunsicherung, die sich aus den zu Beginn der Ermittlungen erhobenen Spekulationen für die zahlreichen anderen ehemaligen Patienten des Beschuldigten ergeben habe.

Ist 3-BP rezeptpflichtig?

Unklarheiten gab es zur Frage, inwiefern 3-BP rezeptpflichtig ist: Das BfArM hatte im Nachgang des Falls erklärt, dass es nach seiner Einschätzung Rezeptpflichtig ist. Die Staatsanwaltschaft verwies aber auf Einschätzungen von lokalen Gesundheitsbehörden, nach derer Ansicht der Heilpraktiker zum Zeitpunkt der Anwendung davon hätte ausgehen können, dass er das Mittel verabreichen darf – obwohl Heilpraktikern die Verordnung und Anwendung rezeptpflichtiger Substanzen verboten ist.

Trotz der schweren Vorwürfe durfte R. während der langen Ermittlungen weiterhin seinen Beruf ausüben. Manche Kreise hatten ihm dies zwar zunächst untersagt – doch solange seine Zulassung nicht widerrufen ist, dürfte ihm die Tätigkeit nicht verboten werden, urteilte das Verwaltungsgericht Düsseldorf. Anders als bei Apothekern und Ärzten ist ein Ruhen der Zulassung von Heilpraktikern gesetzlich bislang nicht vorgesehen. Doch mit Anklageeröffnung ergibt sich für den zuständigen Kreis Krefeld nun die Möglichkeit, gegebenenfalls die Zulassung zurückzunehmen. Dies werde in den nächsten Tagen geprüft, erklärte die zuständige Beamtin DAZ.online.

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Patientenschützer und Gesundheitsexperten hatten angesichts des Falles Gesetzesänderungen gefordert. „Es kann nicht sein, dass ein Klempner oder eine Pommesbude stärker unter Aufsicht der Behörden steht, als ein medizinischer Dienstleister“, kritisierte Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Der Deutsche Ärztetag hat vergangenes Jahr ein Verbot invasiver Tätigkeiten sowie der Krebsbehandlung gefordert, eine Gruppe von Experten sogar eine Abschaffung des Berufsstands als sinnvoll erachtet. Auch ein Antrag an die im Mai tagende Konferenz der Landesgesundheitsbehörden sieht eine „zwingende Reformbedürftigkeit“ des Heilpraktikerwesens.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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