App „Chronic Match“

Selbsthilfe nach dem Tinder-Prinzip

Stuttgart - 24.11.2017, 07:00 Uhr

Die App ist seit knapp einer Woche im App-Store verfügbar. (Foto: Screenshot iTunes.apple.com)

Die App ist seit knapp einer Woche im App-Store verfügbar. (Foto: Screenshot iTunes.apple.com)


Nach rechts wischen, was gefällt, bei Nichtgefallen nach links. Das Swipe-Prinzip hat die Welt erobert. Man kann damit Hunde, Kunstwerke, Adoptivkinder und noch vieles mehr suchen und finden – und nun auch Menschen, die unter der gleichen Krankheit leiden. Die App „Chronic Match“ macht es möglich. Mit ihr sollen Chroniker gezielt jemanden zum Austausch finden. Dahinter steckt die Versandapotheke DocMorris. 

Laut der Nationalen Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen (NAKOS) gibt es in Deutschland zwischen 70.000 und 100.000 Selbsthilfegruppen, in denen sich Menschen mit chronischen Krankheiten austauschen können. Nach Ansicht der holländischen Versandapotheke DocMorris gibt es aber Bedarf für mehr. Daher hat das Unternehmen nun die App „Chronic Match“ entwickelt. Mit deren Hilfe sollen Menschen mit chronischen Krankheiten gezielt jemanden für ihren persönlichen 1:1-Chat finden können, heißt es in einer Pressemitteilung,

Funktionieren tut das Ganze nach dem Prinzip der Dating-App Tinder. Der Nutzer legt ein Profil an mit Name, Alter, Geschlecht, Bild und der Indikation, zudem kann eine kurze Beschreibung hinzugefügt werden. 17 Krankheitsbilder oder „Sonstiges“ können ausgewählt werden. Dann werden Angaben dazu gemacht, was man sucht:  Alter, Geschlecht oder auch der Ort. Dem Nutzer werden dann passende Profile angezeigt. Diese bewertet er per „Swipe“, also wischen nach rechts oder links – positiv oder negativ. Gibt es ein Match, das heißt zwei User bewerten sich gegenseitig positiv, können sie miteinander in Kontakt treten. 

Es gibt ein Tinder für nahezu alles

Die Idee, das Wisch-Prinzip von Dating-App Tinder auf andere Bereiche zu übertragen ist nicht neu. Es findet sich mittlerweile für fast alle Bereiche und Wünsche eine App, die es nutzt. So kann man beispielsweise mit „Tindog“ den passenden Hund, mit „Wydr“ das perfekte Kunstwerk, mit „Sidekick“ einen Sportpartner und mit Hilfe von „Adoptly“ das Wunsch-Adoptivkind finden. Die Einfachheit des Prinzips hat sich offensichtlich bewährt. 

Welche Interessen verfolgt DocMorris mit dieser App?

Welches Ziel verfolgt DocMorris mit der App, die Chroniker vernetzen soll? DocMorris ist eine Versandapotheke, Chroniker benötigen Arzneimittel. Da muss man kein Anhänger von Verschwörungstheorien sein, um auf die Idee zu kommen, dass DocMorris mehr als nur Service bieten will beziehungsweise „eine Möglichkeit, die Patienten hilft, ihren Alltag besser zu bewältigen“, wie das Unternehmen es selbst beschreibt. In der Pressemeldung zum Launch heißt es eher kryptisch. „Wir sind davon überzeugt, dass wir Patienten mit verantwortungsvollen und fortschrittlichen Lösungen die Vorteile der Apotheke von morgen aufzeigen.“ Wie die Apotheke ins Spiel kommt, ist allerdings nicht ersichtlich. DocMorris ist der Herausgeber der App, diese Info findet sich auch an den vorgeschriebenen Stellen. Sonst bringt man das Ganze aber nicht mit der Versandapotheke in Verbindung. Die App ist in Grün-Blau-Tönen gehalten und nicht im Corporate Design von DocMorris. Lediglich der Klick auf  „Chronic Match Support“ im iTunes-Store offenbart die Connection. Der führt nämlich auf die Startseite der Versandapotheke.

Keine Werbeangebote in der App

Der naheliegende Verdacht, dass DocMorris der für eine Apotheke interessanten Zielgruppe der Chroniker gezielt Werbung zuspielt, bestätigt sich in der App nicht. Werbeangebote findet man keine. Ein Sprecher von DocMorris bestätigt, dass die kostenlose App keinerlei Werbeangebote enthält. Die Selbsthilfe-App sei ein neuer digitaler Service für Patientinnen und Patienten. 

Der Nutzer bezahlt mit Daten

Was DocMorris mit dieser App aber definitiv erhält, sind wertvolle Daten. Zwar versucht das Unternehmen  Datenschutzbedenken vorzubeugen – immerhin geben Patienten hier unter Umständen ihre Diagnose preis und tauschen mit anderen Usern vertrauliche Informationen aus. So heißt es in der Pressemitteilung anlässlich des Launches „Bei der Übermittlung persönlicher Daten verwendet DocMorris ein SHA256 SSL-Zertifikat sowie den Standard TLS 1.2 mit 256-Bit-AES und die RSA-Verschlüsselung. Außerdem werden höchste Sicherheitsstandards angewendet. Somit sind die eingegebenen Daten vor dem unberechtigten Zugriff durch Dritte geschützt.“  Zudem erklärt DocMorris, dass die Chats nicht mitgelesen würden. Personenbezogene Daten würden auf Servern in Deutschland und den Niederlanden gespeichert, sie dienten nur der Nutzung der App.  

Tokens und Webtrekk

Allerdings werden sogenannte Token benutzt, das sind – ähnlich wie Cookies – kleine Dateien, die auf dem mobilen Endgerät  abgelegt werden. Durch die Token erhält DocMorris Informationen zum Klickverhalten, wann und wie lange die betroffene Person die App benutzt hat und mit welcher Indikation sie dort unterwegs ist. Aus diesen Daten werden ein pseudonomisierte Nutzungsprofile erstellt. Diese werden laut den Datenschutzhinweisen zu Marketing- und Optimierungszwecken genutzt. Zudem nutzt die App die Technologie von Webtrekk, eines auf Datenanalyse spezialisierten Dienstleisters. Damit werden auf Basis der von den Token gelieferten Informationen anonyme Nutzungsprofile erstellt, die die Grundlage für Statistiken bilden. Das kann man übrigens ablehnen, muss es aber aktiv tun. Rückschlüsse auf den User werden nicht ohne dessen Einwilligung gezogen.

Das alles passiert mit dem Einverständnis des Users. Denn er stimmt der Nutzung seiner Daten in der beschriebenen Weise zu, indem er sein Häkchen bei den AGBs, Datenschutzbestimmungen und Nutzung der personenbezogenen Daten macht. Dabei ist vermutlich den wenigsten bewusst, was für wertvolles Material sie liefern. 



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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