Informationskampagne

BfArM fordert mehr Studien zu Kinderarzneimitteln

Berlin - 05.12.2017, 12:00 Uhr


Für viele Arzneimittel liegen keine Daten zu Wirksamkeit und Verträglichkeit im pädiatrischen Bereich vor – ein Risiko für Betroffene und behandelnde Ärzte. Eine unter Leitung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erarbeitete Aufklärungskampagne informiert über die Notwendigkeit klinischer Studien für Kinderarzneimittel und erläutert die Bedingungen.

Müssen Kinder mit Arzneimitteln behandelt werden, sehen sich Ärzte häufig einem Dilemma ausgesetzt: Es fehlt an für Kinder zugelassenen Medikamenten. Der Zulassung von Arzneimitteln für den pädiatrischen Bereich müssen klinische Studien an Kindern und Jugendlichen vorausgehen, die aus ethischen Bedenken zu selten durchgeführt werden. Um mehr Eltern, beziehungsweise Kinder und Jugendliche, für die Durchführung von klinischen Studien zu gewinnen, hat das BfArM in Zusammenarbeit mit dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) und unter Schirmherrschaft des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) ein Informationsblatt erarbeitet, das die wichtigsten Fragen rund um das Thema beantwortet.

Ziel der Informationskampagne ist, die Arzneimittelversorgung von Kindern und Jugendlichen zu verbessern. Das vom BfArM auf seiner Homepage veröffentlichte Infoblatt „Klinische Prüfungen: Sichere Arzneimittel für Kinder und Jugendliche“ wendet sich sowohl an Eltern als auch an Kinder und Jugendliche und informiert in kurzer Form und laienverständlicher Sprache unter anderem über die Notwendigkeit klinischer Prüfungen für Kinderarzneimittel. Das BfArM argumentiert: „Arzneimittelstudien mit Kindern und Jugendlichen halten wir für ein wesentliches und notwendiges Instrument, um dieses Ziel zu erreichen.“ Doch um mehr Menschen für diese Studien zu gewinnen, ist es wichtig, offen mit möglichen Bedenken und Ängsten umzugehen. So sollen mithilfe des Infoblattes die wichtigsten Fragen rund um den Ablauf von Arzneimittelstudien beantwortet werden, um Vertrauen zu gewinnen und die Akzeptanz zu steigern.  

Der Leser erfährt, was unter einer klinischen Studie zu verstehen ist und warum solche Studien an Kindern und Jugendlichen durchgeführt werden sollten. Ferner wird auf die Frage eingegangen, ob die Einnahme eines noch nicht zugelassenen Medikamentes nicht gefährlicher sei und größere Unwägbarkeiten beinhalte als die Anwendung eines nur an Erwachsenen getesteten Arzneimittels. Es wird auf die Sicherheitsstandards klinischer Studien eingegangen und auf die Möglichkeit hingewiesen, dass Studien im Zweifelsfall auch abgebrochen werden können. Erläutert werden zudem die Einsatzmöglichkeiten und Voraussetzungen Placebo-kontrollierter Studien – eine ethisch besonders heikle Frage. Sicher sei aber auch: „Studien an Kindern und Jugendlichen dürfen nur durchgeführt werden, wenn sie unbedingt erforderlich sind, mit geringen Belastungen und Risiken einhergehen und nicht durch Studien an Erwachsenen ersetzt werden können.“

Studienergebnisse nicht einfach übertragbar

Aufgrund der hohen ethischen Voraussetzungen und strengen gesetzlichen Auflagen werden immer noch zu selten Arzneimittelstudien mit Kindern durchgeführt. Dementsprechend hoch ist der Mangel an zugelassenen Kinderarzneimitteln. In der Folge müssen Ärzte häufig auf nur an Erwachsenen getestete Medikamente zurückgreifen und diese außerhalb ihrer Zulassung (Off-Label-Use) anwenden. Dieses Vorgehen birgt einige Risiken. Der Kinderorganismus, der sich noch im Wachstum befindet oder hormonelle Änderungen der Pubertät erfährt, kann nicht mit dem Organismus eines Erwachsenen gleichgesetzt werden. Dementsprechend können die Studienergebnisse von Erwachsenen auch nicht einfach auf Kinder übertragen werden.

Ferner ist die Dosierung der Arzneimittel ein großes Problem. Eine einfache Umrechnung anhand von Gewichtsangaben ist nicht ungefährlich, aber meist der einzige Weg, da für viele Arzneistoffe keine offiziellen Dosierungsempfehlungen für Kinder vorliegen. Ein weiteres Problem ist, dass es an kindgerechten Darreichungsformen mangelt, die bei der Behandlung im pädiatrischen Bereich eine viel größere Rolle spielen als bei der Anwendung bei Erwachsenen. Auch lassen sich Tabletten nicht immer einfach teilen und so für Kinder sicher dosieren. Zudem kann die Galenik der Zubereitung auf diese Weise zerstört werden – ein weiteres Problem in der Anwendung von eigentlich nur für Erwachsene entwickelten Medikamenten.

EU-Kinderverordnung regelt klinische Studien

Die Sicherheit der Arzneimittelanwendung für Kinder und Jugendliche zu verbessern, ist auch erklärtes Ziel der für alle EU-Mitgliedstaaten verbindlichen Verordnung über Kinderarzneimittel (EU-Kinderverordnung). Hintergrund dieser seit 2007 existierenden Verordnung ist die Problematik, dass mehr als die Hälfte der Kinder mit Arzneimitteln behandelt werden müssen, die nur für Erwachsene zugelassen sind. Die Entwicklung von Kinderarzneimitteln soll aus diesem Grund gefördert werden. Pharmazeutische Unternehmer müssen nun ihren Zulassungsunterlagen ein pädiatrisches Prüfkonzept (paediatric investigation plan, PIP) hinzufügen.

Zulassungsunterlagen werden nur noch als vollständig angesehen, wenn sie entweder das pädiatrische Prüfkonzept enthalten oder eine auf genauen gesetzlichen Vorgaben basierende Rückstellung oder Freistellung vom PIP vorliegt. Ausgenommen von diesen Regelungen sind Generika, Arzneimittel mit mindestens zehnjähriger allgemeiner medizinischer Verwendung in der EU, Homöopathika, traditionelle pflanzliche Arzneimittel und vergleichbare biologische Arzneimittel. Das pädiatrische Prüfkonzept wird europaweit vom Pädiatrieausschuss (PDCP) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) überprüft und genehmigt. Das BfArM ist mit der eigens eingerichteten Kommission für Arzneimittel für Kinder und Jugendliche (KAKJ) an den nationalen Zulassungsentscheidungen beteiligt.



Inken Rutz, Apothekerin, Autorin DAZ.online
redaktion@daz.online


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