US-Analyse

Wissenschaftler suchen illegale Arzneimittel-Angebote auf Twitter

Remagen - 28.11.2017, 07:00 Uhr

Wissenschaftler untersuchten mithilfe einer Big Data-Analyse 620.000 Tweets nach illegaler Arzneimittel-Werbung. (Foto: dpa)

Wissenschaftler untersuchten mithilfe einer Big Data-Analyse 620.000 Tweets nach illegaler Arzneimittel-Werbung. (Foto: dpa)


Illegale online-Apotheken, die per Twitter starke Schmerzmittel verscherbeln wollen, können mit Big Data-Analysen aufgespürt werden. Dies hat eine Studie von Wissenschaftlern der University of California San Diego gezeigt. Sie haben hierfür eine mehrstufige, innovative Methode eingesetzt.

Gibt es bei sozialen Medien eine Kontrolle illegaler Aktivitäten? Aus der Sicht eines Laien scheint das schon alleine angesichts der Fülle der Daten kaum vorstellbar. Es geht aber doch, haben Forscher aus Kalifornien jetzt gezeigt. Mit einem innovativen mehrstufigen Verfahren zur Analyse von Web-Daten ist es ihnen gelungen, illegalen Anbietern von rezeptpflichtigen Opioiden auf die Schliche zu kommen. Wie sie das genau bewerkstelligt haben, ist in der November-Ausgabe des American Journal of Public Health nachzulesen. 

Step by Step die Stecknadel im Heuhaufen finden

Für ihre umfangreiche Studie setzten die Autoren in einem dreistufigen Prozess moderne Methoden für Big-Data-Analysen ein, wie das Cloud Computing, Machine Learning und Web Content-Analysen. Die Daten erhoben sie aus dem Kurznachrichtendienst Twitter, der derzeit rund 328 Millionen Nutzer verzeichnet (Zahl aus dem ersten Quartal 2017). Zuerst filterten die Forscher die Tweets über Schlüsselwörter für verschreibungspflichtige Opioide.

Dann identifizierten sie mithilfe von Wortkombinationen, zum Beispiel aus den Begriffen „Name des Opioids“, „buy“, „cheap“, „price“, „discount“, Leitmotive im Zusammenhang mit der illegalen online-Vermarktung. Damit konnten sie aus Tausenden von Tweets „Signaldaten“ herausfiltern. Die meisten enthielten Links zu externen Webseiten, die danach mithilfe der „forensischen Evaluation“ der Webseiten-Inhalte weiter untersucht wurden. Alle Webseiten, die offenbar illegale Rx-Opioide verkauften, wurden rechtlich klassifiziert. Außerdem wurde ermittelt, wo sie registriert waren. Für die rechtliche Klassifizierung nutzten sie die Einteilung des Unternehmens LegitScript LLC, das sich mit der Verifizierung und Überwachung von online-Apotheken beschäftigt. Eine der LegitScript-Kategorien wird mit „rogue“ (illegal, unsicher, irreführend) bezeichnet.

Suche nach gängigen Opioiden

Die Datenerhebung erstreckte sich auf einen Zeitraum von fünf Monaten im Jahr 2015. Insgesamt analysierten die Datenwissenschaftler fast 620.000 Tweets, die Schlüsselwörter für verschreibungspflichtige Medikamente mit suchterzeugenden Opioiden enthielten. Die Sammlung umfasste sowohl INN (Codein, Fentanyl, Hydrocodon, Oxycodon) als auch Handelsnamen von in den USA gebräuchlichen Opioiden wie Oxycontin (Oxycodon), Percocet (Oxycodon/Paracetamol) und Vicodin (Hydrocodon/Paracetamol).

Fast 1800 Tweets mit Signalen für illegale Aktivitäten

Im Ergebnis fanden sie 1778 Tweets, mit denen kontrollierte Substanzen illegal online vermarktet wurden. 90 Prozent davon beinhalteten Hyperlinks, von denen während der Evaluation jedoch nur 46 aktiv waren. Sie bezogen sich auf sieben bestimmte URLs für Webseiten, darunter drei „rogue“ online-Apotheken und zwei, die Blogs, soziale Medien, User Foren und weitere Marketing-Aktivitäten nutzten, um die Mittel illegal zu vertreiben. Eine der „rogue“ Online-Apotheken hatte eine kanadische IP-Adresse und war in Italien registriert, zwei weitere hatten IP-Adressen in den USA, waren aber in Pakisten beheimatet. Überhaupt führten die Wege der Rückverfolgung in vielen Fällen nach Pakistan.

Webseiten immer noch aktiv

„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die kontrollierten Substanzen über verschiedene Strategien online gehandelt werden“, stellt der Co-Autor der Studie Timothy Mackey von der UC San Diego School of Medicine fest. „Nachdem wir unsere Studie beendet hatten, waren die verbrecherischen Webseiten immer noch aktiv. Sie sind damit nach wie vor ein Risiko für die Öffentlichkeit. Eine Online-Apotheke verkauft weiterhin kontrollierte Substanzen über das Internet, zwei Jahre nach unserer Datensammlung.“ 

Opioid-Epidemie in den USA

Der Verkauf von kontrollierten Substanzen direkt an Verbraucher ohne Rezept über das Internet bedeutet in den USA einen Verstoß gegen den „Ryan Haight Online Pharmacy Consumer Protection Act“ von 2008. Das Gesetz wurde nach einem Teenager aus San Diego benannt, der nach dem Online-Kauf von rezeptpflichtigen Opioiden gestorben war.

Die USA kämpfen seit einiger Zeit mit einer „Opioid-Epidemie“, die im letzten Jahr mehr als 64.000 Todesopfer gefordert hat. Experten befürchten, dass die Zahl 2017 noch höher ausfallen könnte. Zwar wurden Maßnahmen eingeleitet, um den Missbrauch einzudämmen, aber die Rolle des Internets bei der weiteren Förderung der missbräuchlichen Anwendung werde dabei nicht ausreichend gewürdigt, meint Mackey.

Nützlich für Behörden und Betreiber von sozialen Medien

Seine Hoffnung: „Unsere Technologie könnte dabei helfen, in den sozialen Medien Aktivitäten aufzuspüren, die auf eine Gesundheitsbedrohung für die Öffentlichkeit hinauslaufen.“ So könnte sie in Zukunft mit Erfolg dazu eingesetzt werden, um etwa illegale Online-Anbieter von verschreibungspflichtigen Opioiden aus großen Mengen an Tweets herauszufiltern. Nach der Vorstellung der Studienautoren könnten Arzneimittel- und Marktüberwachungsbehörden die Methode nutzen, um Rechtsverstöße zu identifizieren und Strafverfahren gegen die Dealer in Gang zu setzen, oder auch Betreiber von sozialen Medien, um illegale Inhalte zu finden und zu blockieren.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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