Pharmacon Schladming 2018

Psychopharmaka sinnvoll kombinieren

Stuttgart / Schladming - 23.01.2018, 16:50 Uhr

Eine Wirkung bei Antidepressiva müsse bereits nach zwei Wochen einsetzen, sagt Dr. Otto Dietmaier. (Foto: cel / DAZ.online)

Eine Wirkung bei Antidepressiva müsse bereits nach zwei Wochen einsetzen, sagt Dr. Otto Dietmaier. (Foto: cel / DAZ.online)


Macht die Kombination zweier Antidepressiva Sinn? Ist die gleichzeitige Gabe eines Neuroleptikums wie Quetiapin mit einem Antidepressivum zweckmäßig – und welche Patienten profitieren davon? Dr. Otto Dietmaier hat beim Pharmacon in Schladming sinnvolle und riskante Therapieschemata bei Psychopharmaka vorgestellt. Ist eine kurzfristige Komedikation mit einem Benzodiazepin noch immer das Mittel der Wahl zu Beginn einer Therapie mit aktivierenden Psychopharmaka? Und wann setzt die Wirkung von Citalopram ein?

„Polypharmazie ist in der Psychiatrie die Regel, eine Monotherapie eher die Ausnahme“, sagt Dr. Otto Dietmaier. Der Apotheker leitet die Krankenhausapotheke am Zentrum für Psychiatrie am Klinikum am Weisenhof in Weinsberg – und hat beim Pharmacon in Schladming in der vergangene Woche einen Einblick in zweckmäßige und weniger sinnvolle Arzneimittelkombinationen bei Psychopharmaka gegeben. Immerhin zwei Drittel der Patienten nehmen zwei oder mehr Psychopharmaka ein. 

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Den hohen Einsatz psychopharmazeutischer Arzneimittel betätigen auch die Zahlen des aktuellen Arzneiverordnungsreports 2017: Psychopharmaka zählen zu den am dritthäufigsten verwendeten Arzneimitteln überhaupt. Innerhalb der Psychopharmaka-Gruppe führen Antidepressiva mit weitem Abstand: Die Ärzte verschreiben bundesweit allein im ambulanten Sektor eine beachtliche Zahl von knapp 1,5 Milliarden Tagesdosen pro Jahr – und diese Patienten kommen in die Apotheke.

Hohe Non-Response bei Psychopharmaka

Warum ist das so? Warum dominiert die Polypharmazie in der Psychiatrie? Die Antwort ist deutlich weniger komplex als die eingesetzten Therapieschemata – nur bei den wenigsten Patienten wirkt eine schlichte Monotherapie. „Ein Drittel ist der Patienten spricht auf die erste Therapie nicht an, ein weiteres Drittel reagiert zwar, jedoch nur insuffizient“, sagt der Fachapotheker für klinische Pharmazie. Somit bleibt nur ein Drittel, das mit einem ersten Therapieversuch ausreichend behandelt werden kann. Diese hohe Non-Responz stuft Dietmaier durchaus als „bedenklich“ ein. Seine Schlussfolgerung: „Wir benötigen dringend neue, bessere Medikamente.“ Auch die Rezidiv-Quoten bestätigen diesen Eindruck. Besonders ausgeprägt seien Rezidive bei Schizophrenie-Patienten: Trotz Therapietreue, erlitten bis zu 40 Prozent nach zwei Jahren ein psychotisches Wiederauftreten ihrer Erkrankung.

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Neben einer polypharmazeutischen Therapie bereits mit Psychopharmaka sind viele psychiatrische Patienten zusätzlich noch somatisch erkrankt, was die Arzneimitteltherapie zusätzlich komplexer macht. Mindestens jeder zweite Patient erhält zu seinen Psychopharmaka noch Nicht-Psychopharmaka. Bei all diesen Kombinationstherapien – wie erkennen Apotheker sinnvolle und weniger sinnvolle Kombinationen? „The good, the bad and the ugly – wir haben gute, nicht so gute und hässliche Kombinationen in der Psychiatrie“, erklärt Dietmaier.

Gute antidepressive Kombi: SSRI / SNRI plus Mirtazapin oder Tricyclica

Eine zweckmäßige Kombination bei wahnhaften Depressionen ist laut Dietmaier ein Antidepressivum plus ein Antipsychotikum. Gleichermaßen berechtigt ist der duale Ansatz bei depressiven Patienten mit einer Non-Responz auf eine antidepressive Monotherapie. Retardiertes Quetiapin ist hier als Zusatztherapeutikum bei Major Depressionen zugelassen, wenn Patienten unzureichend auf eine Monotherapie angesprochen haben. Allerdings erwähnt die Leitlinie auch die Off-label-Anwendung von Aripiprazol, Olanzapin und Risperidon. Auch ohne Zulassung setzten Psychiater diese Neuroleptika unter entsprechen Auflagen im klinischen Alltag ein, sagt Dietmaier.


Citalopram: Nach zwei Wochen sollte eine suffiziente Wirkung zu beobachten sein. 

Dr. Otto Dietmaier, Leiter der Krankenhausapotheke am Zentrum für Psychiatrie am Klinikum am Weisenhof in Weinsberg


Wie sieht die Sinnhaftigkeit einer Kombination zweier Antidepressiva aus? „Geht das?“, fragt der Klinikapotheker. „Ja, aber nur in bestimmten Kombinationen“. Sinnvolle und übliche antidepressive Therapieschemata berücksichtigen die Kombination eines SSRI beziehungsweise SNRI mit einem Tricyclicum oder Mirtazapin.

Citalopram muss nach zwei Wochen wirken

Antidepressivum plus Benzodiazepin – auch das sei  noch immer eine empfehlenswerte Kombination, wenn die Überbrückung der Wirklatenz eines aktivierenden Antidepressivums gewünscht sei. Der Einsatz des Bezodiazepins muss kurzfristig erfolgen und darf nicht zur Dauermedikation mutieren. Ab wann dürfen Patienten mit einer Besserung ihrer Depression und mit einer stimmungsaufhellenden Wirkung rechnen? Wann wirkt beispielsweise Citalopram – nach vier Wochen? Eher früher oder sogar noch später? „Nach zwei Wochen sollte eine suffiziente Wirkung zu beobachten sein,“ sagt Dietmaier. Nur dann könne man auch ein längerfristiges Ansprechen der Therapie erwarten.

Antidepressivum plus Stimmungsstabilisierer sei eine weitere wichtige Kombination, vor allem Patienten mit bipolaren Störungen profitierten davon. Manie und Depression zusammen – hier sei es unmöglich der Erkrankung mit einer Monotherapie beizukommen.

Agranulozytose, Serotonin-Syndrom und QT-Zeit-Verlängerung bei Psychopharmaka-Kombinationen

Problematisch bewertet sei mittlerweile die früher üblicherweise praktizierte Kombination zweier FGA, first generation antipsychotica, wie Haloperidol plus Fluphenazin. Hier hapere es an der Evidenz. Auch Kombinationen innerhalb der SGA, second generation antipsychotica, erachtet Dietmaier aufgrund mangelnder Wirksamkeitsbelege für nicht zweckmäßig und empfehlenswert. Einzige Ausnahme: Kombinierte Clozapin-Therapien seien klinisch etabliert.

Clozapin plus Metamizol: ein „No-go“

Was sind nun risikobehaftete Kombinationen? Hierzu zählen Therapieschemata, deren Nebenwirkungsprofil sich wechselseitig potenziert. Klassiker hier ist die Agranulozytose unter Clozapin. Sei die blutbildschädigende Wirkung von Clozapin per se gut zu monitoren – der Arzt ist verpflichtet, das weiße Blutbild in den ersten 18 Wochen wöchentlich, anschließend monatlich zu kontrollieren – sind laut Dietmaier Kombinationen von Clozapin mit Metamizol, Carbamazepin oder dem Thyreostatikum Carbimazol ein absolutes „No-go“. Was sind Hinweise einer Leukopenie? Klage der Patient über andauernde Halsschmerzen, fühle sich abgeschlagen und  beschreibe grippeähnliche Symptome, könne auch einmal eine beginnende Leukopenie dahinterstecken, mahnt der Apotheker.

Welche schwere Nebenwirkung droht bei der Kombination eines SSRI und eines MAO-Hemmers? Die gleichzeitige Gabe des irreversiblen MAO-Hemmers Tranylcypromin mit serotonerg wirksamen Antispychotika ist absolut kontraindiziert. Die Gefahr, dass Patienten ein – unter Umständen lebensbedrohliches – Serotonin-Syndrom entwickeln, ist zu hoch. Dietmaier erinnert auch an die Wartezeiten, die Ärzte und Patienten beim Wechsel einer MAO-Hemmer-Therapie auf serotonerge Wirkstoffe einhalten müssen.

Hellhörig sollten Apotheker auch werden, bei Kombinationen von Substanzen, die kardiale Nebenwirkungen verursachen – QT-Zeit-Verlängerungen. Bei den Antidepressiva gehören hier vor allem Tricyclica dazu, aber auch Citalopram und Escitalopram. Bei QT-Zeit-Veränderungen sollten Apotheker zusätzlich an Antibiotika aus der Gruppe der Makrolide denken oder an Arzneimittel aus dem Bereich der Selbstmedikation, wie das Antihistaminikum Diphenhydramin.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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