AkdÄ warnt

Nierenversagen durch vermeintlich harmlose Vitamin-D-Präparate

Stuttgart - 01.12.2017, 11:15 Uhr

Auch viele NEM im Drogeriemarkt enthalten Vitamin D, vereinzelt auch in sehr hohen Dosierungen. (Foto: picture alliance/Keystone )

Auch viele NEM im Drogeriemarkt enthalten Vitamin D, vereinzelt auch in sehr hohen Dosierungen. (Foto: picture alliance/Keystone )


Dass eigenmächtige Vitamin-D-Einnahme auch schiefgehen kann, zeigen zwei Fälle, über die die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft berichtet. So kam es bei zwei Patienten zu einem akuten Nierenversagen bei ausgeprägter Hyperkalzämie infolge hoher Vitamin-D-Dosen. Die AkdÄ weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass Nahrungsergänzungsmittel zum Teil sehr hoch dosiert seien – höher als verschreibungspflichtige Arzneimittel. 

Immer wieder wird Deutschland ein flächendeckender Vitamin-D-Mangel attestiert. So schrieb beispielsweise die Deutsche Gesellschaft für Ernährung in ihrem Bericht, den sie im Sommer veröffentlichte, rund 30 Prozent der Erwachsenen seien nicht ausreichend mit Vitamin D versorgt. Wobei Ältere als Risikogruppe gelten und bei Seniorinnen der Mangel aber ausgeprägter ist als bei Männern. Für Personen mit hohem Risiko für einen Vitamin-D-Mangel erachtet es die DGE für notwendig, ein Vitamin-D-Präparat einzunehmen, um den Bedarf zu decken. 

Evidenz für eine generelle Substitution gibt es zwar nicht. Aber anscheinend führen solche Berichte und das zugehörige Medien-Echo dazu, dass eigenmächtig ohne Rücksprache mit Arzt oder Apotheker Vitamin D eingenommen wird – und zwar nach dem Motto: „viel hilft viel“. So geschehen in zwei Fällen, über die die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) berichtet. Demnach hatten sich eine 78-jährige Patientin und ein 60-jähriger Patient eigenständig Vitamin-D-haltige Präparate besorgt – laut AkdÄ im Internet – und diese in hohen Dosen eingenommen: nämlich 10.000 IE/d Vitamin D3 beziehungsweise 50.000 IE/d Vitamin „D“ (nicht näher bezeichnet). Als sicher erachtet werden von der Europäischen Lebensmittelbehörde für Heranwachsende und Erwachsene bis zu 4000 IE/d, das entspricht 100 µg/d.

Bleibende Schäden

In der Folge kam es bei beiden Patienten zu einem akuten Nierenversagen bei ausgeprägter Hyperkalzämie. Andere Ursachen wie primärer Hyperparathyreoidismus, Sarkoidose oder Tumorerkrankung konnten ausgeschlossen werden. 

Die 78-Jährige erholte sich nach forcierter diuretischer Therapie und peroraler Cortisongabe wieder. Der 60-jährige hat bleibende Schäden davongetragen, nämlich eine dialysepflichtige Niereninsuffizienz. Laut Biopsie weist er einen schweren tubulären Schaden mit Mikroverkalkungen auf, das sei passend zu einer hyperkalzämischen Schädigung, heißt es.

Calcium und Vitamin D

Ein niedriger Calciumspiegel ist der natürliche Stimulus der Calcitriol-Synthese (1α,25(OH)2 Vitamin D3), der aktiven Form von Vitamin D3. Calciumangebot vermittelt die längerfristige Anpassung an ein geringes Calciumangebot und fördert vorwiegend durch Bereitstellung von Calcium den Knochenaufbau.

Hohe Vitamin-D-Blutspiegel sorgen unter anderem für erhöhte Calciumaufnahme aus der Nahrung über den Darm sowie für eine erhöhte Calciumreabsorption aus den Nieren.

Diesen Regelkreis bringt eine externe übermäßige Vitamin-D-Zufuhr durcheinander. 

Nahrungsergänzungsmittel oder Arzneimittel?

Die AkdÄ weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass bei mangelnder endogener Vitamin-D-Synthese eine Dosierung von 800 IE/d in der Regel ausreicht. Höhere Dosierungen sollten nur unter ärztlicher Aufsicht erfolgen. Regelmäßige Kontrollen des Vitamin-D-Status sind dabei obligatorisch. Bei Überdosierung drohen Hypervitaminosen, die in einer Hyperkalzämie resultieren können. Zudem sei abgesehen von skelettalen Erkrankungen wie Rachitis oder Osteoporose eine positive Wirkung von Vitamin D überwiegend nicht belegt. 

Das Gremium geht auch auf das Problem der Nahrungsergänzungsmittel ein. Diese enthalten zum Teil sehr hohe Dosierungen, insbesondere solche Präparate, die im Internet bei ausländischen Händlern bezogen werden, aber auch auf dem deutschen Markt gibt es hochdosierte NEM. Zum Teil werden diese im Drogeriemarkt ohne jegliche Beratung gekauft, obwohl sie Vitamin-D-Mengen enthalten, die als Arzneimittel verschreibungspflichtig wären. 

Bei Arzneimitteln gibt es Regeln

Warum ist die Sache so kompliziert? Bei Arzneimitteln gibt es klare Regeln, unter welchen Bedingungen ein Wirkstoff verschreibungspflichtig beziehungsweise von der Verschreibungspflicht ausgenommen ist. Bei Vitamin D3 zur Anwendung bei Menschen gilt laut Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) die Ausnahme, „sofern auf Behältnissen und äußeren Umhüllungen eine Tagesdosis bis zu 1000 IE (entspricht 0,025 mg) Colecalciferol angegeben ist.“ Arzneimittel mit einer höheren Tagesdosis sind demnach verschreibungspflichtig.

Für Vitamin D in Nahrungsergänzungsmitteln sind keine Höchstmengen festgelegt. Da sich außerdem die Health Claims der Nahrungsergänzungsmittel mit den zugelassenen Indikationen der Arzneimittel überschneiden, ist sogar für Fachkreise nicht nachvollziehbar, warum Nahrungsergänzungsmittel vertrieben werden dürfen, die höher dosiert sind als verschreibungspflichtige Arzneimittel.

Bei welcher Tagesdosis liegt die Grenze? 

Eine Expertenkommission der zuständigen Bundesoberbehörden, Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) und Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), befasst sich mit der Abgrenzung von Arzneimitteln und Nahrungsergänzungsmitteln. Diese hat vergangenes Jahr eine Stellungnahme zu Vitamin D herausgegeben.

Dort heißt es: „Bis zu einer Tagesdosis von 20 μg Vitamin D kann im Kontext der Ernährung/Nahrungsergänzung noch von einer ernährungsspezifischen beziehungsweise einer physiologischen Wirkung ausgegangen werden […]. Präparate bis zu einer Tagesdosis von 20 μg Vitamin D können daher als Nahrungsergänzungsmittel gemäß § 1 NemV eingestuft werden. Allerdings nur wenn alle lebensmittelrechtlichen Anforderungen erfüllt und die empfohlenen Anwendungsgebiete nicht eine Einstufung als Arzneimittel rechtfertigen.“

Die Grenze von 20 µg pro Tag orientiert sich an der Zufuhrempfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). 20 µg werden für Erwachsene von der DGE als notwendig erachtet, um die psychischen und physischen Funktionen aufrechtzuerhalten. Bei Tagesdosen, die diese Grenze überschreiten, sieht die Expertenkommission keine „ernährungsspezifische oder physiologische Wirkung im Kontext der Ernährung“ mehr. Entsprechende Präparate wären also nicht mehr als NEM einzustufen, sondern müssten als Arzneimittel zugelassen werden. 

Tricksen mit der Tagesdosis

Wenn man also die Tagesdosis entsprechend festsetzt, können völlig problemlos hochdosierte Mittel als NEM vertrieben werden. Ein Beispiel: das Präparat Vitamin-D3-Liquid von Pure Encapsulations®, mit einer Dosierung von 1000 IE pro Tropfen ist als NEM auf dem Markt (zum Vergleich: Vigantol®-Öl, bei dem ein Tropfen 500 IE Vitamin D3 enthält, als verschreibungspflichtiges Arzneimittel). Die beim Pure-Encapsulations®-Präparat angegebenen Health-Claims rechtfertigen keine Einstufung als Arzneimittel. Die Verzehrempfehlung „1 Tropfen alle zwei Tage“ entspricht einer Tagesdosis von 12,5 µg und liegt somit unter der Grenze von 20 µg pro Tag. Das Präparat hat also rechtmäßig den Status eines NEM.

Im Zweifel die Aufsichtsbehörde kontaktieren 

In der Praxis müssen die regional zuständigen Behörden jedes Präparat einzeln beurteilen. Daher rät die AMK, sich bei Zweifeln, ob ein Präparat tatsächlich als Nahrungsergänzungsmittel vertrieben werden darf, an die für die Apothekenaufsicht regional zuständige Behörde zu wenden.



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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10 Kommentare

Vitamin-D-Dosierung

von Dr. Karsten Ehring am 27.11.2019 um 22:20 Uhr

Haben Sie einmal darüber nachgedacht, dass 30 Minuten Sonne etwa 20.000 IE Vitamin D3 produzieren?
Was spricht dagegen, den Blutwert bestimmen zu lassen und aufzudosieren? Häufig werden dafür initial 300.000 bis 500.000 IE gebraucht (Apotheker Uwe Gröber und Prof. Klaus Kisters). Der Dekristol-Beipackzettel erlaubt initial einmalig 200.000 IE. Was wissen Sie wirklich über die Folgen eines anhaltenden Vitamin-D-Mangels, den Sie mit Ihrem Artikel verursachen.
Ihre genannten Fälle sind viel zu ungenau beschrieben, um daraus die Schlüsse zu ziehen, die Sie ziehen.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Vitamin d3

von Ursula Zais am 27.11.2018 um 14:58 Uhr

Ich nehme Vitamin d3 7000 wochendepot von tetesept ein wie ist ihr Rat ?

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Vitamin d3

von Ramona Zborowski am 28.11.2018 um 15:11 Uhr

Vitamin D3 ist sehr wichtig für den Körper. Vergessen wird dabei, dass hierzu das Vitamin K2 auch genommen werden muss. Dann tut es dem Körper nur gut und es passiert gar nichts. Keine Verkalkung der Adern und keine Nierenschäden.

KEIN Vitamin

von Reinhard am 07.04.2018 um 21:07 Uhr

Vitamin D ist ein Steroidhormon oder auch Prohormon genannt. Vitamin D3 wandelt sich im Körper zu Calcitriol um. Und die Wirkungsweise von Calcitriol im Körper entspricht der eines Hormons. Es ist KEIN Vitamin und mit Hormonen sollte man IMMER vorsichtig umgehen! http://www.zeitung.de/gesundheit/ernaehrung/vitamine/vitamin-d/

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Vitamin D3

von Wolfgang am 03.12.2017 um 15:33 Uhr

Ihr (70) und mir (83) wurden in der letzten Woche je 2.000 IU Vitamin D3
zur Dauereinnahme verordnet.
Der Bericht von Julia Borsch macht uns besorgt und die folgenden Kommentare verunsichern uns.
Wat nu?

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Vitamin D3

von Ramona Zborowski am 28.11.2018 um 15:17 Uhr

Hallo, Man braucht vor diesem Vitamin D3 keine Angst zu haben. Es spielt in unserer Ernährung eine große Rolle.. Ich selbst nehme Vitamin D3 ein. Was hier oft genug veressen wird ist das Vitamin K2.
Gerne würde ich sie beraten in diesen Sachen und in Ihrer Ernährung.
Meine Tel. Nr. 01523/6975709 oder rba@DrBeVital,de

Kann so nicht stimmen

von Steffen am 02.12.2017 um 14:25 Uhr

Bei 10.000 IU Vitamin pro Tag sind die dargestellten Folgen praktisch ausgeschlossen und wurden bei dieser Dosierung auch noch niemals beobachtet. Der Patient hat also höchstwahrscheinlich entweder falsche Angaben gemacht oder das Präparat enthielt deutlich mehr Vitamin D als deklariert.

» Auf diesen Kommentar antworten | 2 Antworten

AW: Kann so nicht stimmen

von Daniel am 02.12.2017 um 14:54 Uhr

Die Menge wäre ja interessant zu wissen.
Wenn er die wie Smarties nimmt zB morgens, mittags, abends und dann über nen langen Zeitraum

AW: Kann so nicht stimmen

von Steffen am 03.12.2017 um 8:59 Uhr

@Daniel: Natürlich macht die Menge das Gift. Aber die Berichte sind ja so geschrieben, dass man sie nur so verstehen kann, dass der eine Patient täglich 10.000 IU einnahm und nicht x mal 10.000 IU am Tag. Und mit 10.000 IU am Tag sind die beschriebenen Symptome nicht erklärbar. Selbst bei 50.000 IU am Tag sind solch akute Schädigungen nach derzeitiger Studiendauer unwahrscheinlich. Aber hier wird dann auch die Dauer der Einnahme (vielleicht seit Jahren?) wieder interessant.

Solche Berichte - ohne weitere Details - sind letztlich wertlos.

Überprüfen durch Blutabnahme bei Hausärztin

von Cornelia Stark am 01.12.2017 um 19:48 Uhr

Ich bekomme seit der Diagnose des Vitamin D-Mangels im Krankenhaus wöchentlich eine Tablette Vitamin D 20.000. Jetzt wollte ich es bei der letzten Blutabnahme bei der Hausärztin mal überprüft haben. Da erfuhr ich, dass ich das selbst zahlen muss und auch das Medikament demnächst nur noch als Privatrezept erhältlich ist, so dass man es komplett selbst zahlt. Da dieser Mangel durch meine Krankheiten verursacht ist, sehe ich das irgendwie nicht ein. Ist dem wirklich so oder ist die Praxis fehlinformiert?

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

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