Aktuelles Urteil des Europäischen Gerichtshofs

EuGH besinnt sich auf altbekannte Prinzipien

Berlin - 05.03.2018, 18:10 Uhr

In Rumänien ist der Einzelvertrieb von Tierarzneimitteln Veterinär-Apotheken vorbehalten, die von Tierärzten betrieben werden. (Foto: Photographee.eu / stock.adobe.com)

In Rumänien ist der Einzelvertrieb von Tierarzneimitteln Veterinär-Apotheken vorbehalten, die von Tierärzten betrieben werden. (Foto: Photographee.eu / stock.adobe.com)


Der Wertungsspielraum beim Gesundheitsschutz

Bei der ersten Frage, die die ausschließliche Einzelvertriebsbefugnis von Tierärzten für Tierarzneimittel betrifft, kommt der EuGH zu dem Schluss, dass die Richtlinie dieser Regelung nicht entgegensteht. Sie sei zunächst nicht diskriminierend, da sie gleichermaßen für rumänische Tierärzte und in Rumänien tätige EU-Bürger mit entsprechendem Tierarzt-Diplom/Zeugnis gilt. Zudem diene sie dem Schutz der öffentlichen Gesundheit, einem „nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs“ anerkannten zwingenden Grund des Allgemeininteresses. Ein solcher Grund, so das Urteil, könne die Ergreifung von Maßnahmen rechtfertigen, mit denen eine sichere und qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sichergestellt werden soll.

Es folgen interessante Ausführungen zur Frage, ob diese Regelungen geeignet und verhältnismäßig sind. Das Bemerkenswerte daran ist, dass das Gericht auf EuGH-Rechtsprechung abhebt, die vor dem Urteil der Ersten Kammer vom 19. Oktober 2016 zur Rx-Preisbindung ergangen ist – etwa die Apothekenurteile zum Fremdbesitz und zur Krankenhausversorgung, sowie solche zu italienischen Apotheken-Fragen. Besagtes Preisbindungsurteil, das konkrete Nachweise dafür vermisste, dass Rx-Festpreise geeignet sind, die flächendeckende Arzneimittelversorgung zu erhalten, wird hingegen gar nicht angesprochen.

Besonderheiten bei Tierarzneimitteln

Das aktuelle Urteil führt vielmehr aus, es sei vom Gerichtshof anerkannt, dass eine Anforderung, die darauf abzielt, den Vertrieb von Arzneimittel bestimmten Fachleuten vorzubehalten, gerechtfertigt sein kann. Zwar bezögen sich die bisherigen Erwägungen auf Humanarzneimittel – sie seien aber grundsätzlich auf den Vertrieb von Tierarzneien übertragbar. Da sich Tierarzneimittel allerdings nur indirekt auf die öffentliche Gesundheit auswirkten, könne der Wertungsspielraum der Mitgliedstaaten im Bereich der Tierarzneimittel nicht zwangsläufig den gleichen Umfang haben wie derjenige im Bereich der Humanarzneimittel.

Und dennoch kommt die Dritte Kammer bei der ersten Frage zu dem Ergebnis, dass Rumänien diesen Spielraum nicht überschritten hat. Sie geht davon aus, dass es Sache der Mitgliedstaaten ist, zu bestimmen, auf welchem Niveau sie den Gesundheitsschutz gewährleisten wollen und wie dieses Niveau erreicht werden soll. Ein solcher Wertungsspielraum sei „umso mehr geboten, als die Mitgliedstaaten, wenn das Vorliegen und der Umfang von Gefahren für die menschliche Gesundheit ungewiss ist, die Möglichkeit haben müssen, Schutzmaßnahmen zu treffen, ohne abwarten zu müssen, bis das Vorliegen dieser Gefahren umfassend belegt ist“. Damit hebt sich die Dritte Kammer deutlich von der Argumentationsschiene der Ersten Kammer im Rx-Preisbindungsurteil ab. Es findet keine große Auseinandersetzung von Alternativen statt – sondern die Richter kehren zu ihren bekannten Prüfungsmaßstäben zurück.

Fremdbesitzverbot: Milderes Mittel möglich

Das in der zweiten Frage thematisierte Fremdbesitzverbot hält das Gericht allerdings nicht für europarechtskonform. Ein Mitgliedstaat dürfe zwar der Ansicht sein, dass eine gewisse Gefahr bestehe, wenn Personen, die keine Tierärzte sind, Einfluss auf die Geschäftsführung von Veterinärapotheken nehmen können. Etwa dadurch, dass sie Geschäftsstrategien verfolgen, die das Ziel der Sicherheit und der Qualität der Arzneimittelversorgung der Tierhalter und die Unabhängigkeit der in diesen Einrichtungen tätigen Tierärzte beeinträchtigen können. Insofern sei eine Regelung, die es nur Tierärzten erlaubt, Kapitalgeber solcher Einrichtungen zu sein, geeignet, eine solche Gefahr zu verringern. Allerdings sehen die Richter hier ein milderes Mittel: Tierärzte hätten auch dann die nötige Kontrolle, wenn Nicht-Tierärzte einen begrenzten Anteil am Kapital halten könnten.

Hier stellt das Urteil allerdings klar, dass dieser Überlegung nicht die EuGH-Rechtsprechung zur Vereinbarkeit entsprechender nationaler Regelungen zu Apotheken mit der Niederlassungsfreiheit entgegenstehe. Vielmehr müsse hier tatsächlich der Handel mit Humanarzneimitteln von dem mit Tierarzneimitteln unterschieden werden. Der Wertungsspielraum der Mitgliedstaaten bei Tierarzneimitteln sei enger als in Bereichen, die die menschliche Gesundheit betreffen. 

Die Entscheidung macht deutlich, dass die EuGH-Entscheidung zur Rx-Preisbindung tatsächlich eine ungewöhnliche war.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 1. März 2018, Rs. C-297/16



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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1 Kommentar

Wehmut

von Conny am 06.03.2018 um 11:11 Uhr

Das hat alles nur mit Geld , sehr viel Geld zu tun

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