Hormonelle Nebenwirkungen

Ibuprofen und Fruchtbarkeit – ein Zusammenhang?

Stuttgart - 07.02.2018, 09:35 Uhr

Diskussion in den Medien: Schadet Ibuprofen der Fruchtbarkeit von Mann und Frau? (Symbolbild: imago)

Diskussion in den Medien: Schadet Ibuprofen der Fruchtbarkeit von Mann und Frau? (Symbolbild: imago)


So wenig wie möglich, aber so viel wie nötig. Dieses Motto gilt nicht nur bei der Einnahme von Arzneimitteln in der Schwangerschaft. Dennoch wird gerade bezüglich Schmerzmitteln in der Schwangerschaft immer wieder zu besonderer Vorsicht gemahnt. Aktuell, weil Ibuprofen die Fruchtbarkeit beeinflussen könnte – und das nicht nur bei Frauen. Besitzt Ibuprofen hormonelle Nebenwirkungen? 

„Werden wir bald unfruchtbar?“ Diese provokante Frage stellt derzeit der Fernsehsender Arte in einem kurzen Internetvideo. Nicht nur in der Fachwelt ist die Diskussion um die sogenannten endokrinen Disruptoren bekannt.

Meist stehen in diesem Zusammenhang aber keine konkreten Arzneimittel in der Kritik, sondern Schadstoffe aus Alltagsgegenständen, wie Weichmacher und Konservierungsmittel. 2016 bot der Artikel „Bitte nicht stören!“ in der Print-Ausgabe der DAZ einen ausführlichen Überblick zum Thema endokrine Disruptoren. 

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Aktuell titeln nun Zeitungen wie die Frankfurter Allgemeine „Macht Ibuprofen Töchter unfruchtbar?“ und „Ibuprofen am Pranger“. Grund genug, sich mit diesen beiden Punkten einmal auseinanderzusetzen.

Ein erster Verdacht: Ibuprofen und Töchter 

In der wissenschaftlichen Publikation, auf die sich die FAZ bezieht, wird zunächst einmal nicht die Frage gestellt „Macht Ibuprofen Töchter unfruchtbar?“ sondern festgestellt, dass Ibuprofen sich schädlich auf die Entwicklung des fetalen Ovars im ersten Schwangerschafts-Trimester auswirkt – wohlgemerkt ex vivo

Interessant ist diese Erkenntnis, weil von der Ibuprofen-Einnahme in den ersten zwei Schwangerschafts-Trimestern aktuell nicht abgeraten wird. Laut dem Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Charité-Universitätsmedizin Berlin zählt Ibuprofen in den ersten zwei Dritteln einer Schwangerschaft neben Paracetamol sogar zu den Mitteln der Wahl bei Schmerzen und Entzündungen. Ab Woche 28 sind NSAR jedoch generell zu meiden, weil sie zum vorzeitigen Verschluss des Ductus arteriosus (DA) Botalli beim Fetus führen. Ibuprofen gehört auch bei Säuglingen zu den Mitteln der Wahl bei Fieber und Schmerzen.

Der Effekt würde sich erst im Erwachsenenalter zeigen

Jede Frau besitzt nur eine begrenzte Anzahl an Eizellen. Würde diese Zahl schon in der Entwicklung des Fötus durch Ibuprofen vermindert, wären die Effekte (Unfruchtbarkeit, verfrühte Menopause) erst Jahrzehnte später erkennbar und kaum mit der damaligen Ibuprofen-Einnahme der Mutter zu verknüpfen.

Der nun geäußerte Anfangsverdacht des europäischen Forscherteams lässt sich mit dem Wirkmechanismus von Ibuprofen begründen. Denn sowohl die Cyclooxygenasen als auch Prostaglandin sollen in der fetalen Ovar-Entwicklung eine Rolle spielen. 

Was sagt die Fachinformation von Ibuprofen?

„Die Hemmung der Prostaglandinsynthese kann die Schwangerschaft und/oder die embryo-fetale Entwicklung negativ beeinflussen. Daten aus epidemiologischen Studien weisen auf ein erhöhtes Risiko für Fehlgeburten sowie kardiale Missbildungen und Gastroschisis nach der Anwendung eines Prostaglandinsynthesehemmers in der Frühschwangerschaft hin.“ 

„Die Anwendung von Ibuprofen kann, wie die Anwendung anderer Arzneimittel, die bekanntermaßen die Cyclooxygenase/Prostaglandinsynthese hemmen, die weibliche Fertilität beeinträchtigen und wird daher bei Frauen, die schwanger werden möchten, nicht empfohlen. Bei Frauen, die Schwierigkeiten haben schwanger zu werden oder bei denen Untersuchungen zur Infertilität durchgeführt werden, sollte das Absetzen von Ibuprofen in Betracht gezogen werden.“

Zwischen Labor-Versuch und echtem Leben

In der aktuellen Studie wurden Föten (Entwicklungswochen sieben bis 12) in der Folge von legal durchgeführten Abtreibungen (in den Jahren 2013 bis 2017) im Universitätskrankenhaus des französischen Rennes untersucht. Zum Schwangerschaftsabbruch wurde ein Standardprotokoll aus Mifepriston und Misoprostol angewandt. Untergruppen der Frauen erhielten präventiv gegen Schmerzen 400 oder 800 mg Ibuprofen. Die gewonnenen fetalen Eierstöcke wurden im Labor präpariert und kultiviert.

Als Maßstab für die anschließenden Laboruntersuchungen, galten die Ibuprofen-Konzentrationen, die im Nabelschnurblut von 13 Föten gemessen wurden. Im Blut der Föten war nur Ibuprofen nachweisbar, wenn die Mütter vor dem Schwangerschaftsabbruch Ibuprofen eingenommen hatten. Insgesamt wurden im Nabelschnurblut stark variierende Ibuprofen-Konzentrationen gemessen. Wenn beispielsweise zwei bis fünf Stunden zuvor 800 mg Ibuprofen von der Mutter eingenommen wurden: 0,37 µM / 6,36 µM oder 14,51 µM Ibuprofen.

Im Laborversuch reichten dann 10 µM Ibuprofen (einen Tag lang) aus, um die Prostaglandin E2 – Produktion im Gewebe signifikant um 66,3 Prozent zu senken.

In einem weiteren Versuch wurde gezeigt, dass wenn das Gewebe sieben Tage lang 10 µM Ibuprofen ausgesetzt war, sich die Zahl der Ovar-Zellen im Vergleich zu nicht exponierten Proben signifikant um 50 Prozent reduzierte – unabhängig von der Entwicklungswoche. Weitere Tests lassen vermuten, dass sich die Zellen nicht (schnell) vom verursachten Schaden erholen. Insgesamt wurden 185 Proben untersucht.

Nicht belegte Verdachtsmomente gegen Ibuprofen

Was laut Embryotox nicht ausreichend belegt ist:

1.Trimenon

  • in Fall-Kontroll-Studien beobachtetes leicht erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre (Septum-)Defekte und für Fehlgeburten
  • Zusammenhang zwischen einer Ibuprofen-Einnahme am Ende des ersten Trimenon oder zu Beginn des zweiten und dem Auftreten eines Hodenhochstands

2.-3. Trimenon

  • Zusammenhang zwischen NSAR und persistierendem pulmonalen Hypertonus beim Neugeborenen (PPHN) 
  • Zusammenhang zwischen einer Ibuprofen-Einnahme am Ende des ersten Trimenon oder zu Beginn des zweiten und dem Auftreten eines Hodenhochstands
  • Eine nekrotisierende Enterokolitis (NEC) beim Neugeborenen

Schmerzmittel in der Schwangerschaft

Neben Ibuprofen, wird auch an Paracetamol bezüglich des Einsatzes in der Schwangerschaft  immer wieder Kritik geäußert. Laut Embryotox ist Paracetamol zwar plazentagängig, erhöht jedoch nicht das Fehlbildungsrisiko – nach heutigem Wissen. Der kürzlich geäußerte Verdacht, Paracetamol könne bei Einnahme in der Schwangerschaft einen Hodenhochstand verursachen, sei bislang nicht bestätigt worden. Kürzlich bekräftigte auch eine BfArM-Empfehlung die auf Embryotox dargestellte Situation.

Das Fazit auf Embryotox lautet weiterhin: Bei medikamentös behandlungspflichtigen Schmerzen gehört Paracetamol in jeder Phase der Schwangerschaft zu den Analgetika der Wahl. Wie jede andere Schmerzmedikation auch, sollte es nicht unkritisch wochenlang eingenommen werden. Im dritten Trimenon gibt es keine besser erprobten Alternativen als Paracetamol.

Ein weiterer Verdacht: Ibuprofen und Testosteron

Auch Männer sind von der Diskussion um endokrine Disruptoren nicht ausgenommen. So tauchen immer wieder Meldungen auf, die von sinkenden Spermienzahlen berichten. Unklar bleibt dabei die Ursache und auch in diesem Fall, inwieweit diese Beobachtung tatsächlich die Fruchtbarkeit beeinflusst.  

Eine neue Studie, die im Januar dieses Jahres erschienen ist kommt zu dem Ergebnis, dass die Einnahme von Ibuprofen zu einem sogenannte kompensierten Hypogonadismus führen kann. Auf Medscape hat Prof. Dr. Thomas Eschenhagen, Direktor des Instituts für Experimentelle Pharmakologie und Toxikologie der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf zu den neuen Daten Stellung bezogen. In einer kurzfristigen Einnahme von Ibuprofen sehe er weiterhin kein Problem, jedoch liefere die Studie einen weiteren Grund bezüglich der Selbstmedikation mit Ibuprofen über eine längere Zeit hinweg – wie es im Breitensport teilweise üblich ist – kritisch zu sein. 



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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