Lieferengpass bei Bayer

Aspirin i.v. fehlt erneut – ist es wirklich unverzichtbar bei Herzinfarkt?

Stuttgart - 19.03.2018, 15:30 Uhr

Mangelware in deutschen Krankenhäusern: Bayer liefert Aspirin i.v. nur kontingentiert. Ist die Patientenversorgung bedroht? (Foto: privat)

Mangelware in deutschen Krankenhäusern: Bayer liefert Aspirin i.v. nur kontingentiert. Ist die Patientenversorgung bedroht? (Foto: privat)


Bayer gesteht Lieferschwierigkeiten bei intravenösem Aspirin. Der Pharmakonzern ist der einzige Hersteller in Deutschland. Ärzte setzen parenterale ASS bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom ein – doch ist das Arzneimittel beim Notfall des Myokardinfarkts wirklich nicht zu ersetzen? DAZ.online hat mit Bayer und einer Krankenhausapothekerin gesprochen.

„Bayer ist bei Aspirin® i.v. eingeschränkt lieferfähig. Die Patientenversorgung ist gewährleistet“, erklärt eine Sprecherin von Bayer – dem Konzern, der hinter dem wohl mit prominentesten Arzneimittel Deutschlands steckt: Aspirin®. Die meisten Patienten kennen den Klassiker aus der Apotheke gegen „Kopfschmerzen“ als Tablette, Granulat oder Brausetablette. In der analgetischen Indikation bestreitet Bayer längst nicht mehr als Monopolist den Arzneimittelmarkt, zahlreiche preisgünstige Generika bestücken die Sichtwahl bei ASS in der Offizin und stehen direkt neben den altvertrauten grünen Bayer-Packungen. Auch die Indikation der Thrombozytenaggregationshemmung, unter anderem bei akutem Myokardinfarkt oder instabiler Angina pectoris, teilt sich Bayer seit Jahren mit zahlreichen Generika-Anbietern wie Ratiopharm oder Hexal.

Mehr zum Lieferengpass bei Aspirin

Qualitätsbedingter Ausfall 

Engpass bei Aspirin i.v.

Bereits 2017: Bayer kämpfte mit Lieferengpass bei Aspirin® i.v. 

Anders sieht es beim exotischeren Aspirin® i.v. aus: Hier beherrscht der Pharmakonzern aus Leverkusen tatsächlich noch alleine den deutschen Arzneimittelmarkt – generell gut für Bayer, aktuell eher schlecht für die Patienten. Bayer kämpft derzeit erneut mit Lieferschwierigkeiten bei Aspirin® i.v.. Der SPIEGEL berichtete darüber. „Erneut“ deswegen, da Bayer bereits im vergangenen Jahr Lieferschwierigkeiten bei intravenösem Aspirin® einräumen musste. Das parenterale Aspirin® setzen Ärzte unter anderem initial zur effektiven Thrombozytenaggregationshemmung beim akuten Koronarsyndrom ein – also bei STEMI- (ST-Streckenhebungsinfarkt) beziehungsweise NSTEMI- (Infarkt ohne ST-Streckenhebung) Myokardinfarkten und instabiler Angina pectoris.

Qualität stimmt nicht bei Aspirin® i.v.

DAZ.online hat mit Bayer gesprochen – zu Gründen und voraussichtlicher Dauer des Engpasses. „Wir haben die gleiche Situation wie letztes Jahr“, gesteht die Bayer-Sprecherin. So hätten einige „qualitätsbedingte Ausfälle“ zu dem Engpass geführt, welche genauen „qualitätsbedingten Ausfälle“ – das konkretisiert der Konzern nicht näher. Bayer hat aus den letztjährigen Schwierigkeiten wohl nicht gelernt, doch offenbar will das Unternehmen das nun ändern.

„Das Qualitätsproblem wirkt sich längerfristig aus, deshalb können wir ein konkretes Datum für eine wieder vollumfängliche Lieferung derzeit nicht beziffern“. Und weiter: „Wir sind an einer nachhaltigen Lösung interessiert". Wie stellt sich Bayer diese vor?

Komplizierter Wirkstoff und Bayers Pläne für die Zukunft von Aspirin i.v.

Der Wirkstoff in Aspirin i.v. heißt D,L-Lysinacetylsalicylat Glycin (LASAG). Und hierin liegt wohl auch das Problem. Lysinacetylsalicylat Glycin ist laut Aussage von Bayer nicht gänzlich unkompliziert in der Herstellung. „Die flüssige Darreichungsform ist komplex", erklärt die Sprecherin. Bayers Wirkstoffhersteller ist in Frankreich ansässig, man sei hier sensibilisiert für das Probelm und in regem Austausch. Bayer denke derzeit auch über eine Kapazitätserweiterung nach. Jedoch: „Es gibt keine Übernacht-Lösung". Das bedarf langfiristiger Schritte und hilft aktuell wenig.

Bei Myokardinfarkt: Funktionieren auch Aspirin-Tabletten?

Eine völlige Lieferunfähigkeit dementiert Bayer, man liefere „bedarfsgerecht“. Das bestätigt auch ein Klinikum der Maximalversorgung aus Baden-Württemberg: „Wir erhalten kontingentierte Ware“, erklärt eine Apothekerin auf Nachfrage von DAZ.online. Anders als Bayer haben Ärzte und Apotheker jedoch ganz offensichtlich aus den Versorgungsschwierigkeiten in 2017 ihre Konsequenz gezogen.

Klinikapotheke zum Bayer-Engpass: Aspirin® i.v.-Verbrauch sinkt

„Seit dem letztem Lieferengpass sind die Verbräuche an Aspirin i.v. extrem zurückgegangen“, so die Apothekerin. Warum? Viele Ärzte hätten die ASS-Versorgung der Patienten mit einem akuten Koronarsyndrom auf die orale Gabe umgestellt. „Der Rettungsdienst verabreicht Granulat, da man dafür kein Wasser braucht“, erklärte die Apothekerin. Doch ist das überhaupt möglich, effektiv und erlaubt – eine orale Gabe von ASS bei Herzinfarktpatienten?

Bayer: Perorale Gabe von ASS „Erstlinientherapie"

Das ist in der Tat so. Mehr noch: „Die schnellstmögliche Verabreichung von ASS (oral oder intravenös bei Schluckproblemen) wird für alle Patienten ohne Kontraindikationen empfohlen“, schreibt die aktuelle Leitlinie der European Society of Cardiology (ESC) zur „Therapie des akuten Herzinfarktes bei Patienten mit ST-Streckenhebung (STEMI)“.

Das betont auch die Bayer-Sprecherin: „Die orale Form ist die Erstlinientherapie, nur wenn Patienten diese nicht schlucken können, ist die intravenöse Applikation angezeigt“, konkretisiert sie. Die Möglichkeit der Gabe ASS peroral oder intravenöse gilt sowohl für STEMI-Patienten, die sich einer PCI (Perkutane Koronarintervention) unterziehen, als auch für jene, die lysiert werden, da eine primäre PCI nicht rechtzeitig angeboten werden kann. Eine PCI ist die Therapie der ersten Wahl bei STEMI, einem transmuralen Infarkt.

Welche intravenösen Alternativen gibt es zu Aspirin® i.v.?

Nur: Wie sieht es mit der Wirksamkeit aus, peroral versus intravenös? Man muss nicht in Pharmakologie promoviert haben, um zu erkennen, dass zwischen diesen Darreichungsformen pharmakokinetische Unterschiede bestehen. Die orale Bioverfügbarkeit liegt mitnichten bei 100 Prozent, und bis zum Wirkeintritt dauert es länger als bei einer unmittelbaren intravenösen Gabe. Das gesteht auch Bayer ein: „Es ist richtig: Die intravenöse Gabe von Aspirin® ist schneller und vollständiger als die orale Tablette“. Die Bayer-Sprecherin betont noch eine weitere Besonderheit bei Aspirin® i.v.: „Aspirin® i.v. vertreibt Bayer europaweit ausschließlich in Deutschland. Andere europäische Länder haben diese Aspirin-Version nicht im Markt". Nach Ansicht von Bayer – auch wenn Aspirin i.v. fraglos „ein wichtiges Präparat in der Notfallversorgung des akuten Koronarsyndroms ist“ – kommt es vor allem darauf an, dass diese Patienten schnellstmöglich in eine Klinik und ein Katheterlabor kommen. Das zähle auch zur Notfallversorgung.

Frankreich, Italien Schweiz: Aspegic® und Flectadol® i.v. 

Auch wenn Bayer in Deutschland das Monopol an intravenöser Acetylsalicylsäure hält und europaweit nur in der Bundesrepublik vertreibt, ganz allein ist Bayer mit parenteraler ASS doch nicht. Auch andere europäische Länder – Frankreich, Schweiz, Italien – versorgen Patienten mit parenteraler ASS. Aspégic Inject® 0,5 g vertreibt Sanofi Aventis in der Schweiz. Auch in Frankreich steckt Sanofi hinter Aspegic® injectable 500 mg und Aspegic® injectable 1 g. Das italienische Pendant nennt Sanofi Aventis Flectadol®. § 73 Arzneimittelgesetz erlaubt den Import von Arzneimitteln in bestimmten Sonderfällen: „Fertigarzneimittel, die zur Anwendung bei Menschen bestimmt sind und nicht zum Verkehr im Geltungsbereich dieses Gesetzes zugelassen ... sind, in den Geltungsbereich dieses Gesetzes verbracht werden, wenn ... wenn sie in angemessenem Umfang, der zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Versorgung der Patienten des Krankenhauses notwendig ist, zum Zwecke der vorübergehenden Bevorratung von einer Krankenhausapotheke oder krankenhausversorgenden Apotheke".

Nach Informationen von DAZ.online haben jedoch alle drei ausländischen Arzneimittel keine Zulassung zur Therapie des akuten Koronarsyndroms.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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