Bei Jugendlichen

Experten warnen vor Psychosen unter Cannabis

Berlin - 19.02.2018, 12:00 Uhr

FDP, Linke und Grüne wollen nach dem medizinischen Gebrauch auch eine Freigabe für den generellen Konsum erreichen. (Foto: imago)

FDP, Linke und Grüne wollen nach dem medizinischen Gebrauch auch eine Freigabe für den generellen Konsum erreichen. (Foto: imago)


Viele Prominente machen kein Hehl daraus, dass sie zum Abschalten oder um ihre Kreativität zu fördern kiffen. In einer aktuellen YouGov-Umfrage zeigen sich die Menschen in Deutschland kritischer: Nur vier Prozent der Befragten halten Cannabis für harmlos. Auch Experten warnen gegenüber der Deutschen Presse-Agentur vor der heftigen Rauschwirkung heutiger Züchtungen mit extrem hohem THC-gehalt und den Folgen für junge Konsumenten.

In den USA werden spätestens seit der Freigabe von Cannabis in mehreren Bundesstaaten nicht mehr nur die Reggae-Legende Bob Marley und Rapper wie Snoop Dogg mit Gras in Verbindung gebracht. Schauspielerin Jennifer Lawrence zum Beispiel ging schon einmal bekifft zu einer Oscar-Verleihung, wie sie sagte. Musiker John Mayer bekannte, inzwischen Cannabis dem Alkohol vorzuziehen – dadurch sei seine Lebensqualität gestiegen.

Ob das die zumeist jungen Patienten von Psychiater Andreas Bechdolf auch von sich behaupten können? Vermutlich nicht – denn sie hören Stimmen oder fühlen sich verfolgt. Um die Angstgefühle in den Griff zu bekommen, kiffen manche Betroffene weiter. Die Wahnvorstellungen treten nicht zwangsläufig nur ein, wenn die Konsumenten gerade high sind, sie sind manchmal auch eine Spätfolge nach einer Phase regelmäßigen Konsums, wie Bechdolf sagt. Er ist Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Vivantes-Klinikum in Kreuzberg und behandelt mit Kollegen pro Jahr bis zu 900 Menschen mit psychotischen Symptomen. Etwa 80 Prozent derer, die zum ersten Mal Hilfe im Frühinterventionszentrum „FRITZ“ des Klinikums suchen, wiesen einen relevanten Cannabis-Konsum auf.

Für einzelne Menschen kann Kiffen negative Folgen haben

Bechdolf gehört dennoch nicht zu den Experten, die Cannabis generell verteufeln: „Für einzelne Menschen, die mit Psychosen zu tun haben, hat der Konsum sehr negative Folgen, sie sollten es unbedingt lassen. Und für andere ist es unproblematisch“, sagt er. Diese Differenzierung sei Jugendlichen in der Prävention, aber auch den Betroffenen sehr schwer zu vermitteln, sagt Bechdolf.

Der Psychiater erzählt von Konsumenten, die bereits im Hier und Jetzt deutlich negativ beeinträchtigt sind, ohne selbst wahrzunehmen, dass ihre Probleme etwa in der Schule im Cannabis-Konsum wurzeln. „Sie können sich schlechter konzentrieren, haben häufig mit der Stimmung Probleme, sind niedergedrückt. Angststörungen und Depressionen kommen häufiger vor.“ Wer als Jugendlicher ans Kiffen gewöhnt ist, lernt nach seiner Einschätzung oft nicht, mit unangenehmen Gefühlen umzugehen und Konflikte zu bewältigen. Die einzige erlernte Möglichkeit, um die eigene Stimmung zu regulieren, sei das Kiffen.

Sorgen bereiten dem Mediziner zudem jene Konsumenten, die vor dem 15., 16. Lebensjahr mit dem Kiffen anfangen.  „Die haben ein bis zu sechsfach erhöhtes Risiko, hinterher an einer Psychose zu erkranken“, sagt Bechdolf. Hintergrund ist, dass der Stoffwechsel im Gehirn durcheinandergerät. Auch Stress, Konflikte und die genetische Veranlagung spielen beim Entstehen von Psychosen eine Rolle.

Kontrollierte Abgabe ermöglicht Regulierung des Wirkstoffgehalts

Wenn es um Cannabis geht, sei Eltern und Lehrern ein weiterer Aspekt oft unbekannt, was zu einer Verharmlosung des Kiffens beitrage, sagt Kerstin Jüngling von der Fachstelle für Suchtprävention in Berlin. Anders als früher enthielten die heutigen Züchtungen deutlich höhere Mengen des berauschenden Wirkstoffs THC. Gesenkt hätten die Züchter dagegen den Gehalt des psychosehemmenden Wirkstoffs Cannabidiol. Das Ziel sei mehr Rausch fürs Geld, fasst Jüngling zusammen. Auflagen zu Wirkstoffgehalten hält sie für dringend geboten – „aber das kann man natürlich nur, wenn man die Abgabe reguliert“.

FDP, Linke und Grüne wollen nach dem medizinischen Gebrauch auch eine Freigabe für den generellen Konsum erreichen. Am kommenden Donnerstag werden ihre Anträge im Bundestag debattiert. Alle drei Fraktionen eint die Überzeugung, dass der Kampf gegen den Konsum des Rauschmittels durch Strafe und Repression gescheitert sei. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler (CSU), sieht das anders. Eine Freigabe für den Freizeitkonsum lehnt sie ab, da mit steigender Verfügbarkeit auch der Konsum steige. 

„Reiz des Verbotenen spiel am Anfang eine Rolle“

Daneben scheinen das Image von Cannabis und der Reiz des Verbotenen gerade am Anfang bei Jugendlichen eine Rolle zu spielen: „Es erscheint cool, zu konsumieren, ein bisschen als Verstoß gegen dieses Bürgertum“, sagt Bechdolf. Kerstin Jüngling sieht neben Menschen, die sich bewusst über das Verbot hinwegsetzen, auch einige unwissende Gruppen. Es komme vor, dass Cannabis nach Alltagsbeobachtungen – etwa ungeahndetes Kiffen an der Bushaltestelle – für legal gehalten wird.

„Und gleichzeitig gibt es keine strukturierte Prävention“, bemängelt Jüngling. Apps und Flyer reichten dabei nicht aus – wichtig sei es, Jugendliche im Dialog etwa im Sportverein oder bei Kulturangeboten zum Nachdenken zu bringen - über die Motive des eigenen Konsums, aber auch über mögliche Folgen, etwa für die Führerscheinprüfung.

Umfrage: Die meisten Deutschen halten nichts davon

Die meisten Menschen in Deutschland halten nichts vom Kiffen – und meinen auch, dass Cannabis in ihrem Umfeld keine Rolle spielt. Das sind Ergebnisse einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur. 68 Prozent gaben an, die Droge noch nie konsumiert zu haben – bei den Frauen sind es sogar 71 Prozent. Insgesamt nur 4 Prozent halten Haschisch für harmlos. Sogar 82 Prozent sagten, dass Cannabis im Alltag ihrer Kinder unter 18 Jahren keine größere Rolle spiele – auch nicht durch Freunde, Medien oder Musik. Auch in ihrem engeren Umfeld vermuten die meisten Befragten keine Haschisch-Fans: Rund zwei von drei Bürgern (63 Prozent) denken nicht, dass jemand im Freundeskreis kifft. 22 Prozent gaben dagegen an, von einem Freund zu wissen, der Cannabis konsumiert.



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