„Amazonisierung“ des Arzneimittelhandels

Wie Onlinehändler den OTC-Markt in den USA umkrempeln

Berlin - 23.11.2017, 16:30 Uhr

In den USA zeigt sich der Einfluss der großen OTC-Versandhändler bereit deutlich in den Bilanzen von Pharmakonzernen und Apothekenketten. (Foto: BVDVA)

In den USA zeigt sich der Einfluss der großen OTC-Versandhändler bereit deutlich in den Bilanzen von Pharmakonzernen und Apothekenketten. (Foto: BVDVA)


Druck auf die Bilanzen

Das schlägt sich wiederum in den Bilanzen zahlreicher US-Apothekenketten nieder. So vermeldete beispielsweise CVS Health bei der jüngsten Präsentation der Quartalszahlen, dass die Zahl der Besucher in den Apothekenshops aufgrund steigender Konkurrenz zurückgegangen sei. Die Umsätze mit den über 9700 Filialen sind demnach auf Jahressicht um 2,1 Prozent gesunken.

Viele Anbieter konzentrieren sich daher mittlerweile ganz auf den E-Commerce beziehungsweise den Vertrieb von Medikamenten via Amazon. Aber auch traditionelle Händler drängen ins Onlinegeschäft: Apotheken-Ketten wie CVS und Walgreens etwa. Auch die Supermarktkette Walmart will sich stärker als Onlinehändler im Medikamentenmarkt positionieren.

Deutsche Pharma-Konzerne: Verluste wegen Onlinehändlern

Auch deutsche Konzerne bleiben von dieser Entwicklung auf dem US-Markt nicht verschont. So musste Bayer in den ersten neun Monaten 2017 bei dem bei US-Kunden beliebten Schmerzmittel Aleve einen Umsatzrückgang um zehn Prozent verkraften. Laut Handelsblatt führte der Konzern dies auf die „ungünstige Wettbewerbssituation“ in den USA zurück. Tatsächlich habe sich dahinter eine Revolution im Markt verborgen. Aleve zählt zu den bekanntesten Schmerzpillen in den USA, das verschreibungsfreie Mittel brachte Bayer zuletzt einen Jahresumsatz von 416 Millionen Euro.

Ein Blick auf die amerikanische Web-Plattform von Amazon verdeutlicht das Dilemma. Dort werden für eine Packung Aleve mit 270 Pillen knapp 18 Dollar verlangt. Die Generikamarke Kirkland Signature verlangt für 400 Stück mit gleicher Wirkstoffstärke nur 7,50 Dollar. Nicht nur, aber auch vor diesem Hintergrund ist die Consumer-Health-Sparte der Leverkusener in diesem Jahr in Turbulenzen geraten. Zum einen verkauften sich einige Marken schlecht - etwa das Sonnenschutzmittel Coppertone. Fachleute machen neben hausgemachten Problemen von Bayer dafür aber auch Herausforderungen durch den E-Commerce verantwortlich.

Als Konsequenz sank der bereinigte Betriebsgewinn von Bayers OTC-Division im dritten Quartal 2017 um 16,5 Prozent auf 274 Millionen Euro. Konzernchef Baumann sieht aber nicht nur die Leverkusener von den Veränderungen im Markt betroffen. „Die traditionellen multinationalen Unternehmen haben alle unter dem neuen Wettbewerb zu leiden“, sagt er.

Chancen für die Kleinen

Allerdings tun sich mit dieser Entwicklung für einige Marktteilnehmer auch neue Möglichkeiten auf. Vor allem kleinere Pharmahersteller hatten in den USA bislang nur geringe Chancen, in den Regalen der großen Apothekenketten oder von Supermärkten gelistet zu werden. Das hat sich durch den Aufschwung des E-Commerce verändert. „Heute haben die Kleinen sogar den Vorteil, dass sie wendig sind und keine Altlasten mit sich herumtragen. Die setzen auch im Marketing nur auf das Internet und überspringen so manchmal die althergebrachten Konkurrenten“, erläutert US-Gesundheitsexperte Rowland.

Laut Handelsblatt verlieren die führenden Anbieter Marktanteile an kleinere Konkurrenten, vor allem in den USA, teilweise aber auch in Europa. Ihre Größenvorteile könnten die führenden Anbieter bisher offenbar nicht in Marktstärke umsetzen. Dabei sei genau dies das Hauptargument für die jüngste Übernahmewelle in der Branche gewesen. So hat die französische Sanofi etwa die verschreibungsfreien Mittel von Boehringer per Tauschgeschäft übernommen. GlaxoSmithKline erhielt von Novartis das OTC-Geschäft und übertrug im Gegenzug seine Krebsmedikamente an die Schweizer.

Die Neuordnung ist nach Einschätzung von Branchenkennern noch nicht beendet. Bekanntlich prüft die deutsche Merck KGaA einen Verkauf ihres OTC-Geschäfts. Auch der US-Pharmakonzern Pfizer wird sich wohl ebenfalls von seinen verschreibungsfreien Mitteln trennen.

Wenngleich die Entwicklung in Deutschland noch nicht so ausgeprägt ist wie in den USA, nimmt der Druck auf die stationären Apotheken und OTC-Hersteller auch hierzulande zu. Versandapotheken wie DocMorris und Shop-Apotheke setzen konsequent auf Wachstum und Marktanteile und geben damit die Richtung vor. Die ABDA hat ermittelt, dass 2016 immerhin rund 97 Millionen Packungen mit rezeptfreien Arzneimitteln auf dem Versandweg zum Patienten kamen. Das entsprach knapp 13 Prozent des Gesamterlöses in diesem Segment. Gleichzeitig geht die Zahl der Kunden, die ihre Arzneimittel online kaufen, nach oben. Nach einer Erhebung des Bundesverbandes der Deutschen Versandapotheken (BVDVA) haben 2016 rund 31 Millionen Patienten beziehungsweise 55 Prozent aller Internetnutzer ihre Arzneimittel in Versandapotheken bestellt haben – mehr als in den Jahren davor.



Thorsten Schüller, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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