Arzneimittel-Synthese

Mögliche neue Antibiotika aus Balsamapfel und Co.?

Düsseldorf - 19.12.2017, 07:00 Uhr

Derivate der Naturstoffklasse der
polyzyklischen polyprenylierten Acylphloroglucine (PPAP), die auch im Balsamapfel enthalten sind, könnten eine antibiotische Wirkung haben. (Foto: dpa)

Derivate der Naturstoffklasse der polyzyklischen polyprenylierten Acylphloroglucine (PPAP), die auch im Balsamapfel enthalten sind, könnten eine antibiotische Wirkung haben. (Foto: dpa)


Im Kampf gegen multiresistente Krankheitserreger haben Forscher der Universitäten Stuttgart und Tübingen jetzt das Potenzial neuartiger Antibiotika zeigen können, die sie synthetisch als Derivate der Naturstoffklasse der polyzyklischen polyprenylierten Acylphloroglucine (PPAP) erzeugten. Entdeckt wurde die Substanzklasse vor rund 20 Jahren in Extrakten einer tropischen Zimmerpflanze.

Die Menschheit nutzt viele wirksame Arzneimittel zum Teil bereits seit langer Zeit, ohne dabei unbedingt zu wissen, was genau eigentlich wie wirkt. Insbesondere gilt das für Heilmittel aus der Natur, bei denen viele wirksame Komponenten erst in jüngerer Zeit identifiziert werden konnten. Eine dieser wirksamen Naturstoffklassen sind die sogenannten polyzyklischen polyprenylierten Acylphloroglucine, kurz PPAP. Chemisch betrachtet besitzen sie alle ein Bicyclo[3.3.1]nonan-2,4,9-trion-Grundgerüst, an dem sich etliche ungesättigte Seitenketten befinden.

„Die Naturstoffklasse der PPAPs umfasst mittlerweile mehr als 400 bekannte Mitglieder. Zahlreiche davon finden sich als aktive Komponenten in Pflanzen, wie etwa das Hyperforin im Johanniskraut, das Garcinol in der Kokum-Frucht (Garcinia indica) oder das Clusianon etwa im Balsamapfel (Clusia rosea)“, erklärt Bernd Plietker, Professor am Institut für Organische Chemie der Universität Stuttgart. Seine Arbeitsgruppe hat jetzt gemeinsam mit Biologen um den emeritierten Professor Friedrich Götz vom Interfakultären Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin der Universität Tübingen Wege gefunden, künstliche Derivate der PPAPs mit einem hohen antibiotischen Potenzial zu synthetisieren und ihre Wirkung gegen multiresistente Problem-Krankheitserreger wie den Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA) zu zeigen.

Wirksamer Inhaltsstoff zahlreicher „Hausmittelchen“

„Zahlreiche PPAP enthaltende Pflanzen zählen zur Gruppe der ‚Hausmittelchen‘, die traditionell als Tinkturen, Tees oder als Pasten verwendet werden“, sagt Plietker. Nachdem sich in den vergangenen Jahren, nachdem die Naturstoffklasse vor allem in Vertretern der Pflanzenfamilie der Clusiaceen isoliert wurde, Biologen und Chemiker mit PPAPs beschäftigten, sei die antibiotische Wirkung vieler Extrakte bekannt gewesen. Clusia rosea, eigentlich Clusia major, ist dabei als „Balsamapfel“ auch als Zimmerpflanze beliebt.

 „In den Neunziger-Jahren konnten Hyperforin und Garcinol bereits als antibiotische Verbindungen isoliert und strukturell charakterisiert werden. Ihre Wirkung wurde beschrieben, allerdings konnte zum Beispiel für das Hyperforin gezeigt werden, dass es phototoxisch ist“, sagt er. Zahlreiche weitere Vertreter der PPAPs mit zum Teil starker antibiotischer Wirkung seien gefunden worden.

Nicht-natürliche Derivate mit stärkerer Wirkung als Vancomycin

„Allerdings fehlte es in allen Fällen an einer effizienten Synthese, die es auch ermöglicht, nicht-natürliche Derivate mit eventuell verbesserter Aktivität darzustellen. Das definierte den Ausgangspunkt unserer eigenen Forschungsarbeit. Wir haben uns gefragt, ob es nicht gelingen könnte, durch die strikte Trennung von gerüstaufbauenden und -diversifizierenden Schritten innerhalb der Synthese einen generellen Zugang zu einer Unterfamilie der PPAPs, den trans-Typ B PPAPs zu entwickeln.“ Nach acht Jahren Entwicklung war der Gruppe das bereits im Jahr 2011 erfolgreich gelungen.

Nachdem das Verfahren etabliert wurde sei man im folgenden einen Schritt weiter gegangen. „In Kooperation mit Professor Friedrich Götz von der Uni Tübingen haben wir eine Bibliothek natürlicher und nicht-natürlicher PPAP-Derivate dargestellt und hinsichtlich ihrer Aktivität gegen sieben grampositive Problemstämme getestet. Dabei konnten wir vier Kandidaten mit guter Aktivität, die vergleichbar oder sogar besser ist als die von Vancomycin, einem aktuellen Reserveantibiotikum, identifizieren, die moderate Zytotoxizität zeigen.“ Der Artikel zu diesen Arbeiten erschien jetzt im Fachmagazin Angewandte Chemie.

Ausgehend von acht natürlichen PPAPs hatten die Forscher schließlich insgesamt 23 Derivate synthetisiert, deren antibiotische Wirksamkeit sie unter anderem am MRSA-Isolat Staphylococcus aureus USA300 sowie an dem Vancomycin-intermediär-sensiblen (VISA) Staphylococcus aureus-Stamm Mu50 sowie an Vancomycin-resistenten Enterokokken testeten. Vier synthetische nicht-natürliche Verbindungen zeigten dabei hohe Aktivität, eine davon besonders. „Der Wirkmechanismus dieser Antibiotika muss sicherlich noch geklärt werden. Das ist Gegenstand unserer laufenden Arbeiten“, erklärt der Professor. Bislang könne man aber ausschließen, dass die untersuchten PPAPs die Zellwandsynthese der grampositiven Bakterien hemme, wie das der Fall bei den peptid-basierten Antibiotika Vancomycin oder Teicoplanin ist.

Wirkmechanismus noch unbekannt

Auf dem weiteren Weg zur Entwicklung eines Arzneimittels müsse auch noch die Wasserlöslichkeit der sehr lipophilen Verbindung verbessert werden. „Hier sind wir, denke ich, auf einem guten Weg. Beides ist wichtig, um den nächsten Schritt, die Aufklärung der Pharmakokinetik, angehen zu können. Wir sind an einem Punkt angekommen, wo Grundlagenforschung weitergeführt, aber auch der Anwendungsbezug zunehmend bedeutender wird“, erklärt der Forscher.

Daher organisiere man derzeit einen Forschungsverbund mit dem Ziel, die aktiven Verbindungen weiter in Richtung Anwendung zu bringen. Neben der Gruppe aus dem Institut für Organische Chemie der Uni Stuttgart sollen Wissenschaftler des Instituts für Biotechnologie der Uni Stuttgart, der Immunologie-Gruppe Götz der Uni Tübingen sowie einer Gruppe des Leibniz-Instituts Borstel dazu auf breiter Front kooperieren. „Fragestellungen zur Toxizität, Wirkungsmechanismus, Pharmakokinetik, aber auch der metabolischen Stabilität werden vor dem Hintergrund von MRSA und VISA, aber auch dem resistenter Tuberkulose-Erreger bearbeitet. Ziel ist es, innerhalb der kommenden vor Jahre soweit zu kommen, dass man die Aktivität auch im Tiermodell nachweisen kann“, sagt Plietker.

Die bisherigen Daten, aber auch die entwickelte einfache Synthese stimmten ihn optimistisch für die Entwicklung der PPAPs als Antibiotikum. „Die von uns entwickelte Synthese ist kurz – sechs bis zehn Stufen ausgehend von Acetylaceton – und kann skaliert werden. Die Chancen, auch große Mengen in einer betriebswirtschaftlich sinnvollen Weise produzieren zu können, schätze ich sehr hoch ein“, sagt der Professor. „Die PPAPs stellen eine interessante nicht-peptidbasierte neue Wirkstoffklasse in der Antibiotikaforschung dar. Wir sehen aber auch sehr klar, dass es noch sehr starken Forschungs- und Entwicklungsbedarf gibt“, sagt er.



Volker Budinger, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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