OTC-Switch, Pille danach

Frauenärzte geben Apothekern Mitschuld an Zunahme der Schwangerschaftsabbrüche

Stuttgart - 08.03.2018, 13:15 Uhr

Nach Ansicht der Frauenärzte wurden die Apotheker durch ihre eigene Standesorganisation ungenügend auf die anspruchsvolle Beratung zur Notfallkontrazeption vorbereitet (Foto: westend / stock.adobe.com)

Nach Ansicht der Frauenärzte wurden die Apotheker durch ihre eigene Standesorganisation ungenügend auf die anspruchsvolle Beratung zur Notfallkontrazeption vorbereitet (Foto: westend / stock.adobe.com)


Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche ist 2017 gegenüber 2016 gestiegen – um 2,5 Prozent. Die Frauenärzte machen in einer Pressemitteilung zwei Faktoren dafür verantwortlich. Einmal die massive Medienkritik an der hormonellen Verhütung, die Frauen dazu bringe, leichtfertig mit Zyklus-Apps zu verhüten. Zum anderen sehen die Frauenärzte einen Zusammenhang mit dem OTC-Switch der „Pille danach“ und der damit verbundenen unzureichenden Beratung in der Apotheke. 

Die Frauenärzte schlagen Alarm. Sie sprechen von einer „alarmierenden Zunahme von Schwangerschaftsabbrüchen“. Tatsächlich haben diese im Jahr 2017 im Vergleich zum Vorjahr um 2,5 Prozent zugenommen. In absoluten Zahlen ist das eine zusätzlich Abtreibung pro 10.000 Frauen – nämlich 57 im Jahr 2016 und 58 im Jahr 2017. Insgesamt gab es 2016 98.721 und 2017 101.209 Schwangerschaftsabbrüche. Die Frauenärzte beziehungsweise ihr Berufsverband, der dazu eine Pressemitteilung herausgegeben hat, halten es für naheliegend, dass das mit zwei Ereignissen aus dem Jahr 2015 zusammenhängt.

Da wäre zum einen der OTC-Switch der „Pille danach“, seit dem die Notfallkontrazeptiva ohne Rezept in der Apotheke erhältlich sind. „Wir haben von Anfang an darauf hingewiesen, dass die Apotheker durch ihre eigene Standesorganisation ungenügend auf diese anspruchsvolle Beratung vorbereitet wurden, und das zu einer Zunahme unerwünschter Schwangerschaften führen könnte“, erläutert Dr. med. Christian Albring, Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte. Eine ähnliche Steigerung hat es übrigens auch von 2016 auf 2017 gegeben. Für Albring ein weiterer, möglicher Beweis für eine Zusammenhang. Er geht davon aus, dass der neue Bundesgesundheitsminister die Qualität der Apothekenberatung kritisch überprüfen wird, schließlich habe das Bundesgesundheitsministerium im Zuge der Rezeptfreigabe der „Pille danach“ eine Evaluation dieses Prozesses angekündigt. 

Die „Pille“ ist in Verruf geraten

Der andere Grund, der nach Ansicht der Frauenärzte zum Anstieg der Zahl der Schwangerschaftsabbrüche geführt hat, ist, dass im besagten Jahr 2015 ein Prozess gegen Bayer begonnen hatte. Eine junge Frau hatte unter hormoneller Verhütung eine Lungenembolie erlitten und war der Auffassung, dass die Herstellerfirma ihrer Informationspflicht auf dem Beipackzettel nicht ausreichend nachgekommen war. Danach häuften sich die negativen Schlagzeilen zur hormonellen Verhütung in den Medien, neben dem Thromboembolie-Risiko ging es beispielsweise auch um Depressionen, die durch die „Pille“ verursacht werden können und die zu leichtfertige Verordnung von „Pillen“ mit unklarem Risiko. Anscheinend hat das dazu geführt, dass einige Frauen angefangen haben, ihre Verhütungsmethode zu überdenken. 


Schwangerschaftsabbrüche je 10.000 Frauen; blau: vor dem OTC-Switch der „Pille danach“ ; rot: nach dem OTC-Switch; Basis: Zensus 2011; Berechnung für 2017 vorläufig. 

 „Verhütungs-Apps Frauen führen geradewegs in unerwünschte Schwangerschaften“

Laut dem Berufsverband ging der Verkauf der hormonellen Kontrazeptiva um 4 Prozent zurück – nur etwa die Hälfte sei auf den demographischen Wandel zurückzuführen, heißt es. Aber wie verhüten die Frauen stattdessen? Die Frauenärzte befürchten, dass sich in vielen Fällen leichtfertig auf Apps verlassen wird. So erklärt Albring: „Sich in die Prinzipien einer hormonfreien, natürlichen Verhütung einzuarbeiten braucht einiges an Zeit und Sorgfalt. Wir fürchten, dass viele Frauen denken, sie könnten sich das erleichtern, indem sie eine Zyklus-App zur Verhütung verwenden. Die meisten Zyklus-Apps legen aber unzureichende Berechnungen zugrunde, um die fruchtbaren und unfruchtbaren Tage voneinander zu unterscheiden, auch solche, die sich selbst bescheinigen, so sicher zu sein wie die Pille. Es steht zu befürchten, dass die meisten Verhütungs-Apps Frauen geradewegs in unerwünschte Schwangerschaften führen."

Kommentar

auch drei Jahre nach der Entlassung der „Pille danach“ aus der Rezeptpflicht können die Frauenärzte es nicht lassen, bei jeder sich bietenden Gelegenheit gegen die Apotheker und ihre Beratungskompetenz zu stänkern. 

Julia Borsch, Chefredakteurin DAZ.online

Sind wir doch mal ganz ehrlich: Der größte Einnahmefehler, den man vermutlich bei der „Pille danach“ machen kann, ist, sie nicht zu nehmen. Warum dann eine leichtere Verfügbarkeit zu mehr ungewollten Schwangerschaften führen sollte, erscheint nicht ganz plausibel. Auch der Blick in die Statistik unterstützt die Argumentation der Frauenärzte nicht wirklich. So war die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche pro 10.000 Frauen über Jahre hinweg rückläufig und erreichte in den Jahren 2014 und 2015 ein vorläufiges Minimum von 56. In den Jahren 2010 bis 2012 zum Beispiel lag sie aber über dem Niveau von 2017, und da war die „Pille danach“ noch allein in ärztlicher Hand.

Daher scheint die zweite Erklärung der Gynäkologen wahrscheinlicher: Dass die negative Berichterstattung über hormonelle Kontrazeptiva dazu geführt hat, dass aktuell mehr Frauen als noch vor ein paar Jahren deren Einnahme kritisch hinterfragen. In der Folge greifen sie zu „natürlichen“ Verhütungsmethoden. Die erfordern aber ein hohes Maß an Wissen über den eigenen Körper und viel Sorgfalt und Disziplin. Mit einer App alleine ist es da nicht getan. Wenn sich aber in vielen Fällen darauf verlassen wird, braucht man kein großer Prophet zu sein, um vorauszusagen, dass das schief geht.

Hapert es an der Beratung zu natürlichen Methoden?

Mit natürlichen Verhütungsmethoden, also ohne Hormone, ohne Kupfer in ihrem Körper und ohne Barrieremethoden, kann tatsächlich eine Sicherheit erreicht werden, die ähnlich hoch ist wie die der Pille oder Spirale. Das erfordert aber Sorgfalt und Disziplin. Eine App kann hier lediglich als Unterstützung dienen, darauf weisen die Frauenärzte in ihrer Mitteilung auch hin. Sie schreiben: 


„Wenn eine Frau tatsächlich ohne Hormone, ohne Kupfer in ihrem Körper und ohne Barrieremethoden verhüten will und dabei eine Zuverlässigkeit erwartet, die so hoch ist wie bei Pille und Spirale, dann muss sie sich Zeit nehmen. Sie muss ihren Zyklus und ihren Körper kennenlernen, sich in die Methoden der natürlichen Verhütung einschließlich Messung der Körpertemperatur und Beobachtung des Schleims aus dem Gebärmutterhals einarbeiten und danach entscheiden, ob das für sie und ihren Partner ein geeigneter Weg sein kann. Statt ihre Beobachtungen über die Monate mit Stift und Papier festzuhalten, kann sie dann eine geeignete App verwenden. Aber keine App kann diese notwendige Selbstbeobachtung ersetzen, weil es immer notwendig ist, Stress, Action oder Unvorhergesehenes im normalen Zyklusablauf zu berücksichtigen.“


Im Vorfeld bedarf es natürlich einer entsprechenden Beratung. Laut Berufsverband wären um eine Frau in die natürliche Verhütung einzuführen inklusive der obligatorischen Beobachtung des Zervixschleims zwei, drei oder mehr Schulungstermine notwendig. So sehe es etwa das Sensiplan-Programm, ein Programm zur natürlichen Familienplanung (NFP), vor, heißt es. Die NFP-Beraterinnen von Sensiplan nehmen dafür 180 Euro. Die GKV hingegen zahle 11 Euro für die Beratung zur Verhütung, das zeige wie das Thema dort bewertet wird. 

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Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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7 Kommentare

Sachlich bleiben

von Reinhard Rodiger am 10.03.2018 um 1:07 Uhr

Auch deutschen Gynäkologen müsste bekannt sein, dass in Schweden und UK nach Freigabe der "morning-after"-Pill die Schwangerschaftsabbrüche gestiegen sind.Dies wurde aber der unvollständigen Verhütungspraxis zugeordnet und als Tatsache bedauert.Dies gilt vor allem, weil ja die Verordner
die Beratung/Information bestimmen.
Deshalb bedarf es keiner Ablenkungsdiskussion um Formalien, sondern gezielter Abwehr. Diese sollte sich aber nicht mit
Beratungserörterungen, sondern mit Fakten aus der Erfahrung anderer Länder beschäftigen.Inhaltliche Debatte ist gefragt.

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Abtreibung?

von Magda Lena am 09.03.2018 um 10:13 Uhr

Als ich mal an eine Blak Schulung von Frauenarzt teilgenommen habe, hab ich gehört dass die Pille auf keinem Fall zu Abtreibung führt weil es verzögert nur um paar Tage das Ovulation. Falls Schwangerschaft ist schon vor Einnahme entstanden dann ist Pille hat schon keinen Einfluss darauf und ist egal ob man es schluckt oder nicht.das sage ich immer auch die Kundinnen dass es nicht so 100% sicher ist mit der Pille nicht schwanger zu sein.
Andere Sache ist Wissenszustand der Kundinnen über ihr Zyklus. Viele wissen nicht die prinzipielle Sachen und oft es ist schwer zu beraten wenn die Kenntnis über den ersten Tag der Periode Null ist.

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Keinerlei praktische Kompetenz der Abgabe in Apotheke

von Ratatosk am 09.03.2018 um 8:42 Uhr

Ein zusätzliche, sehr einfache Möglichkeit die Pille danach zu erhalten, ist ein Maßnahme gegen dann nötige ?! Abtreibungen. Darüberhinaus werden die Frauen auch dahingehend beraten zum Frauenarzt zu gehen und sich dort weiter beraten zu lassen - das heißt mehr Geld für Frauenärzte. Hier hat jemand leider gar nichts verstanden. Methodisch 2 Ursachen anzuführen und diese nicht mal abzuschätzen zeigt auch völliges Unverständnis wissenschaftlich statistischer Methoden. Es wäre hier auch möglich daß die eine Methode die negativen Folgen der andern weit überwiegt, da es ja nicht simple additive Faktoren sein müssen. Mann o man - so was leitet einen Verband ?

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Notfall

von Sven Larisch am 09.03.2018 um 8:22 Uhr

Die meisten "Pille danach" gebe ich im Notdienst ab und berate nach den BAK Richtlinie.
Alleine das letzte mal 20 Stück! (finde ich viel- im Vergleich zu normalen Öffnungszeiten).
Die meisten Frauen verstehen auch den Sinn.
Nur wenige wollen gar keine Angaben machen und bei denen frage ich mich, ob sie denn zum Frauenarzt gehen würden.
Jede meiner Beratungen endet mit dem Satz " Falls etwas ungewöhnlich ist, besonders bei der nächsten Periode, gehen Sie zum Frauenarzt".
Ach ja- was bekommt ein Frauenarzt für seine Beratung?

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Fake-News vom Albrich

von Andreas P. Schenkel am 08.03.2018 um 19:57 Uhr

So langsam glaube ich, der Albrich hat den Überblick verloren. Mal veröffentlicht sein Verband, die Apotheken gäben zu oft die "Pille danach" ab, auch wenn es gar nicht nötig sei. Dann behauptet er, es könne einen Zusammenhang zwischen mehr Schwangerschaftsabbrüchen und dem OTC-Switch geben. Den Widerspruch hier scheint er nicht zu bemerken, aber das glaube ich ihm nicht: Er greift absichtlich zur üblen Nachrede. So langsam sollte eine Kammer mal dem Herrn eine saftige Unterlassungserklärung durch den Kammerjustiziar zukommen lassen, es wird sich ja sicherlich herausfinden lassen, wo der saubere Fake-News-Fabrikant residiert!

Wie einfach ein Kausalzusammenhang zwischen OTC-Notafflkontrazeptivum und Schwangerschaftsabbrüchen-Anstieg zu widerlegen ist, zeigt anschaulich der Kommentar von Frau Borsch. Und wer bei der Beratung zu natürlichen Verhütungsmethoden in der Pflicht wäre, ist ja klar: Der Herr Albrich und seine Kollegen.

Also, Herr Albrich: Lieber künftige keine halbgaren, unlogischen und für Sie hochpeinlichen Pressestatements mehr machen und stattdessen Ihrer ureigenen Pflicht, dem Dienst am Patienten fortan gewissenhaft nachkommen!

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Frauenärzte

von Florian Becker am 08.03.2018 um 17:44 Uhr

Der Herr Albring ist sich offensichtlich nicht zu schade, sich lächerlich zu machen, mit seiner Anti-Apotheken-Kampagne.
Zur Erreichbarkeit der Gynäkologen im Notfall hat Kollege Bauer schon alles gesagt.
Ich erinnere mich noch gut an die Zeit VOR dem OTC-Switch. Verordnungen von Gynäkologen waren da deutlich in der Unterzahl.
Meistens kamen die vom Hausarzt, im Notdienst häufig vom Orthopäden, der vorher in der Apotheke anrief, um zu fragen "was er da eigentlich jetzt aufschreiben muss".
Vielleicht sollte sich Albring doch mal überlegen, von seinem hohen Ross abzusteigen..

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Beratung durch Frauenärzte??

von Peter Bauer am 08.03.2018 um 14:26 Uhr

Kaum eine Patientin kommt ohne langwierige Terminvereinbarung zum Frauenarzt durch!Meistens(!!) "berät" seine Sprechstundenhilfe.Ich dränge mittlerweile jede Patientin darauf ,hart zu bleiben und den Frauenarzt zu verlangen.Also mit speziell zum Thema Beratung sollten gerade Frauenärzte eher ganz zurückhaltend sein,weil ihre Sprechstundenhilfen in jedem Fall erstmal Kadefungin "verordnen".Ausserdem sind die Sprechzeiten von Frauenärzten und deren Erreichbarkeit nicht gerade so uppig um eine Notfallversorgungsnetz alla "Pille danach" zu gewährleisten.

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