BMG-Mitarbeiter sagt als Zeuge aus

„Ein ungeheuerlicher Vorgang“

Berlin - 19.01.2018, 17:40 Uhr

Vor dem Landgericht Berlin wurde heute ein früherer BMG-Beamter als Zeuge vernommen. (Foto: Külker)

Vor dem Landgericht Berlin wurde heute ein früherer BMG-Beamter als Zeuge vernommen. (Foto: Külker)


Die beschwerliche Arbeit an der Novelle der Apothekenbetriebsordnung ab dem Jahr 2010 stand am heutigen Freitag im Mittelpunkt des Strafprozesses gegen Ex-ABDA-Sprecher Thomas Bellartz und den Systemadministrator Christoph H. Der seinerzeit im Bundesgesundheitsministerium für diese Verordnung zuständige Jurist schilderte als erster Zeuge im Prozess, wie ihm damals das Leck im Ministerium offenbar wurde. „Wir waren verzweifelt und verärgert“, erklärte er vor Gericht.

Am dritten Prozesstag im Verfahren um mutmaßlich ausgespähte Daten aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) stand die erste Zeugenbefragung an. Geladen war am heutigen Freitag der Jurist, der seit 2005 und bis 2016 im damals für den Apothekenbetrieb zuständigen Fachreferat des Ministeriums tätig war. Er war der einzige Jurist unter mehreren approbierten Apothekern in seiner Abteilung. Und in dieser Funktion oblag es ihm auch, Änderungen an der Apothekenbetriebsordnung zu prüfen und zu erarbeiten. Lange habe man schon an der Novelle gearbeitet, schilderte er – denn Änderungen an Regelungen, die die Apotheker betreffen, seien stets schwierig, sehr umstritten und dauerten Jahre.

Der erste Entwurf für eine geänderte Apothekenbetriebsordnung

Im Mai 2010 habe man dann einen solchen internen Entwurf mitsamt ausführlicher und dreifarbig gestalteter Synopse erstellt. Auch die Ministervorlage, die kurz darlegt, worum es geht, war geschrieben – doch der Minister (damals Philipp Rösler, FDP) hatte sie noch nicht gesehen. Da habe Apotheke Adhoc von dem Entwurf berichtet und aus der Ministervorlage zitiert. „Das war ein ziemlich ungeheuerlicher Vorgang“, sagte der Zeuge vor Gericht. „Wir konnten uns das nicht erklären“. Im Juni 2010 habe er dann bei einem Termin am Bundesverwaltungsgericht – es ging um das Visavia-Verfahren – den Apotheke-Adhoc-Redakteur Alexander Müller getroffen. Dieser habe ihn auf den Entwurf der Apothekenbetriebsordnung angesprochen. „Ich fand das unverschämt“, so der Zeuge. Er habe Müller gesagt, man habe diesen Entwurf „nur durch eine strafbare Handlung erlangt“ haben können. Daraufhin habe dieser ihn nicht weiter gefragt. Im Juli 2010 habe der Entwurf dann weitere Kreise gezogen. Bei einer Anhörung mit ABDA-Vertretern hätten diese seinem Eindruck nach die BMG-Synopse vorliegen gehabt. Auf Nachfrage räumte der Zeuge zwar ein, dass das Papier „zu weit weg“ war, um es genau zu sehen. Doch er und seine Ministeriumskollegen hätten damals alle gedacht, dass es sich um die Synopse handelte, die die damalige Referatsleiterin erstellt hatte. „Die Apothekerschaft war also bestens informiert“.  

Brisante Apothekenthemen

Der Zeuge betonte, dass der Entwurf „hohe politische Brisanz“ hatte. Auf Nachfrage des Gerichts schildete er einige Details aus dem ersten Entwurf – und was letztlich aus ihnen geworden ist. Man habe damals einige „Erleichterungen“ für die Apotheker vorgesehen. Zum Beispiel hätten nicht alle Apotheken eine Abzugsvorrichtung vorhalten müssen, wenn sie sie nicht benötigten. Zudem seien Änderungen bei Rezeptsammelstellen vorgesehen gewesen, die dann höchst umstritten waren. Und auch die damals von der ABDA hart bekämpften Pick-up-Stellen spielten eine Rolle. Doch alle diese „Erleichterungen“ seien am Ende gestrichen worden. „Am Ende blieb überwiegend eine Belastung“ übrig, so der Zeuge. Offenbar habe die ABDA im Gegenzug auf eine bessere Honorierung der Apotheker gesetzt.

Ministerium „in der Öffentlichkeit lächerlich gemacht“

Nach den ersten Berichten auf Apotheke Adhoc, die aus dem Entwurf zitierten, habe er immer wieder geschaut, ob es „neue Enthüllungen“ gebe. Und das Nachrichtenportal berichtete weiter. „Mir war sofort klar, dass wir ein Leck haben“, so der BMG-Beamte vor Gericht. Es sei schon „ungewöhnlich“ gewesen, dass Interna seiner Abteilung „ein paar Stunden später im Netz zu finden waren“. Zwar sei es auch zuvor schon vorgekommen, dass Informationen „durchgestochen“ wurden. Aber nicht so dauerhaft und systematisch wie zu dieser Zeit. Es seien sogar Korrekturen aufgegriffen worden, von denen eigentlich niemand hätte wissen können. So habe es im Verfahren mit dem Bundesrat einmal eine Korrektur im Verordnungsentwurf gegeben, die wiederum korrigiert werden musste. Mit dem Bericht auf Apotheke Adhoc über diesen Vorgang, sei das Ministerium „in der Öffentlichkeit lächerlich gemacht“ worden. Der Jurist: „Wir waren verzweifelt und verärgert“. Er habe sich überlegt, wo das Leck liegen könnte. Die eigene Abteilung schloss er aus – doch er vermutete es im Leitungsbereich. Dieser habe damals um die 30 oder 40 Personen umfasst, das Ministerbüro, das der Staatssekretäre die Presseabteilung, das Kabinettsreferat. Er habe auch beim Personalrat verlangt, dass hier etwas geschehen müsse. Eine Strafanzeige habe er selbst nicht stellen können, dafür habe ihm die Antragsbefugnis gefehlt.

Ein informelles Treffen mit dem Phagro

Dann schilderte der Zeuge ein weiteres Ereignis, das für ihn nicht zu erklären war: Anfang August 2010 habe es ein informelles Gespräch mit dem Großhandelsverband Phagro gegeben. Bernadette Sickendiek vom Phagro sei dafür nach Bonn gereist. Am Abend nach diesem Gespräch habe die Phagro-Pressesprecherin ihn noch angerufen, schilderte der Zeuge. Sie habe ihm erzählt, dass Alexander Müller von Apotheke Adhoc sie abgefangen und angesprochen habe: Er wisse aus sicherer Quelle, dass es ein Gespräch zwischen Phagro und BMG gegeben habe. Das erstaunte nicht nur die Phagro-Mitarbeiterin, sondern auch den Ministeriumsjuristen: „Woher kann der das wissen? Wird mein Telefon abgehört?“.

In der Folge war der Zeuge offensichtlich sensibilisiert für Pressemeldungen aus seinem Arbeitsbereich. So empfand er es auch als „skandalträchtigen Vorgang“, dass DAZ.online am 13. April 2011 ein Eckpunktepapier zum Entwurf der Apothekenbetriebsordnung zum Download bereithielt. Am selben Tag hatten jedoch mehrere Medien über das Papier berichtet, darunter auch die Berliner Zeitung. Der Jurist behielt sowohl DAZ.online als auch Apotheke Adhoc im Auge. Seinem Eindruck nach haben beide Portale abwechselnd mit Exklusivmeldungen aufgewartet. Wobei Adhoc „schon am forschesten und schnellsten“ war. Er vermutete, es gebe einen Maulwurf, der die Informationen verteilte – „ohne, dass ich das belegen könnte” – oder auch verschiedene Lecks.

Wie gut waren die Daten gesichert?

Der Zeuge schilderte überdies die üblichen Wege eines Verordnungsentwurfs von der Fachabteilung bis hin zum Kanzleramt. Die Verteidigerin von H. wollte vom Zeugen zudem einiges zur Sicherung der Daten wissen: Wer hatte zu welchen Datenbanken Zugriff, gab es Datenschutzvorgaben? Der Zeuge erklärte unter anderem, dass auf die gemeinsamen Arbeitsordner die acht Mitarbeiter in seiner Abteilung sowie die (Unter-)Abteilungsleiter Zugriff gehabt hätten. Zudem schilderte er, dass der Mail-Verkehr etwa alle 1,5 Jahre auf CD gebrannt wird und diese dann in seinem Büro beziehungsweise im Sekretariat aufbewahrt wird. Was die IT-Anforderungen betrifft, so habe es Vordrucke gegeben, die unterschrieben werden mussten.

Weiteres Leck in der Pressestelle?

Bellartz` Verteidiger ließ den Zeugen nochmals die damalige FDP-Besetzung im BMG nachzeichnen: Zunächst war Philipp Rösler Gesundheitsminister. Er wurde im Mai 2011 durch Daniel Bahr abgelöst, der zuvor Staatssekretär war. Rösler wechselte ins Bundeswirtschaftsministerium. Mit Rösler kam auch ein neuer Pressesprecher ins BMG: Christian Lipicki, der später ebenfalls ins Wirtschaftsministerium wechselte, allerdings nicht als Pressesprecher. Wegner stellte nochmals heraus, dass Lipicki zuvor bei der Berliner Zeitung tätig war. Auf seine Nachfrage sagte der Zeuge, Frau Sickendiek hätte einmal den Hinweis gegeben, dass der Pressesprecher vielleicht die undichte Quelle gewesen sei. Er betonte allerdings, dass dies nur als Gerücht kolportiert wurde.

Die beiden Anwälte kündigten an, zu Beginn der nächsten Sitzung ein Statement zu der Zeugenaussage abzugeben. Wegner merkte allerdings schon vorab an, dass die Aussagen des Zeugen seines Erachtens schon vom Zeitablauf nicht zu den Thesen der Staatsanwaltschaft passten.

Zum Schluss gab es noch eine weitere Entscheidung: Elke Hinkelbein, frühere Ehefrau von Thomas Bellartz und Mitbegründerin von Apotheke Adhoc, will von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen. Es bestand allgemeines Einverständnis, sie deshalb als Zeugin abzubestellen.   

Kommende Woche Freitag steht der nächste Verhandlungstermin am Landgericht Berlin an.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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1 Kommentar

seltsam

von Florian Becker am 24.01.2018 um 9:23 Uhr

"..Mir war sofort klar, dass wir ein Leck haben“, so der BMG-Beamte vor Gericht. Es sei schon „ungewöhnlich“ gewesen, dass Interna seiner Abteilung „ein paar Stunden später im Netz zu finden waren“. Zwar sei es auch zuvor schon vorgekommen, dass Informationen „durchgestochen“ wurden. Aber nicht so dauerhaft und systematisch wie zu dieser Zeit..."

Also irgendwie erinnert mich das an was....
Ich bin mal gespannt, ob das Vögelchen, das die Details des Honorargutachtens ausgezwitschert hat, auch vor Gericht landet..

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