Skandal um mögliche Unterdosierungen

Hatte der Zyto-Apotheker psychische Probleme? 

22.02.2018, 17:50 Uhr

Am heutigen Donnerstag brachte die Verteidigung eine Hirnschädigung von Peter S. als einen Grund für mögliche Minderdosierungen uns Spiel. (Foto: dpa)

Am heutigen Donnerstag brachte die Verteidigung eine Hirnschädigung von Peter S. als einen Grund für mögliche Minderdosierungen uns Spiel. (Foto: dpa)


Beim Landgericht Essen bringt die Verteidigung des Angeklagten Peter S. eine Hirnschädigung als einen Grund für mögliche Minderdosierungen vor – und beantragt die Vernehmung eines psychiatrischen Gutachters. Das Gericht will erneut Sachverständige vom Paul-Ehrlich-Institut und vom Landeszentrum Gesundheit NRW hören, nach deren Analysen sichergestellte Infusionsbeutel unterdosiert waren. Die Verteidigung bestreitet weiterhin, dass die Untersuchungen zuverlässig sind.

Schon in vorherigen Verhandlungstagen wurde im Prozess gegen den Zyto-Apotheker Peter S. mehrfach eine Kopfverletzung thematisiert, die dieser im Jahr 2008 erlitten hat. Am heutigen Donnerstag brachte die Verteidigung dies nun als Erklärung für mögliche Probleme vor, schreibt die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ): Die Anwälte hätten ihren Mandanten als psychisch derart gestört bezeichnet, dass ihm etwaige Fehler bei der Herstellung von Chemotherapien gar nicht bewusst gewesen seien. Seit der schweren „Frontalhirnschädigung“ leide er unter „unbewussten Fehlhandlungen“, vor allem unter Stress. „Diese Störung ist für ihn nicht wahrnehmbar“, erklärte ein Verteidiger laut WAZ.

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Die Anwälte des Apothekers wollen einen Psychiater als Gutachter laden, da er zur „schweren Hirnschädigung in Folge eines Schädel-Hirn-Traumas“ berichten könne, die „gravierende neurologische Auffälligkeiten“ zur Folge habe, wie das Recherchebüro Correctiv berichtet. Der Gutachter habe S. zweimal in seiner Untersuchungshaft besucht und bei Testaufgaben einen Leistungsabfall gefunden: Ein „hirnorganisches Psychosyndrom“ führe womöglich zu einer „Störung des entscheidungsbezogenen Denkens“ und womöglich zu „unbewussten Fehlleistungen unter Stress“. Daher seien möglicherweise vorsätzliche Handlungen ausgeschlossen, argumentieren die Verteidiger. 

Zeugen zufolge keine Persönlichkeitsveränderung

Der Staatsanwalt und die Nebenkläger lehnten die Ladung des Gutachters jedoch ab: Mehrere Zeugen hatten ausgesagt, dass der Angeklagte keine Persönlichkeitsveränderung gezeigt habe. Auch sei das Herstellen der Zytostatika kein standardisierter Vorgang, bei dem Flüchtigkeitsfehler passieren könnten. Das Gutachten zur Hirnschädigung wollten die Verteidiger nicht öffentlich vorlesen – sie scheiterten auch mit einem Antrag, die Thematik gänzlich unter Ausschluss zu diskutieren. „Weil es in diesem Prozess auch um die Gesundheit der Bevölkerung geht, überwiegt das öffentliche Interesse“, zitiert die WAZ den Vorsitzenden Richter Johannes Hidding.

Laut Gericht drohen bis zu zehn Jahre Haft

Vergangene Woche hatte das Gericht einen rechtlichen Hinweis erteilt, dass dem Angeklagten bis zu zehn Jahre drohten – da nach vorläufigen Überlegungen eine Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz in besonders schwerem Fall möglich sei. Dies wäre möglich, wenn die Richter den Angeklagten schuldig sprechen, die Gesundheit einer großen Zahl von Menschen gefährdet zu haben. Die Verteidiger brachten am heutigen Donnerstag vor, dass Hidding gesagt habe, S. könne womöglich keine konkrete Unterdosierung nachgewiesen werden, da auch Kollegen Zytostatika hergestellt hätten – doch könne S. prinzipiell wegen „Organisationsverschuldens“ verurteilt werden, da er für die Herstellungen seiner Apotheke verantwortlich sei. 

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„Wesentliche Behauptungen der Anklage sind nicht mehr aufrechtzuerhalten“, erklärte ein Verteidiger laut WAZ daraufhin heute – ein Kollege forderte von Hidding eine Präzisierung der rechtlichen Hinweise. Die Beweisaufnahme habe keine Anhaltspunkte für eine vorsätzliche Unterdosierung der Krebsmedikamente ergeben, erklärte die Verteidigung, die von „offensichtlichen Beweisnöten“ sprach. „Es ist völlig unklar, wer was wann getan hat“, erklärte ein Verteidiger des Apothekers. Die Herstellung unter Zeitdruck, von der mehrere Zeugen berichtet hatten, könne statistisch gesehen schnell zu Fehlern führen, erklärte die Verteidigung laut „Correctiv“: Mangelnde Kontrollen würden zudem ermöglichen, dass eine mögliche „unverschuldete Unterdosierung“ über Jahre unentdeckt bleiben könne.

Die Anwälte von S. brachten in Bezug auf Aussagen, S. habe gegen Hygienestandards verstoßen und in Straßenkleidung im Reinraumlabor gearbeitet, außerdem vor, es gebe in der Apothekenbetriebsordnung keine genauen Angaben zur nötigen Schutzkleidung. Auch habe sich im Rahmen der Beweisaufnahme „keine überdurchschnittliche Zahl von Blutvergiftungen“ ergeben, berichtet das Recherchebüro. Prüfberichte eines Labors sollen für die Jahre 2012 bis 2015 außerdem keine Kontaminierung von Werkbänken gefunden haben.

„Habgier ist dem Angeklagten wesensfremd“

Auch habe der Apotheker laut früherer Zeugenaussagen weder Anweisungen zu Unterdosierungen gegeben noch Mitarbeitern über derartige Taten berichtet, betonten die Verteidiger. Sie bestritten, dass es überhaupt ein Tatmotiv gebe. In der vergangenen Woche war ein Schreiben eines Anwalts von S. aus einem früheren Ermittlungsverfahren verlesen worden, laut dem der Apotheker sozial sehr stark engagiert sei und es ihm ein besonderes Bedürfnis sei, schwerkranken Patienten zu helfen. Nach dem Verteidiger sei S. ein „guter Mensch” und „Habgier ist ihm wesensfremd“. Ohnehin hätten bei durchgehenden Unterdosierungen Ärzte etwas merken müssen, argumentierte der Verteidiger bei dem später eingestellten Verfahren. „Man beißt nicht in die Hand, die einen füttert“, heißt es in dem Schreiben außerdem: Je früher ein Patient sterbe, desto weniger verdiene der Apotheker an ihm. Daher seien Minderdosierungen unwirtschaftlich – und ohnehin menschenverachtend. Laut „Correctiv“ verwies der Verteidiger damals auf eine „lückenlose Dokumentation“ der Einkäufe der Apotheke.

Antrag, Händler zu vernehmen, abgelehnt

Das Gericht lehnte am heutigen Donnerstag den Antrag der Verteidiger ab, einen Händler zu vernehmen, der auf Kosten des Apothekers teure Möbel an einen Hexal-Vertreter geliefert haben soll. Laut Hidding könnten die angeblichen Zahlungen nicht zwingend den Schluss zulassen, dass S. auf diesem Wege schwarz Krebsmittel eingekauft habe – dies hatte die Verteidigung vorgebracht, um die erheblichen Differenzen zwischen Ein- und Verkauf zumindest teilweise zu erklären. Hidding bezog sich außerdem auf die Aussage des Hexal-Vertreters, er habe S. keine Zytostatika schwarz verkauft. Auch lehnte der Richter den Antrag von Nebenklägern ab, eine Fernsehreportage zum Fall als Beweismittel in das Verfahren einzubringen.

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Für den erst in der zweiten Märzwoche fortgesetzten Prozess lud das Gericht erneut zwei Sachverständige vom Paul-Ehrlich-Institut sowie vom Landeszentrum Gesundheit, nach deren Analysen in der Apotheke sichergestellte Zytostatika teils deutlich unterdosiert waren. Die Verteidiger hatten vorgebracht, die Analysen seien unzuverlässig, was die beiden Behördenvertreter vor Gericht dementiert hatten. Ob zwei Sachverständige für den selben Tag geladen werden, die laut den Verteidigern Mängel an den Untersuchungen sehen, ist bislang noch unklar



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Approbation

von Holger am 23.02.2018 um 8:21 Uhr

Na dann ist die Rechtslage doch einfach?
Er muss rückwirkend zum Ereignis die Approbation entzogen bekommen. All das seit diesem Tag erwirtschaftete Vermögen wird eingezogen und unter den Geschädigten verteilt. /Satire mode off (leiider!)

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Zyto- Apotheker

von Alexander Zeitler am 22.02.2018 um 18:36 Uhr

10 Jahre sind für den noch viel zu wenig.
Klar: jetzt hats der Arme an der Waffel und kann für nix.
Anwälte geben sich für Gerld auch für alles her.

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