BfR-Höchstmengenempfehlungen Teil 3

Nahrungsergänzungsmittel: Welche, wann und für wen? (3)

Stuttgart - 26.02.2018, 14:20 Uhr

Eine ausgewogene Ernährung für Kinder: Spaghetti mit Ketchup und danach eine Multivitamin-Pille? (Foto: StefanieB. / stock.adobe.com)   

Eine ausgewogene Ernährung für Kinder: Spaghetti mit Ketchup und danach eine Multivitamin-Pille? (Foto: StefanieB. / stock.adobe.com)   


Welche Nahrungsergänzungsmittel kann man in der Apotheke wann wem guten Gewissens empfehlen? In Teil 1 und 2 war zu lesen, was in der Beratung von gesunden Erwachsenen (inklusive Schwangeren) zu Nahrungsergänzungsmitteln nicht fehlen sollte. Wie sieht es aber bei gesunden Kindern und bestimmten Risikogruppen aus? Reicht eine ausgewogene Ernährung, oder sind manche Nahrungsergänzungsmittel doch sinnvoll? Zwei Wissenschaftler aus Harvard und das BfR helfen bei der Beratung in der Apotheke.

Der Markt der Nahrungsergänzungsmittel (NEM) ist unübersichtlich. Viele NEM sind Kombinationspräparate, sodass es manchmal schwer fällt, den Überblick über die tatsächlich konsumierten Mengen zu behalten. Anfang des neuen Jahres hat das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) seine Höchstmengenvorschläge für Nahrungsergänzungsmittel von 2004 aktualisiert. Sie sollen in Deutschland die Grundlage für die Schaffung von gesetzlichen Regelungen bilden und können schon jetzt für die Beratung in der Apotheke hilfreich sein; wenn es um die Frage geht, ob ein Präparat zu hoch oder zu niedrig dosiert ist. Welche Nahrungsergänzungsmittel in der täglichen Beratung überhaupt wichtig sind, haben ebenso zu Beginn des Jahres zwei Wissenschaftler aus Harvard im Journal JAMA zu beantworten versucht. Grundsätzlich gilt, dass eine ausgewogene Ernährung Nahrungsergänzungsmittel unnötig machen kann.

NEM bei Kindern 

Nach Ansicht der JAMA-Autoren geht es in der Praxis beim Thema Nahrungsergänzungsmittel für Kinder vor allem um Eisen und Vitamin D. Der American Academy of Pediatrics zufolge, sollen Kinder, die gestillt werden 400 I.E. Vitamin D pro Tag als Nahrungsergänzungsmittel erhalten. Die Supplementierung solle bald nach Geburt begonnen und bis zum Abstillen fortgeführt werden. Nach dem Abstillen sollte (nicht vor dem 12. Monat) täglich Vollmilch zugeführt werden, die mit Vitamin D angereichert ist. Deutschen Empfehlungen zufolge sollten maximal 200 ml Kuhmilch pro Tag gegeben werden (Risiko für Übergewicht). Laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE) sollten Säuglinge zwischen null und 12 Monaten 10 µg Vitamin D pro Tag erhalten, was 400 I.E. und somit den amerikanischen Empfehlungen entspricht.

Bei der Empfehlung der DGE handelt es sich um einen Schätzwert, der laut der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin durch die Gabe einer Vitamin-D-Tablette zur Rachitisprophylaxe ab der ersten Lebenswoche bis zum Ende des ersten Lebensjahres erreicht wird. Das gelte sowohl für gestillte als auch nicht gestillte Säuglinge. Die Gabe erfolge unabhängig von endogener Synthese und Nahrung. Auch im zweiten Lebensjahr solle die Prophylaxe in den Wintermonaten weiter durchgeführt werden. Die DGE empfiehlt für Kinder (bei fehlender endogener Synthese) ab einem Jahr die gleichen Vitamin-D-Referenzwerte wie für Erwachsene.

Vitamin D für Säuglinge, aber keine Höchstmengen vom BfR?

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Die neuen Höchstmengen-Empfehlungen des BfR lassen sich nicht so einfach auf Kinder übertragen. Das Ziel des BfR war es sichere Höchstmengen in NEM für die Gesamtbevölkerung abzuleiten. Die Berücksichtigung von Kindern hätte aufgrund der geringeren ULs (tolerierbare höchste Tagesaufnahmemenge) jedoch keine sinnvollen Höchstmengen für die Allgemeinbevölkerung ergeben. NEM, die den neuen Empfehlungen des BfR entsprechen, sind für Personen ab 15 Jahren sicher.

Kleinkinder, die Muttermilchersatz erhalten, müssen laut JAMA normalerweise keine weiteren Nahrungsergänzungsmittel einnehmen, da die Ersatzmilch  im Gegensatz zur Kuhmlich in Deutschland mit Vitamin D und oft auch Eisen angereichert ist. Auch für Europa ist die Zusammensetzung von Säuglingsanfangs- und Folgenahrung gesetzlich geregelt. In Deutschland können Säuglingsanfangsnahrungen („Pre-“ und „1“-Nahrungen) im gesamten 1. Lebensjahr gegeben werden. Zu Beginn allein, später mit Beikost. Mit der Einführung der Beikost kann die Säuglingsanfangsnahrung durch Folgenahrung ersetzt werden (meist mit „2“ gekennzeichnet). Ein Wechsel ist zwar nicht notwendig, Folgenahrungen weisen aber einen höheren Eisengehalt auf, der im 2. Lebenshalbjahr sinnvoll ist. Genauer informiert das Netzwerk „Gesund ins Leben“.

Kennen Sie schon das Bundeszentrum für Ernährung? Seit Februar 2017 liefert es Informationen rund um eine sichere und nachhaltige Auswahl von Lebensmitteln. In der zugehörigen Fachzeitschrift wird aktuell das Thema Vitamin D in einem Online-Spezial-Artikel behandelt. Zudem gibt das Bundesministerium für Ernährung und Lanwirtschaft (BMEL) seit 2016 jährlich einen Ernährungsreport heraus, unter dem Titel „Deutschland, wie es isst“. Die Ergebnisse des Ernährungsreports basieren auf einer Forsa-Umfrage, deren Titel leicht vom Ernährungsreport abweicht: „So will Deutschland essen“. Die neuste Erhebung wurde vom 24. Oktober bis 3. November 2017 mit Hilfe computergestützter Telefoninterviews durchgeführt. Ein zentrales Ergebnis des Ernährungsreports lautet:  

14 Prozent der Menschen gaben im Ernährungsreport 2018 an, mindestens täglich Nahrungsergänzungsmittel wie Vitamine, Mineralien oder Ballaststoffe zu sich zu nehmen. Sollten Nahrungsergänzungsmittel auch Teil der Ernährungsbildung in Schulen werden?


Wir müssen die Ernährungsbildung im Stundenplan fest verankern – am besten als eigenes Schulfach.

Christian Schmidt MdB, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft


Zusätzlich zur Muttermilch: Vitamin K, Vitamin D und Fluorid

Zur Fluorid-Supplementation in den USA äußern sich die JAMA-Autoren nicht, wahrscheinlich weil sie stark vom jeweiligen Fluorid-Gehalt im Trinkwasser abhängt. Das Netzwerk „Gesund ins Leben“ empfiehlt für Deutschland hingegen, dass jeder Säugling zusätzlich zur Muttermilch oder Säuglingsnahrung Vitamin K, Vitamin D und Fluorid erhalten sollte. In Deutschland beträgt der Fluorid-Gehalt im Trinkwasser meist weniger als 0,3 mg/l. Deshalb sollen gemeinsam mit der Vitamin-D-Gabe täglich 0,25 mg Fluorid zur Kariesprophylaxe gegeben werden. Enthält das Trinkwasser mehr als 0,7 mg Fluorid, sollen keine Fluoridsupplemente gegeben werden. Die orale Fluorid-Gabe, soll so lange fortgesetzt werden, bis Kinder (im Alter von vier Jahren) fluoriderte Zahnpasta zuverlässig ausspucken können. Das ist die Sicht der Kinder- und Jugendärzte in Deutschland. Die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde empfiehlt hingegen, ab dem Durchbruch des 1. Milchzahns statt der oralen Supplementation die Anwendung fluoridierter Kinderzahnpasta.    

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Generell sollten maximal 0,1 mg/kg KG Fluorid zugeführt werden (alle Quellen: Wasser, Zahnpasta, Nahrung, NEM). Grundsätzlich empfehlen die neuen Empfehlungen des BfR (ab 15 Jahren), von der Einnahme Fluorid-haltiger NEM abzusehen. Über fluoridhaltiges Wasser, Zahnpflegemittel und fluoridiertes Speisesalz würden Erwachsene und Jugendliche bereits ausreichende Mengen aufnehmen.

Neugeborene besitzen keine ausreichenden Vitamin-K-Speicher und der Vitamin-K-Gehalt der Muttermilch ist niedrig. Zur Vermeidung von lebensbedrohlichen Blutungen durch Vitamin-K-Mangel sollten alle gesunden Neugeborenen noch im Kreißsaal peroral 2 mg Vitamin K1 erhalten. Anschließend sollten sowohl bei der U2- als auch bei der U3-Untersuchung je 2 mg Vitamin K1 peroral verabreicht werden. Als gleichwertige Alternative kann unmittelbar nach der Geburt 1 mg Vitamin K1 intramuskulär verabreicht werden, was auch von der „American Academy of Pediatrics“ empfohlen wird.

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Mehr zur Ernährung von Säuglingen und stillenden Frauen findet man in einem kostenlosen Sonderdruck der Monatsschrift Kinderheilkunde.

Für die Allgemeinbevölkerung (ab 15 Jahren) gilt laut BfR für Vitamin K, dass im Zusammenhang mit der im Jahr 2004 vom BfR vorgeschlagenen Höchstmenge von 80 µg/Tag bis heute keine unerwünschten Effekte bekannt geworden sind. Jedoch sollte auf entsprechende NEM ein Warnhinweis aufgebracht werden: „Personen, die gerinnungshemmende Arzneimittel (vom Cumarintyp) einnehmen, sollen vor dem Verzehr von Vitamin-K-haltigen NEM ihren Arzt befragen.“

Gibt es sinnvolle NEM für Kinder?

Laut JAMA sollten alle Kleinkinder im Alter von einem Jahr auf Eisenmangel hin untersucht werden. Außerdem soll Eisen mit 1 mg/kg Köpergewicht pro Tag ab dem vierten Monat supplementiert werden, bis genügend Eisen über die Nahrung aufgenommen wird – was gewöhnlich ab sechs Monaten der Fall sei. Deutsche Handlungsempfehlungen beschreiben im „Ernährungsplan für das 1. Lebensjahr“ welche Beikost in welcher Abfolge zusammen mit Muttermilch oder Säuglingsnahrung das Nährstoffbedürfnis von Säuglingen möglichst weitgehend abdeckt. Ein besonderes Augenmerk sollte auf der Zufuhr von Iod und Eisen liegen. Es sei davon auszugehen, dass die Eisenvorräte eines Kindes nach vier- bis sechs-monatiger Muttermilchernährung erschöpft sind und der Eisenbedarf im zweiten Lebenshalbjahr stark steigt. Deshalb wird als erste Beikost ein Gemüse-Kartoffel-Fleisch-Brei empfohlen. Ein bis zweimal die Woche kann das Fleisch durch (fettreichen) Fisch ersetzt werden. So können Omega-3-Fettsäuren, Eisen, Zink und Iod zugeführt werden.

Später brauchen gesunde Kinder mit ausgewogener Ernährung laut JAMA keine Nahrungsergänzungsmittel. Von Präparaten, die die empfohlenen Tagesmengen überschreiten, sollte abgeraten werden. Eine Diskussion der letzten Jahre, dass Omega-3-Fettsäuren das Risiko für Autismus oder ADHS verringern könnten, sprechen die Autoren zwar an; sie halten die Daten jedoch nicht für ausreichend, um eine Empfehlung auszusprechen. 2013 hat Stiftung Warentest „Pillen für die Schule“ unter die Lupe genommen. Alle der zwölf Produkte seien „wenig geeignet“, hieß es. 

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Auch deutsche Handlungsempfehlungen besagen, dass eine Supplementierung mit Vitaminen und Mineralstoffen nur auf medizinischen Rat in Abstimmung mit dem Kinder- und Jugendarzt erfolgen sollte. Bei geringer Sonnenlichtexposition, dunkler Hautpigmentierung oder einer strikt veganen Ernährung könnte beispielsweise ein erhöhtes Risiko für einen Vitamin-D-Mangel bestehen. Im Jahr 2008 hat Stiftung Warentest Nahrungsergänzungsmittel für Kinder zum letzten Mal bewertet und kam zu dem Schluss, dass sie im besten Fall überflüssig seien.

Lesen Sie auch...

...welche NEM bei gesunden Erwachsenen wichtig sind – Teil 2 

...welche NEM bei Schwangeren wichtig sind – Teil 1 


... in Teil 4 welche Risikogruppen NEM brauchen.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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