Aktuelles Urteil des Europäischen Gerichtshofs

EuGH besinnt sich auf altbekannte Prinzipien

Berlin - 05.03.2018, 18:10 Uhr

In Rumänien ist der Einzelvertrieb von Tierarzneimitteln Veterinär-Apotheken vorbehalten, die von Tierärzten betrieben werden. (Foto: Photographee.eu / stock.adobe.com)

In Rumänien ist der Einzelvertrieb von Tierarzneimitteln Veterinär-Apotheken vorbehalten, die von Tierärzten betrieben werden. (Foto: Photographee.eu / stock.adobe.com)


Der Europäische Gerichtshof hat sich erneut mit der Frage befasst, wie weit nationale Regelungen zum Schutz der Gesundheit gehen dürfen, um nicht mit dem Europarecht zu kollidieren. Diesmal ging es um Regelungen für Tierärzte im Rumänien. Nach dortigem Recht sind allein Veterinäre berechtigt, Tierarzneimittel im Einzelhandel zu vertreiben. Die Dritte Kammer des Gerichtshofs hielt dies für europarechtskonform. Das Urteil kann Apotheker wehmütig stimmen. Denn die Kammer legte beim Gesundheitsschutz wieder Maßstäbe an, wie man sie vor dem Urteil zur Rx-Preisbindung kannte.

Nach rumänischem Recht ist der Einzelvertrieb und die Verwendung von „biologischen Produkten, parasitenabwehrenden Produkten zur speziellen Verwendung und von Tierarzneimitteln“ ausschließlich Tierärzten vorbehalten. Zugleich ist bestimmt, dass hinter Veterinärapotheken und Veterinärpharmaziegeschäften, die Tierärzte für diesen Einzelvertrieb organisieren, nur von Tierärzten gehaltenes Kapital steht – es gibt also ein Fremdbesitzverbot für diese Abgabestellen. Nur Veterinärapotheken, die diese Voraussetzung erfüllen, können in das rumänische Einheitliche Register der Tierarztpraxen eingetragen werden.

2015 hob die rumänische Behörde für Tiergesundheit und Lebensmittelsicherheit per Erlass Regelungen aus der Tierschutzverordnung auf. Diese sahen im Wesentlichen vor, dass derjenige, der eine Erlaubnis zum Betrieb einer Veterinärapotheke oder eines Veterinärpharmaziegeschäfts erhalten wollte, bei der Behörde ein Dossier einreichen musste, das einen Nachweis über eine Eintragung in das Einheitliche Register der Tierarztpraxen enthielt.

Die rumänische Tierärztekammer klagte gegen diesen Erlass. Durch den Wegfall der Pflicht, eine Bescheinigung über die Eintragung ins Tierarztpraxis-Register vorzulegen, sei nicht mehr sichergestellt, dass die Anforderungen erfüllt werden. Nämlich jene, dass das Gesellschaftskapital von Veterinärapotheken und Veterinärpharmaziegeschäften ganz oder zumindest überwiegend von Tierärzten  gehalten werden muss.

Das Gericht in Bukarest, das mit dem Fall befasst ist, entschied sich, dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zwei Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen. Zum einen wollte es grundsätzlich wissen, ob es mit Unionsrecht  vereinbar ist, wenn Tierärzten durch ein nationales Gesetz die ausschließliche Befugnis zum Einzelvertrieb und zur Verwendung von biologischen Produkten,  parasitenabwehrenden Produkten zur speziellen Verwendung und von Tierarzneimitteln übertragen wird. Falls der EuGH diese Frage bejahen sollte, wollte das rumänische Gericht überdies wissen, ob es dem Unionsrecht entgegensteht, wenn Einrichtungen, durch die der besagte Vertrieb erfolgt, überwiegend oder ausschließlich im Eigentum von Tierärzten stehen müssen.

Die Dritte Kammer des EuGH prüfte die nationalen Regelungen anhand der EU-Dienstleistungsrichtlinie (RiLi 2006/123/EG). Zwar sind Gesundheitsdienstleistungen (bislang) ausdrücklich vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen. Allerdings nur, wenn es sich um Gesundheitsdienstleistungen handelt, die am Menschen erbracht werden – und nicht an Tieren. Diese Richtlinie bestimmt in ihrem Artikel 15 die Anforderungen, die nationale Rechtsordnungen vorsehen müssen, wenn sie sich mit der Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit befassen. Ohne zu tief in die Dienstleistungsrichtlinie einzutauchen: Letztlich geht es immer darum, ob eine Regelung nicht diskriminierend und zur Verwirklichung eines zwingenden Grundes des Allgemeininteresses erforderlich und verhältnismäßig ist.

Der Wertungsspielraum beim Gesundheitsschutz

Bei der ersten Frage, die die ausschließliche Einzelvertriebsbefugnis von Tierärzten für Tierarzneimittel betrifft, kommt der EuGH zu dem Schluss, dass die Richtlinie dieser Regelung nicht entgegensteht. Sie sei zunächst nicht diskriminierend, da sie gleichermaßen für rumänische Tierärzte und in Rumänien tätige EU-Bürger mit entsprechendem Tierarzt-Diplom/Zeugnis gilt. Zudem diene sie dem Schutz der öffentlichen Gesundheit, einem „nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs“ anerkannten zwingenden Grund des Allgemeininteresses. Ein solcher Grund, so das Urteil, könne die Ergreifung von Maßnahmen rechtfertigen, mit denen eine sichere und qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sichergestellt werden soll.

Es folgen interessante Ausführungen zur Frage, ob diese Regelungen geeignet und verhältnismäßig sind. Das Bemerkenswerte daran ist, dass das Gericht auf EuGH-Rechtsprechung abhebt, die vor dem Urteil der Ersten Kammer vom 19. Oktober 2016 zur Rx-Preisbindung ergangen ist – etwa die Apothekenurteile zum Fremdbesitz und zur Krankenhausversorgung, sowie solche zu italienischen Apotheken-Fragen. Besagtes Preisbindungsurteil, das konkrete Nachweise dafür vermisste, dass Rx-Festpreise geeignet sind, die flächendeckende Arzneimittelversorgung zu erhalten, wird hingegen gar nicht angesprochen.

Besonderheiten bei Tierarzneimitteln

Das aktuelle Urteil führt vielmehr aus, es sei vom Gerichtshof anerkannt, dass eine Anforderung, die darauf abzielt, den Vertrieb von Arzneimittel bestimmten Fachleuten vorzubehalten, gerechtfertigt sein kann. Zwar bezögen sich die bisherigen Erwägungen auf Humanarzneimittel – sie seien aber grundsätzlich auf den Vertrieb von Tierarzneien übertragbar. Da sich Tierarzneimittel allerdings nur indirekt auf die öffentliche Gesundheit auswirkten, könne der Wertungsspielraum der Mitgliedstaaten im Bereich der Tierarzneimittel nicht zwangsläufig den gleichen Umfang haben wie derjenige im Bereich der Humanarzneimittel.

Und dennoch kommt die Dritte Kammer bei der ersten Frage zu dem Ergebnis, dass Rumänien diesen Spielraum nicht überschritten hat. Sie geht davon aus, dass es Sache der Mitgliedstaaten ist, zu bestimmen, auf welchem Niveau sie den Gesundheitsschutz gewährleisten wollen und wie dieses Niveau erreicht werden soll. Ein solcher Wertungsspielraum sei „umso mehr geboten, als die Mitgliedstaaten, wenn das Vorliegen und der Umfang von Gefahren für die menschliche Gesundheit ungewiss ist, die Möglichkeit haben müssen, Schutzmaßnahmen zu treffen, ohne abwarten zu müssen, bis das Vorliegen dieser Gefahren umfassend belegt ist“. Damit hebt sich die Dritte Kammer deutlich von der Argumentationsschiene der Ersten Kammer im Rx-Preisbindungsurteil ab. Es findet keine große Auseinandersetzung von Alternativen statt – sondern die Richter kehren zu ihren bekannten Prüfungsmaßstäben zurück.

Fremdbesitzverbot: Milderes Mittel möglich

Das in der zweiten Frage thematisierte Fremdbesitzverbot hält das Gericht allerdings nicht für europarechtskonform. Ein Mitgliedstaat dürfe zwar der Ansicht sein, dass eine gewisse Gefahr bestehe, wenn Personen, die keine Tierärzte sind, Einfluss auf die Geschäftsführung von Veterinärapotheken nehmen können. Etwa dadurch, dass sie Geschäftsstrategien verfolgen, die das Ziel der Sicherheit und der Qualität der Arzneimittelversorgung der Tierhalter und die Unabhängigkeit der in diesen Einrichtungen tätigen Tierärzte beeinträchtigen können. Insofern sei eine Regelung, die es nur Tierärzten erlaubt, Kapitalgeber solcher Einrichtungen zu sein, geeignet, eine solche Gefahr zu verringern. Allerdings sehen die Richter hier ein milderes Mittel: Tierärzte hätten auch dann die nötige Kontrolle, wenn Nicht-Tierärzte einen begrenzten Anteil am Kapital halten könnten.

Hier stellt das Urteil allerdings klar, dass dieser Überlegung nicht die EuGH-Rechtsprechung zur Vereinbarkeit entsprechender nationaler Regelungen zu Apotheken mit der Niederlassungsfreiheit entgegenstehe. Vielmehr müsse hier tatsächlich der Handel mit Humanarzneimitteln von dem mit Tierarzneimitteln unterschieden werden. Der Wertungsspielraum der Mitgliedstaaten bei Tierarzneimitteln sei enger als in Bereichen, die die menschliche Gesundheit betreffen. 

Die Entscheidung macht deutlich, dass die EuGH-Entscheidung zur Rx-Preisbindung tatsächlich eine ungewöhnliche war.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 1. März 2018, Rs. C-297/16



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Aktuelles Urteil des Europäischen Gerichtshofs

Nationales Recht versus EU-Recht

EuGH urteilt zu österreichischen Regelungen für Patentanwälte und Tierärzte

Fremdbesitz im Visier

Italienische Regelungen zur Apothekenpflicht

EuGH-Generalanwalt hält Apothekenpflicht für gerechtfertigt

Europäischer Gerichtshof prüft Verkaufseinschränkungen für italienische Parafarmacias

EuGH-Generalanwalt hält Apothekenpflicht für gerechtfertigt

Das EuGH-Urteil und seine Folgen aus Sicht des Gesundheitsrechtlers Dr. Elmar Mand (Uni Marburg)

Alles steht Kopf

EuGH-Urteil zu Architektenhonoraren

Gefahr für andere Freiberufler?

Ist bei der Preisbindungsfrage das letzte Wort gesprochen?

Neue EuGH-Vorlage wahrscheinlich, Ausgang ungewiss

1 Kommentar

Wehmut

von Conny am 06.03.2018 um 11:11 Uhr

Das hat alles nur mit Geld , sehr viel Geld zu tun

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.