Prozess um Bottroper Apotheker

Zyto-PTAs schweigen – Vater zeigt offenbar Mitleid

Essen - 14.12.2017, 15:30 Uhr

Die als Zeugen geladenen PTAs des beschuldigten Zyto-Apothekers verweigerten allesamt die Aussage. (Foto: HFD)

Die als Zeugen geladenen PTAs des beschuldigten Zyto-Apothekers verweigerten allesamt die Aussage. (Foto: HFD)


Kurz vor dem letzten Verhandlungstermin vor Weihnachten hat es im Gerichtsverfahren um den Zyto-Apotheker Peter S. aus Bottrop bewegende Momente gegeben: Der Vater des Angeklagten zeigte nach einer Gedenk-Andacht Mitleid, schildern Betroffene. Jedoch verweigerten alle als Zeugen geladenen PTAs am Freitag vor Gericht die Aussage. Dieses Recht haben sie nach Ansicht der Strafkammer, da sie sich womöglich selbst belasten könnten.

Am Landgericht Essen waren im Prozess gegen den Zyto-Apotheker Peter S. am heutigen Donnerstag sechs PTAs geladen. Sie haben nach Recherchen des Gerichts und Aussage ihrer früheren Kollegin, der Whistleblowerin Marie Klein, im Zyto-Labor der Apotheke in Bottrop gearbeitet. Gegenüber der Polizei hatten bereits fünf von ihnen – darunter der frühere Abteilungsleiter des inzwischen geschlossenen Zyto-Labors – Aussagen verweigert, so dass das Gericht für ihre Vernehmung nur gut zwei Stunden angesetzt hatte.

Nach Ansicht der Kammer steht den PTAs ein umfassendes Aussageverweigerungsrecht zu ihrer Tätigkeit in der Bottroper Apotheke zu, da sie sich ansonsten leicht selbst belasten und so selbst einer Strafverfolgung aussetzen könnten. Gegen zwei Mitarbeiter seien außerdem Ermittlungen eingeleitet worden, und auch in der Anklageschrift sei erwähnt, dass S. für die vorgeworfenen Taten vermutlich nicht alleine verantwortlich sei.

Aussageverweigerungsrecht für die PTAs?

Nachdem die mit dem Apotheker nicht verwandte PTA Jutta S. als Zeugin in den Gerichtssaal gerufen und diese betretenen Blickes den Zeugenstand eingenommen hatte, klärte der Vorsitzende Richter Johannes Hidding sie über ihre Rechten und Pflichten auf. Sie müsse nur zu ihren Personalien Aussagen machen, erklärte er. Die 58-jährige Jutta S. wurde von einem Anwalt als Zeugenbeistand unterstützt. Sie werde „heute keine Angaben machen“, erklärte der Anwalt. Dies führte zu einer Unterbrechung des Prozesses: Nebenkläger monierten, dass die Zeugen nur die Beantwortung einzelner Fragen verweigern dürften, wenn das Gericht dies im Einzelfall als zulässig ansieht. Außerdem dürfte nicht der Zeugenbeistand für sie sprechen, sondern jeder Zeuge müsse selber aus eigener Entscheidung erklären, ob er Aussagen machen möchte.

Per Kammerbeschluss begründete Hidding, dass den Zeugen tatsächlich ein umfassendes Aussageverweigerungsrecht zustände. Alle anwesenden Nebenkläger schlossen sich dem Einwand eines Nebenklagevertreters hiergegen an: Ein „vollumfängliches“ Aussageverweigerungsrecht bestehe nur bei Verwandten, nicht jedoch im Falle einer möglichen Belastung der eigenen Person. Doch der Vorsitzende Richter entschied, zunächst mit der Vernehmung wie begonnen fortzufahren – und bei Änderung der Rechtsauffassung der Kammer die Zeugen notfalls erneut zu laden.

Vater des Apothekers bei Gedenk-Andacht

„Nein“ sagte auch die 40 Jahre alte PTA Kathrin W. auf die Frage, ob sie Aussagen machen möchte. Nachdem auch der 29-jährige frühere Abteilungsleiter Marc F. mit demselben Anwalt als Zeugenbeistand den Gerichtssaal betrat, gab es erneut Einspruch von Seite der Nebenkläger: Dass derselbe Rechtsanwalt als Zeugenbeistand mehrerer Zeugen auftritt, verstoße womöglich gegen das Berufsrecht, erklärte ein Nebenklagevertreter. Ein Kollege schloss sich an. Es sei eine interessante Frage, wer den Anwalt bezahle, erklärte er. Doch für die Einhaltung des Berufsrechts sei der Zeugenbeistand selbst verantwortlich, argumentierte Hidding. Außerdem lägen keine objektiven Tatsachen vor, die Interessensüberschneidungen nahelegten, betonte der Richter – und lies fortfahren.

„Nein, möchte ich nicht“, erklärte so schließlich auch der PTA Marc F., bevor er gesenkten Blickes den Zeugenstand verlies. Die 33-jährige PTA Anna S. betrat betont sicheren Schritts den Gerichtssaal. „Ich möchte keine Angaben machen“, erklärte sie. Ähnlich ihre frühere Kollegin Marina G. „Ich möchte nicht aussagen“, sagte die 32-Jährige.

Spannend wurde es, als die 48-jährige PTA Alexandra H. ohne Zeugenbeistand den Gerichtssaal betrat. Anders als ihre Kollegen hatte sie gegenüber der Polizei Angaben gemacht. Doch nachdem der Richter sie aufgeklärt hatte, „dass man auf die Idee kommen könnte, dass auch die Mitarbeiter in diesem Labor möglicherweise ‚mitgemacht haben‘“, entschied sie sich womöglich um. „Dann würde ich gerne die Aussage verweigern, ich sag nichts“, erklärte H.

Bewegende Momente bei einer Gedenk-Andacht

Doch der letzte Termin vor Weihnachten endete mit einer anderweitigen Überraschung. Die Nebenklägerin Heike Benedetti ergriff die Gelegenheit, einen Vorfall vom gestrigen Donnerstag zu schildern: Bei einer Andacht in Bottrop, die Betroffene statt der monatlich stattfindenden Demo organisiert hatten, sahen sie auf den hinteren Bänken der Kirche einen älteren Herrn.

„Eine Bekannte kam auf die Idee, diesen Mann nach vorne zu holen“, erklärte Benedetti. „Er tat mir sehr leid, weil er sehr betroffen und bedrückt aussah“, sagte sie vor Gericht. Neben Kerzen seien bei der Andacht auch Kärtchen verteilt worden, die mit den Worten „Mut machen“ bedruckt waren. Sie habe für den Herrn eine mitgenommen und sie ihm gegeben, erklärte die Nebenklägerin – er habe sich bei ihr bedankt.

Nach der Andacht sei es zu einer weiteren Begegnung gekommen, erklärte Benedetti. „Schönen Dank, dass Sie hier waren“, habe sie dem Mann gesagt. „Schönen Dank, dass ich hier sein durfte“, habe der Mann erklärt – und gegenüber einem größeren Kreis von Betroffenen betont, dass ihm sehr leid täte, was ihnen widerfahren sei. „Dieser Herr war der Vater“, erklärte Benedetti vor Gericht. Zyto-Apotheker Peter S. zeigte hierbei keine größeren Regungen, seine Verteidiger waren über die Aussagen hingegen sichtlich überrascht.

Vater soll auch vor Gericht aussagen

Nach der Weihnachtspause wird der Vater des Angeklagten, der wie seine Mutter gleichfalls Apotheker ist, die Gelegenheit zur Aussage bekommen: Für den 15. Januar lud die Strafkammer die Eltern als Zeugen. Wenn sie jedoch schriftlich erklären, dass sie von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht aufgrund der Verwandtschaftsbeziehung Gebrauch machen, müssten sie nicht vor Gericht erscheinen, erklärte Hidding. Auch weitere frühere Mitarbeiter von Peter S. sind im Januar geladen – so der frühere kaufmännische Leiter Peter S., der den Fall aufgrund seiner Auswertungen von eingekauften und verkauften Wirkstoffmengen mit ins Rollen gebracht hat.

Nach Verhandlungsende bestätigten weitere Nebenkläger das gestrige Ereignis – und zeigten sich über die emotionale Begegnung mit dem Vater des Angeklagten sehr berührt. Sie hoffe, dass sein Sohn „vielleicht nochmal drüber nachdenkt, doch noch auszusagen“, erklärte Benedetti auf Nachfrage. Bislang schweigt er.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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