Bei depressiven Erkrankungen zusammenreissen?

Schokolade hilft gegen Depressionen – denken die Deutschen

Stuttgart - 29.11.2017, 10:00 Uhr

Ob die Schokolade die gute Laune zaubert? (Foto: Martinan / stock.adobe.com)

Ob die Schokolade die gute Laune zaubert? (Foto: Martinan / stock.adobe.com)


Kaum ein medizinisches Gebiet ist so von Scham seitens der Patienten gespickt wie Depressionen. Depressiven Erkrankungen klebt ein gesellschaftlicher Makel an – oder haben die Deutschen ihre Einstellung zu Depressionen mittlerweile reformiert und das Wissen über die psychische Erkrankung aktualisiert? Offenbar nicht.

Die Deutschen punkten nicht gerade mit Expertise im medizinisch-pharmazeutischen Bereich. Hat eine kürzlich vom Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) die Breitspektrum-Wissenslücken der Bundesbürger bei Antibiotika offenbart, ist dieses schwarze Loch der Unkenntnis wohl kein Alleinstellungsmerkmal der Infektionskrankheiten und Antiinfektiva.

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Bei Depressionen glänzen die Bundesbürger auch nicht gerade und ein Großteil outet sich als eher unwissend hinsichtlich Ursache und Therapie depressiver Erkrankungen. Daten für diese finale Einschätzung zum Depressions-Unwissen der Deutschen hat eine repräsentative Studie der Deutschen Depressionshilfe geliefert. 2000 Menschen zwischen 18 und 69 Jahren hatten von Juni bis August dieses Jahres teilgenommen. Parallel lief eine Online-Befragung an 1000 Patienten.

Bei Depressionen: sich zusammenreißen ...

Sich zusammenreißen – das erachten 20 Prozent der Deutschen als probate Maßnahme für depressive Patienten. Somit haftet der Depression als psychische Erkrankung offenbar noch immer ein negatives Stigma in der Gesellschaft an: Eine Depression wird häufig mit persönlicher Schwäche gleichgesetzt. Immer noch – was überraschen mag, denn Depressionen sind keine Orphan Disease also sehr selten. Das bestätigen auch die Befragten: Stark zwei Drittel hatten bereits einmal Berührungspunkte mit Depressionen – sei es durch erkrankte Freunde, Familie oder durch eine eigene Depression.

Etwa 16 bis 20 Prozent der Menschen erkranken irgendwann im Laufe ihres Lebens an einer Depression. Experten gehen davon aus, dass zusätzlich viele Fälle unerkannt bleiben. Gerade bei Depressionen ist die Dunkelziffer hoch. Längst nicht alle Patienten suchen Hilfe – Scham spielt sicherlich eine nicht zu unterschätzende Rolle. Betroffene fürchten, von ihrem Umfeld verurteilt, ausgelacht oder als „verrückt“ abgestempelt zu werden. Dass diese Sorge nicht ganz unberechtigt ist, hat die Umfrage und die bürgerliche Empfehlung „sich zusammenreißen “ nur allzu deutlich gezeigt.

... und Schokolade essen

Hinzu kommt aber häufig auch die Unsicherheit bei Patienten, ob sie überhaupt „richtig“ krank sind oder vielleicht ein Winter-Weihnachts-Silvesterblues sie gerade einfach erschöpft und traurig stimmt. Oder sie sich ihre Beschwerden gar allesamt nur einbilden?

Falls es tatsächlich am Weihnachtsblues liegt, dürfte nach Ansicht der Befragten wohl kein therapeutischer Engpass entstehen: Ein Fünftel der Befragten hält nämlich Schokolade für ein geeignetes Mittel gegen Depressionen. Kein Grund zur Sorge also, denn die Jahreszeit liefert das passende Antidepressivum direkt mit – in Form meterhoher Süßigkeiten-Türme in allen Supermärkten mit Schoko-Nikoläusen, mit Zimt-Koriander-Nougat gefüllten Schokokugeln oder ähnlichen Leckereien.

Charakterschwäche als Ursache für Depression?

Hierin sieht das deutliche Gros der Befragten die Ursache für depressive Verstimmungen verankert: 96 Prozent schätzen, dass Schicksalsschläge der Grund sind, dass Menschen einer Depression verfallen. Fast gleich stark mit 94 Prozent: Belastungen am Arbeitsplatz. Und 18 Prozent der Befragten führen eine Depression auf individuelle Charakterschwäche zurück.

Doch Depressionen sind vielschichtig: Persönliche Lebensumstände leisten ihren Tribut bei depressiven Erkrankungen. Hierzu zählen sicherlich Schicksalsschläge, aber auch die Stabilität des sozialen Umfelds von Betroffenen. Selbst andere Grunderkrankungen wie Diabetes oder eine koronare Herzkrankheit werden teilweise von depressiven Episoden begleitet. Dass auch genetische Faktoren eine Rolle spielen, wissen zumindest zwei Drittel der Umfrageteilnehmer. Von Depressionen betroffene Menschen scheinen fundiertere Kenntnisse über ihre Erkrankung zu haben. Ihr Depressions-Wissen liegt im Schnitt rund zehn bis 20 Prozent höher, verglichen mit den restlichen Befragten.

Patientenleitlinie unipolare Depression

Das hohe Unwissen und die kursierende Scham bei Depressionen hat Experten veranlasst, erstmalig eine Patientenleitlinie zu erstellen. Veröffentlicht im Dezember 2016, wendet sich die Patientenleitlinie „Unipolare Depression“ explizit an Patienten, aber auch an deren Angehörige und Freunde. Sie räumt mit gesellschaftlich verankerten Vorurteilen zu Depressionen auf und informiert Betroffene in einer leicht verständlichen Weise über die klassischen Symptome einer Depression – gedrückte Stimmung, Freudlosigkeit und Antriebsmangel. Denn „niemand würde sich schämen, wegen Rückenschmerzen eine Praxis aufzusuchen“, heißt es in der Leitlinie.

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Hilfe für Patienten mit Depressionen

Sind Tipps wie „zusammenreißen“ und „Schokolade essen“ in der Tat für Patienten wenig unterstützend und genau so wenig empathisch, so scheinen die Bundesbürger jedoch hinsichtlich der zu konsultierenden Kompetenz den richtigen Riecher zu haben: Immerhin schätzen 90 Prozent, dass Patienten mit depressiven Symptomen sich beim Arzt oder Psychotherapeuten Hilfe holen sollten.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Depressionen als Stigma

von Mario Hamberger am 29.11.2017 um 10:52 Uhr

Solange Lebensversicherungen schon den Besuch beim einen Psychologe als Grund zur Ablehnung einen Lebensversicherung angeben können, werden Depressionen als Stigma gehandelt.
Wenn Gesellschaften sich und die Betroffenen sperren kann nichts vorangehen. Es sollte Gesetze geben, dass es verbietet die Diskriminierung von Betroffenen.
Leider denken Politker genaus so wie die Versicherungen und machen nichts dagegen.

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