Rote-Hand-Brief

Warnung vor Cladribin in Litak und Leustatin

Stuttgart - 05.12.2017, 09:15 Uhr

Die Fachinformation von Litak muss überarbeitet werden. (Foto: Screenshot Fachinfo.de)

Die Fachinformation von Litak muss überarbeitet werden. (Foto: Screenshot Fachinfo.de)


EMA und BfArM warnen vor schweren Nebenwirkungen der Cladribin-haltigen Arzneimittel Litak® und Leustatin®. Den Arzneimittelbehörden liegen Berichte über teilweise tödlich verlaufende progressive multifokale Leukenzephalopathien (PML) vor. PML – was passiert da genau?

Die deutsche und die europäische Arzneimittelbehörde informieren über schwere unerwünschte Arzneimittelwirkungen im Zusammenhang mit dem Wirkstoff Cladribin. Cladribin setzen Ärzte in zwei Indikationen ein: zur Behandlung der Haarzell-Leukämie und zur Therapie der Multiplen Sklerose. In Deutschland vertreiben Janssen-Cilag mit Leustatin® und Lipomed mit Litak® die beiden parenteralen Darreichungsformen zur Therapie der Haarzell-Leukämie. Einziges orales Cladribin im deutschen Arzneimittelmarkt ist Mavenclad®. Merck hat hier die Zulassung von Cladribin als orale Therapieoption für Patienten mit Multipler Sklerose.

Wovor warnt die Rote Hand?

„Fälle von progressiver multifokaler Leukenzephalopathie (PML), darunter auch Fälle mit tödlichem Ausgang, wurden im Zusammenhang mit einer Cladribin-Therapie berichtet“, schreiben Janssen und Lipomed. Diese Fälle traten innerhalb von sechs Monaten bis zu mehreren Jahren nach einer Cladribin-Behandlung auf. Zusätzlich liegen Berichte über persistierende Lymphopenien vor, die in Verbindung mit Cladribin-Therapie stehen würden. Anhaltende Lymphopenien könnten ein Risikofaktor zur Entwicklung einer PML sein.

Der Rote-Hand-Brief zu Cladribin sensibilisiert Ärzte, bei Patienten mit neurologischen oder kognitiven Symptomen oder Verhaltensauffälligkeiten differenzialdiagnostisch an eine PML zu denken. In diesen Fällen müsse Cladribin abgesetzt werden. Janssen-Cilag und Lipomed aktualisieren und ergänzen derzeit die Fach- und Gebrauchsinformationen zu Leustatin® und Litak® um das Risiko einer PML. Die informierenden Texte zu Mavenclad®, der oralen Variante bei Multipler Sklerose, enthalten diesen Hinweis bereits.

Was ist eine progressive multifokale Leukenzephalopathie?

Die PML stellt eine Erkrankung des ZNS dar, in deren Verlauf Erkrankte sowohl kognitive als auch motorische Störungen entwickeln. Ursache für die progressive multifokale Leukenzephalopathie ist das JC-Virus, benannt nach den Initialen des ersten Patienten. Auch wenn das Virus wohl wenig bekannt ist, die Durchseuchung liegt in der erwachsenen Bevölkerung bei 40 bis 60 Prozent; einmal mit JC-Viren infiziert, persistieren die Erreger lebenslang. Derzeit geht man davon aus, dass sich das Virus im Nierengewebe und/oder im Knochenmark aufhält. Eine Primärinfektion verläuft grundsätzlich asymptomatisch.

Für immunkompetente Menschen ist das Virus ungefährlich. Bei Patienten, die im Rahmen zytostatischer Behandlungen, Organtransplantationen oder durch das HI-Virus immunsupprimiert sind, kann das Virus allerdings über Leukozyten ins ZNS gelangen. Im Zentralnervensystem kommt es zur Demyelinisierung der Oligodendrozyten-Axone und in der Folge zur Degenerierung derer. Die Symptomatik einer PML präsentiert sich unterschiedlich – je nachdem, welches Hirnareal die Demyelinisierung schädigt: Liegt der Entmarkungsherd im Sprach- oder Sehzentrum, leiden die Patienten an Sprachstörungen oder Gesichtsfeldausfällen. Sind die motorischen Bahnen betroffen, können motorische oder feinmotorische Störungen die Erkrankten beeinträchtigen. Im weiteren Verlauf kann sich eine PML durch kognitive Störungen von Konzentrationsstörungen über Verwirrtheit bis zur Demenz oder epileptische Anfälle äußern.

PML-Patienten haben schlechte Überlebenschance

Die Prognose für Patienten mit PML ist derzeit schlecht. Eine kausale Therapie existiert nicht. Bei einer durch Arzneimittel induzierten PML setzen Ärzte das verantwortliche Medikament ab. Bei Organtransplantationen muss unter Umständen das Transplantat entfernt werden. Die häufigsten PML-Erkrankungen finden sich bei Aids-Erkrankten – die PML ist eine der „AIDS-definierenden Erkrankungen“. An Aids-Erkrankte machen 80 bis 90 Prozent der PML-Patienten aus. Hier versuchen die Mediziner durch eine HAART-Behandlung, die T-Lymphozytenzahl zu stabilisieren.

Gelingt eine Stabilisierung des Immunsystems nicht, sterben die PML-Patienten innerhalb von drei bis 20 Monaten.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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