Neuer Wirkmechanismus bei Antidepressiva?

SSRI wirken antidepressiv - auch ohne Reuptake-Hemmung

Freiburg / Stuttgart - 08.12.2017, 12:33 Uhr

Fluoxetin wirkt als SSRI offenbar nicht allein über die Reuptake-Hemmung antidepressiv. (Foto: Media for Medical / picture alliance/chromorange)

Fluoxetin wirkt als SSRI offenbar nicht allein über die Reuptake-Hemmung antidepressiv. (Foto: Media for Medical / picture alliance/chromorange)


Selektive Serontonin-Wiederaufnahmehemmer, kurz SSRI, erhöhen die Serotoninkonzentration im synaptischen Spalt, indem sie die Wiederaufnahme des Neurotransmitters hemmen. Mehr Serotonin – weniger Depression. Nur: In ersten Studien zeigt sich, dass SSRI auch antidepressiv können, wenn der Reuptake-Rezeptor fehlt und SSRI eigentlich gar keinen Angriffspunkt haben. Wie das funktioniert, fanden nun Freiburger Forscher heraus.

Wie wirken Antidepressiva? Die Frage scheint einfach, ist aber tatsächlich nicht trivial. Denn antidepressive Wirkstoffe gleichen einen Mangel an Monoaminen aus – vorwiegend Serotonin. So hemmen Selektive Serotonin Reuptake-Inhibitoren (SSRI) das Serotonin-Recycling und erhöhen auf diese Weise Serotonin im synaptischen Spalt, was den antidepressiven Effekt vermittelt. Das ist die These, sie erklärt die Depressionslösung – teilweise zumindest. Denn die Monoamin-Hypothese ist zwar seit Jahrzehnten etabliert, dennoch löst sie die Frage nach der antidepressiven Wirkung nicht hinreichend und erschöpfend.

Dass die Monoamine die einzigen Stellschrauben bei Depressionen sind, dieser Theorie wiederspricht auch der Erfolg, den therapierefraktäre depressive Patienten teilweise mit einer intravenösen Ketamin-Behandlung erfahren. 

Ketamin zur Depressionstherapie

Interview mit der Charité Berlin (Teil 1)

Ketamin zur Therapie schwerer Depressionen

Interview mit der Charité Berlin (Teil 2)

Heilt Ketamin eine Depression?

Interview mit der Charité Berlin (Teil 3)

Potenzial von Ketamin als antisuizidales Arzneimittel

Auch wenn Ketamin wohl nicht nachhaltig antidepressiv wirkt, so bessert sich bei einem Drittel der Patienten die Depressionssymptomatik dafür innerhalb kürzester Zeit. Ketamin blockiert – als Injektionsanästhetikum – exzitatorische Glutamat-Rezeptoren. Laut aktuellem Stand der Wissenschaft führt Ketamin über einen mTOR-vermittelten Pathway relativ rasch zur Aktivierung von Nervenwachstumsfaktoren – die wohl auch die akut einsetzende antidepressive Wirkung vermitteln. 

SSRI nicht nur durch Reuptake-Hemmung antidepressiv

Würden sich Depressionen unter SSRI allein durch die Wiederaufnahmehemmung bessern, dürften SSRI bei Patienten, die gar keine Reuptake-Rezeptoren haben – und somit keinen Angriffspunkt für SSRI – auch keine antidepressiven Effekt ausbilden. Das ist aber nicht so. Denn Freiburger Forscher fanden nun heraus, dass SSRI auch dann einen antidepressiven Effekt vermitteln, wenn der Reuptake-Transporter fehlt, an dem sie normalerweise angreifen. 


„Zu unserer großen Überraschung zeigte sich auch bei Tieren ohne Serotonin-Transporter ein antidepressiver Effekt“.

Prof. Dr. Claus Normann, Oberarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg


Diesen Effekt zeigten Rezeptor-defiziente Knockout-Mäuse: „Zu unserer großen Überraschung zeigte sich auch bei Tieren ohne Serotonin-Transporter ein antidepressiver Effekt“, sagt der Leiter der Studie. Prof. Dr. Claus Normann ist Geschäftsführender Oberarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Freiburg. Ihre Ergebnisse veröffentlichte jetzt das Fachmagazin Biological Psychiatry.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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