Kassen-Mitarbeiter zu Zyto-Skandal

„Wir müssen dem vertrauen, was uns die Apotheke liefert“

Essen - 02.02.2018, 10:45 Uhr

Vor dem Landgericht Essen sagten am gestrigen Donnerstag zwei Kassenmitarbeiter im Bottroper Zyto-Skandal aus. (Foto: hfd / DAZ.online)

Vor dem Landgericht Essen sagten am gestrigen Donnerstag zwei Kassenmitarbeiter im Bottroper Zyto-Skandal aus. (Foto: hfd / DAZ.online)


Zeugenvernehmung nähert sich dem Ende

Bei von der Kasse abgerechneten Verwürfen müssten die Kassen gleichfalls die Unterlagen der Apotheken hierzu akzeptieren, wie beispielsweise eingesandte Herstellungsprotokolle. „Wir müssen dem vertrauen, was uns die Apotheke liefert“, sagte die Techniker-Mitarbeiterin. Einige wenige Verwürfe verfielen innerhalb von drei bis vier Stunden, hieß es in der Vernehmung – die meisten hätten eine längere Haltbarkeit. Auf die Frage, ob es umstritten sei, wie lange Zytostatika weiterverwendet werden dürfen, erklärte die Techniker-Mitarbeiterin: „Umstritten vielleicht“ – aber Haltbarkeitsangaben seien in der Hilfstaxe festgelegt. „Danach richten wir uns auch“, sagte sie.

Eine Überraschung gab es, als besprochen wurde, inwiefern ihr AOK-Kollege den Angeklagten kennt. „Ja, wir haben uns ja auch schonmal gesehen“, erklärte der Kassenmitarbeiter. Peter S. nickte daraufhin. Es habe Vertragsverhandlungen mit S. und drei weiteren Apothekern gegeben, die jedoch nicht in einen Vertrag mündeten, erklärte der Zeuge. „Im Rahmen dieser Vertragsverhandlungen hatten wir mal miteinander zu tun.“ Auf spätere Nachfrage des Staatsanwalts äußerte sich der Angeklagte zum ersten Mal im ganzen Verfahren selbst – zuerst lautlos, dann sagte er, dass er „einmal“ den AOK-Mitarbeiter gesehen habe. Die Verteidiger redeten sofort auf ihn ein – offenbar um ihn zu stoppen, weitere Aussagen vor Gericht zu machen. Zu den Vorwürfen gegen ihn schweigt S. bislang.

Was passiert bei Apothekenschließungen?

Während die Verteidiger zunächst verhindern wollten, dass auch die Nebenkläger das Fragerecht bekommen, und diese sich dieses vom Gericht erkämpfen mussten, nutzten sie selber wie schon bei den letzten Verhandlungstagen ihr eigenes Fragerecht kaum. Ein Verteidiger fragte den AOK-Mitarbeiter, ob die Kassen bei Leistung der Abschlagszahlung noch nichts über das wissen, was tatsächlich von den Apotheken geleistet wurde. „Das ist noch freundlich ausgedrückt“, erklärte der Zeuge. Auch fragte die Verteidigung, was passiere, wenn eine Apotheke schließt und später ein Retaxationsfall aufkommt. „Das ist noch nicht geregelt“, erklärte der AOK-Mitarbeiter: Die Kasse habe versucht, sich das Geld in einem Fall vom Rechenzentrum zurückzuholen, welches sich wiederum an den Apotheker habe wenden können, doch habe sie einen Prozess hierzu verloren.

Nach den Vernehmungen wurden einige Anträge gestellt. Ein Nebenklagevertreter beantragte, dass eine halbstündige Fernsehreportage als Beweismittel eingeführt wird, in der es auch ältere Videoaufzeichnungen von S. gebe. Ein weiterer Anwalt beantragte, die Retax-Ordner der Kassen zur Alten Apotheke als Beweismittel zu beschaffen. Ein anderer Nebenklagevertreter erklärte, womöglich müsse die bislang angenommene Schadenssumme von gut 56 Millionen Euro für Abrechnungen bei den gesetzlichen Kassen von 2012 bis 2016 nach oben korrigiert werden, da bislang die Verwürfe zu Gunsten des Angeklagten verrechnet worden seien.

Richter will Prozess zügig vorantreiben

Der Vorsitzende Richter machte zum Ende des Verhandlungstages klar, dass er den Prozess zügig vorantreiben will: Von den von Nebenklagevertretern angeregten Ladungen von Onkologen, Betroffenen oder auch der Bundeskanzlerin Angela Merkel wolle er keinen Gebrauch machen – außer hierzu würden noch formelle Beweisanträge eingereicht. Damit könnten schon in der kommenden Woche die Zeugenvernehmungen enden und am 14. Februar die Plädoyers beginnen, erklärte Hidding.

Doch auch heute äußerte ein Nebenklagevertreter, dass das Gericht einen weiteren Zeugen vernehmen solle – nämlich einen PTA-Ausbilder. Dieser soll bereits Monate vor der Inhaftierung von S. die zuständige Amtsapothekerin Hanneline L. darauf aufmerksam gemacht haben, dass in der Apotheke abgelaufene Zytostatika eingesetzt würden. Diese hatte dieser Darstellung jedoch bei ihrer Vernehmung am Mittwoch widersprochen und erklärt, dass es bei dem Gespräch mit dem PTA-Ausbilder nur um die zulässige Verwendung von Anbrüchen gegangen sei.

Außerdem beschloss Hidding, dass den Nebenklagevertretern Einsicht in weitere Akten gewährt wird, darunter Grundbuchakten um die Übertragung und Rückübertragung der Apotheke zwischen den Eltern des Zyto-Apothekers an seinen Sohn. Aufnahmen aus dessen Privathaus werden jedoch geschwärzt. Zugang zu Umsatzlisten seiner Konten gewährte der Vorsitzende Richter den Nebenklägern nicht – auch da diese so schutzwürdige Daten der Patienten, die bei S. Arzneimittel eingekauft haben, erhielten.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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