Neurodegenerative Erkrankung

Antisense-Therapie schürt Hoffnung bei Chorea Huntington

Stuttgart - 15.12.2017, 09:20 Uhr

Chorea Huntington, früher auch Veitstanz genannt, ist derzeit unheilbar. Eine Antisense-Therapie scheint vielversprechend. (Foto: panithi33 /stock.adobe.com)

Chorea Huntington, früher auch Veitstanz genannt, ist derzeit unheilbar. Eine Antisense-Therapie scheint vielversprechend. (Foto: panithi33 /stock.adobe.com)


Ein Arzneimittel gegen Chorea Huntington – noch ist es Zukunftsmusik. Doch vielleicht rückt mit IONIS-HTTRx – aus der Pipeline von Ionis und Roche – diese Zukunft für an Chorea Huntington Erkrankte doch in greifbarere Nähe. In ersten Studien an Huntington-Patienten  reduzierte die Antisense-Behandlung mit IONIS-HTTRx die Konzentration des mutierten, krankmachenden Proteins Huntingtin. Wie wirkt IONIS-HTTRx? Und verbessert der Wirkstoff auch die Progression bei Chorea Huntington?

Chorea Huntington ist eine neurodegenerative Erkrankung, die sich vorwiegend im Striatum manifestiert. Früher auch unter „Veitstanz“ bekannt, hat sich mittlerweile zwar die wissenschaftliche Bezeichnung der Erkrankung etabliert – die Behandlung hingegen ist gegenwärtig noch immer suboptimal. Sie zielt auf eine symptomatische Therapie der Hyperkinesien und des Rigors ab. Chorea Huntington oder Huntington`s Disease (HD) ist nicht heilbar. Neue Arzneimittel und Therapieoptionen bei Huntington tun Not – einen vielversprechenden Ansatz verfolgen Wissenschaftler um Sarah J. Tabrizi vom University College London (UCL). In einer ersten, am Menschen durchgeführten Phase-1/2a-Studie, erzielten sie mittels einer Antisense-Therapie mit IONIS-HTTRx hoffnungsvoll stimmende Erfolge. 

Grundlagen der Huntington Disease

Was läuft schief bei Chorea Huntington? Wo reguliert der Körper falsch, dass letztlich die tödliche Krankheit entsteht? Das – zumindest in groben Zügen – zu verstehen, ist Voraussetzung, um auch den Angriffspunkt eines potenziellen Arzneimittels und die positiven Effekte durch eine Antisense-Therapie mit IONIS-HTTRx nachzuvollziehen.

Die Erkrankung Chorea Huntington

Chorea Huntington wird durch ein bestimmtes Protein, Huntingtin, ausgelöst. Der für Huntingtin codierende Genabschnitt findet sich auf dem kurzen Arm des Chromosoms 4. Von Bedeutung bei der Pathophysiologie der Huntington Disease ist eine repetitive Sequenz des Basentripletts CAG in diesem Genabschnitt. Gesunde Menschen weisen 16 bis 20 Wiederholungen an CAG auf, während Huntington-Patienten 40 CAG-Sequenzen haben. Was passiert mit Menschen, die 21 bis 39 CAG-Wiederholungen zeigen? Klinisch unauffällig bleiben diese bis zu 35 CAG-Sequenzen. Menschen mit einer Anzahl von 36 bis 39 CAG-Wiederholungen nehmen eine Zwischenstellung ein. Denn eine definitive Vorhersage, ob die Erkrankung Huntington ausbricht oder nicht, lässt sich nicht treffen. Gesichert ist, dass eine höhere Anzahl repetitiver CAG-Sequenzen, den Ausbruch von Chorea Huntington beschleunigt. Bei Patienten mit 60 CAG-Wiederholungen manifestiert sich Huntington bereits im Jugendalter.

Mutiertes Huntingtin enthält zu viele Glutaminreste

CAG codiert für die Aminosäure Glutamin. Somit besitzt das mutierte Huntingtin mehr Glutamin-Reste als das „gesunde“ Protein. Eine hohe Huntingtin-Expression der mutierten Variante führt zu amyloidähnlichen Ablagerungen. Diese dadurch ausgelösten neurodegenerativen Effekte betreffen vorwiegend die GABA-ergen Bahnen vom Striatum zum Globus pallidus, der wiederum zum Thalamus projiziert. In der Folge kommt es zunächst zu einer Überaktivierung des Thalamus mit überschießenden Bewegungen (Hyperkinesien), in langer Konsequenz jedoch zur Bewegungsarmut und Starre (Rigor).

Huntington: dominant vererbt und nicht heilbar

Chorea Huntington wird autosomal-dominant vererbt. Bei einem homozygoten Elternteil, erkrankt das Kind zu 100 Prozent. Ist ein Elternteil lediglich heterozygot, hat das Kind eine Chance von 50 Prozent, gesund zu bleiben. Tragen beide Elternteile eine heterozygote Mutation, wird auch das Kind zu 75 Prozent an Chorea Huntington leiden.

Bei den meisten Patienten manifestiert sich die Erkrankung im Alter zwischen 30 und 40 Jahren, sie verläuft häufig innerhalb von 15 Jahren tödlich. Die Patienten leiden neben Bewegungsstörungen an psychischen Störungen und in späteren Stadien an Demenz. 

Wie wirkt eine Antisense-Therapie mit IONIS-HTTRx?

Eine hohe Anzahl repetitiver CAG-Sequenzen bedingt einen frühen Krankheitsbeginn und eine schlechte Prognose für die Patienten. Die Forschung weiß mittlerweile auch, dass sich Chorea-Huntington-Symptome dann bessern, wenn es gelingt, die Konzentration an mutiertem Huntingtin zu verringern. Das zeigten zumindest Tierversuche.

IONIS-HTTRx neutralisiert mRNA für fehlerhaftes Huntingtin

Eine Möglichkeit, den schädlichen Einfluss des mutierten Huntingtins zu neutralisieren, wären vielleicht Antikörper gegen das Protein. IONIS-HTTRx greift bereits auf einer früheren Ebene in das Huntingtin-Geschehen ein, und zwar auf Ebene der mRNA. Transportiert die mRNA eigentlich die genetische Information für die Proteinbiosynthese von Huntingtin zum Ribosom, verhindert IONIS-HTTRx als Antisense-Nukleotid diesen Prozess. IONIS-HTTRx ist komplementär zur Huntingtin-mRNA „gebaut“ und neutralisiert auf diese Weise die für Huntingtin codierende mRNA im Zytoplasma.

An der aktuellen Phase 1/2a-Studie nahmen 46 Patienten aus UK, Deutschland und Kanada teil. Sie lief placebokontrolliert, die Patienten erhielten über einen Zeitraum von vier Monaten entweder eine steigende Dosis des Wirkstoffs IONIS-HTTRx oder entsprechend Placebo. Die Ärzte verabreichten die die Substanzen intrathekal, da orale oder intravenöse Applikationen bei Antisense-Therapien, bei denen die Nukleotide zerebrale Strukturen erreichen müssen, nicht gangbar sind.

Ist die Antisense-Behandlung mit IONIS-HTTRx verträglich?

In dieser ersten Studie, die tatsächlich erstmals IONIS-HTTRx an Patienten mit Huntington untersuchte, ging es zunächst um die Sicherheit des Arzneimittels. Um die Frage, ob IONIS-HTTRx keine toxischen oder derart schwerwiegenden Nebenwirkungen verursacht, die den Nutzen des sich noch in der Entwicklung befindlichen Arzneimittels überkompensieren – und IONIS-HTTRx für eine Weiterentwicklung folglich disqualifizieren. Neben diesen Verträglichkeitsdaten zum Antisense-Wirkstoff, interessierte die Wissenschaftler zunächst also weniger die Effekte von IONIS-HTTRx auf das klinische Erscheinungsbild der Patienten. Vielmehr, ob der Wirkstoff auch im Patienten die postulierten und gewünschten Effektee auslöst – und IONIS-HTTRx das mutierte Huntingtin reduziert.

Antisense-Therapie reduziert Huntingtin

Die Ergebnisse stimmen positiv: Wie wirkt sich IONIS auf die Konzentration von Huntingtin aus? Die Wissenschaftler fanden eine dosisabhängige Reduktion der mutierten Huntingtin-Variante in der Zerebrospinalflüssigkeit der therapierten Patienten. Das Arzneimittel macht, was es soll und wozu es erforscht wird.

Ob IONIS-HTTRx Huntington Symptome am Patienten klinisch verbessert oder gar die Erkrankung verlangsamt – für solche Aussagen ist der aktuelle Zeitpunkt noch zu früh. Die Wissenschaftler erklären, hierfür sei auch die Therapiedauer von vier Monaten zu kurz bemessen, um tatsächlich klinisch zu beurteilen: Verlangsamt IONIS-HTTRx das Fortschreiten von Chorea Huntington? Doch, hat der Wirkstoff seine primären Endpunkte der Studie erfüllt: Die Sicherheits- und Verträglichkeitsprofile von IONIS-HTTRx in dieser Untersuchung legitimieren die weitere Entwicklung des potenziellen Huntington-Arzneimittels.

Weitere Studien zur Progressions- und Symptombeeinflussung bei Huntington

So steht auch auf der nahen Agenda der Wissenschaftler – und den forschenden Pharmaunternehmen hinter IONIS-HTTRx: Roche und Ionis – IONIS-HTTRx in größeren Studien zu prüfen. An größeren Patientenkollektiven sowie einer längeren Therapiedauer mit IONIS-HTTRx, lassen sich Aussagen über tatsächliche klinische Effekte treffen. Kann IONIS-HTTRx auch die Symptome der Patienten beeinflussen, die Progression verzögern oder verhindern?

Roche und Ionis forschen gemeinsam bei Huntington

Bereits im Jahr 2000 hatte Ionis begonnen, an Antisense-Oligonukleotiden zur Therapie bei Huntington zu forschen. Nach Zellkulturversuchen, und vielversprechenden  tierexperimentellen Untersuchungen, rückte auch die Möglichkeit, das Arzneimittel tatsächlich klinisch am Menschen zu testen, zunehmend in den Fokus. Seit 2013 ist der Pharmariese Roche mit an Bord – somit bekam der vielversprechende therapeutische Ansatz der Antisense-Therapie bei Chorea Huntington auch finanziell mehr Potenzial.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Chorea huntingten

von ANJA Ehrmann am 01.06.2018 um 1:09 Uhr

Kann ionis tatsächlich die bestehenden symptome lindern o. Beheben wie psychische veränderung o. Motorische überbewegung?

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