Mögliche EU-Richtlinie

Bundestag rügt EU-Kommission wegen europäischer Nutzenbewertung

Berlin - 13.03.2018, 14:20 Uhr

Der Deutsche Bundestag sendet eine Subsidiaritätsrüge an die EU-Kommission, weil diese die Nutzenbewertungen für Arzneimittel vereinheitlichen will. (Foto: Imago)

Der Deutsche Bundestag sendet eine Subsidiaritätsrüge an die EU-Kommission, weil diese die Nutzenbewertungen für Arzneimittel vereinheitlichen will. (Foto: Imago)


Gleich zu Beginn entschließt sich die neue Große Koalition in der Gesundheitspolitik zu einem wegweisenden Schritt. Nach Informationen von DAZ.online wollen die Regierungsfraktionen im Bundestag eine sogenannte Subsidiaritätsrüge an die EU-Kommission schicken. Die Große Koalition wehrt sich damit gegen den Vorstoß der EU, die Nutzenbewertungen von Arzneimitteln und Medizinprodukten in Europa zu vereinheitlichen.

Das EU-Kommissariat für Gesundheit hatte Ende Januar einen Aufschlag gemacht, der sich gewaschen hatte. Nicht etwa in einer Pressemitteilung, sondern gleich in einem Richtlinien-Entwurf hatte die Kommission vorgeschlagen, alle Nutzenbewertungssysteme für Arzneimittel und Medizinprodukte in den EU-Mitgliedsstaaten gleichzustellen. Dem EU-Vorschlag zufolge sollen künftig Experten aus allen Staaten in einer Koordinierungsgruppe zusammenkommen, um über den Zusatznutzen von Arzneimitteln und Medizinprodukten zu entscheiden.

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Besonders brisant ist der Entwurf, weil die Entscheidungen dieser Gruppe für alle EU-Staaten bindend sein sollen. Die hierzulande erst 2011 mit dem Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) etablierte frühe Nutzenbewertung wäre somit obsolet. Staaten, in denen es noch gar keine Arzneimittel-Nutzenbewertungen gibt, würden sicherlich von einer solchen Regelung profitieren. In Ländern, in denen eine wissenschaftliche Bewertung des Mehrwertes neuer Arzneimittel bereits institutionell erfolgt – wie etwa in Deutschland – würde dies große Umstellungen nach sich ziehen. Insbesondere die Krankenkassen hatten sich auch aus diesem Grund vehement gegen den Vorstoß gestellt.

Die EU-Kommission hatte bei der Vorstellung des Entwurfes zwar betont, dass die neue Gruppe in erster Linie die Wirksamkeit und Sicherheit von Arzneimitteln beurteilen soll. Preisgestaltung und Erstattungsfragen sollen demnach aber nach wie vor in den Mitgliedsländern entschieden werden dürfen. Aber auch dieser Hinweis hat offenbar nicht ausgereicht, um die deutsche Gesundheitspolitik zu besänftigen. Schon in der vergangenen Woche hatte die neue gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Karin Maag, im Interview mit DAZ.online erklärt, dass sie über eine sogenannte Subsidiaritätsrüge nachdenke. Mit solchen Rügen können sich die Nationalstaaten in noch laufende EU-Gesetzgebungsverfahren einmischen und sich über eine Verletzung des Subsidiaritätsprinzips beschweren.

Beschweren sich auch andere Länder?

Maag hatte betont, dass ihr das nicht leichtfalle. Schließlich wolle sie als eine ihrer ersten Amtshandlungen nicht gleich eine solche Rüge nach Brüssel schicken. Doch offenbar sind sich die Koalitionäre nun einig: Noch in dieser Woche wollen Union und SPD über ein gemeinsames Vorgehen abstimmen. Die Zeit drängt hier etwas, denn nach Informationen von DAZ.online verstreicht die Frist, innerhalb derer man die Rüge bei der Kommission eingereicht haben muss, in den ersten Apriltagen.

Wie aus den Regierungskoalitionen zu hören war, planen Union und SPD derzeit noch, weitere Bundestagsfraktionen in die Rüge einzubinden, um die politische Wirkung zu verstärken. Dem Vernehmen nach geht es der neuen Großen Koalition allerdings nicht um eine vollständige Streichung der europäischen Nutzenbewertung. Die Fraktionen wollen lediglich erreichen, dass die EU-Kommission ihren Entwurf überarbeitet. Insbesondere stören sich Union und SPD daran, dass die Beschlüsse der EU-Koordinierungsgruppe bindend sein sollen.

Ob die Rüge vom Bundestag überhaupt etwas bewirkt, steht allerdings noch in den Sternen. Denn die Rüge eines einzelnen EU-Mitglieds löst in der EU wenig aus. Erst wenn ein Drittel aller Mitglieder sich per Rüge beschwert, muss die Kommission ihr Vorhaben überprüfen. Diesen Vorgang nennt man innerhalb der EU auch eine „gelbe Karte“. Und ob neben Deutschland überhaupt noch weitere Parlamente eine Rüge einreichen, ist derzeit noch unklar.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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