Gestreckte Krebsmittel?

„Herr S. geht wieder mit Zytostatika spielen“

Essen - 18.01.2018, 17:55 Uhr

Der frühere Apothekenmitarbeiter und Whistleblower Martin Porwoll (rechts) mit seinem Zeugenbeistand vor seiner mehrstündigen Aussage vor dem Landgericht Essen. (Foto: hfd)

Der frühere Apothekenmitarbeiter und Whistleblower Martin Porwoll (rechts) mit seinem Zeugenbeistand vor seiner mehrstündigen Aussage vor dem Landgericht Essen. (Foto: hfd)


Porwolls Vater an Krebs erkrankt und gestorben

Im Jahr 2015 sei sein Vater an Krebs erkrankt und verstorben, was das Thema „Zyto-Herstellung“ für ihn wieder auf den Tisch brachte, erklärte der Zeuge – da „natürlich auch im Raum stand“, dass er Therapien von der Bottroper Apotheke bekommt. Von Kollegen hätte er zuvor schon gehört, „dass das nicht so gut wäre“. Im Februar 2016 habe er dann angefangen, sich einige Wirkstoffe genauer anzusehen, die wenige Jahre zuvor auf den Markt gekommen waren – und die eingekaufte Menge mit der verschriebenen verglichen. „Das sind zwei Summen, die stellt man nebeneinander – und dann stellt man fest, dass es eine Diskrepanz gibt“, erklärte Porwoll. Teils seien nur gut 30 bis 45 Prozent der verkauften Wirkstoffmenge eingekauft worden – auch habe er eines Tages S. gesehen, wie er bei einer Liefermenge von drei Ampullen eines Arzneimittels acht als Warenbestand verbucht habe. Bei der Bedeutung des Fundes „gab es für mich keine Alternative mehr, außer das zur Anzeige zu bringen“, sagte Porwoll vor Gericht. Mit dem Apotheker zu sprechen, sei für ihn nicht in Frage gekommen.

Im Schreiben an das Gericht hatten die Verteidiger von S. vorgebracht, dass die Differenzen durch Schwarzmarkteinkäufe oder unberücksichtigte Anfangsbestände zu erkären seien. Andere Einkaufswege beispielsweise auf dem Kofferraum eines Hexal-Vertreters seien ihm nicht bekannt, erklärte Porwoll.

Razzia im November 2016

Am 29. November 2016 kam es zur Razzia. „Natürlich war man schockiert“, erklärte Porwoll zur Frage, wie die Eltern von S. hierauf reagiert haben. „Man hat überlegt, wie man möglicherweise schnell die Inhaftnahme verhindern könnte“, doch seien sie im Großen und Ganzen gefasst gewesen. „Ich habe doch immer gesagt, dass Peter nicht mit seinem Anzug ins Labor gehen sollte“, zitierte Porwoll dessen Vater aus seiner Erinnerung. In einem Gespräch haben ihm der Vater, der Steuerberater von S. sowie ein Anwalt vorgeworfen, „das getan zu haben, was ich getan habe“, sagte der Zeuge. Er habe auf den Rat seines Anwalts geschwiegen. Ihm sei bei dem Gespräch fristlos gekündigt worden. „Das hätte man auch irgendwie anders regeln können“, habe ihm der Anwalt von S. an dem Tag gesagt. Zur Sprache kam laut Porwoll auch eine mögliche Rückübertragung der Apotheke an die Eltern des Zyto-Apothekers.

Auf die Frage des Staatsanwalts, warum S. als Chef in der Herstellung gearbeitet habe, zitierte Porwoll seinen früheren Chef: Weil er „es gut kann“, habe dieser ihm gesagt. S. habe sich morgens die Herstellungen rausgesucht, die er selber übernehmen wolle. Ein System bei mutmaßlichen Unterdosierungen könne er selber nicht erkennen, erklärte der Zeuge. Auf die Frage der Nebenklägerin Heike Benedetti, die seit Herbst 2017 monatliche Demonstrationen in Bottrop organisiert, erklärte Porwoll, dass die Zyto-Apotheke onkologischen Praxen teilweise Geschenke gemacht habe: Die Kosten für die Weihnachtsfeier einer Bottroper Praxis sei übernommen worden.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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