Kommentar

Partei first, Deutschland second

Berlin - 21.11.2017, 07:00 Uhr

Sehr viel spricht dafür, dass der FDP-Exit von Christian Lindner auf parteistrategische Überlegungen zurückging, meint DAZ.online-Chefredakteur Benjamin Rohrer in seinem Kommentar. (Foto: dpa)

Sehr viel spricht dafür, dass der FDP-Exit von Christian Lindner auf parteistrategische Überlegungen zurückging, meint DAZ.online-Chefredakteur Benjamin Rohrer in seinem Kommentar. (Foto: dpa)


Was war der wahre Grund für den FDP-Exit?

Das Gegenteil ist der Fall: Eines der letzten Sondierungspapiere trägt eine erstaunlich gelbe Handschrift – dafür, dass die FDP „nur“ knapp 11 Prozent holte. Einige wenige Beispiele sind die anlassbezogene Vorratsdatenspeicherung, die schrittweise Abschaffung des Solidaritätszuschlages, der Abbau von Bürokratie, die Unterstützung von Gründern, etc. Letztlich war klar, dass der Weg nach Jamaika steinig wird: Noch nie hat es im Bund ein Dreier-Bündnis gegeben. Dass Grüne gemeinsam mit CSU und FDP einen Vertrag unterschreiben, wäre noch vor einigen Jahren undenkbar gewesen. Da muss man schon mal ein paar eckige Klammern ertragen, bis es klappt.

Und so bleibt auf der Suche nach den wirklichen Gründen für den FDP-Exit nur noch die reine Strategie: Vielleicht hatte Christian Lindner Angst, dass seine Liberalen erneut als Junior-Partner in einer Koalition von der Union „zerquetscht“ werden und in den Umfragen und Wahlen wieder absacken. Ins Bild passt, dass die Online-Crew der Liberalen ein Twitter-Bild mit der Aufschrift „Lieber nicht regieren als falsch“ schon am vergangenen Donnerstag (so steht es im Dateinamen) entwerfen ließ. Die Liberalen bestreiten das alles und erklären, das Sondierungspapier trage eine „grüne Handschrift“, man hätte dies den liberalen Wählern nicht verkaufen können. Und das Twitter-Bild sei rein vorsorglich, also für den Fall der Fälle, entworfen worden. Das kann stimmen, muss es aber nicht.

In jedem Fall ist der Weg hin zur reinen Umfrage-getriebenen Image-Partei kein nachhaltiger. Die Liberalen haben gemerkt, dass ihr der Ruf als Klientel-Partei negativ anhängt. Doch statt den Menschen zu erklären, warum es richtig ist, für die freien Berufe und somit auch für den Erhalt der inhabergeführten Apotheke vor Ort und somit auch für einen Teil ihrer Stammwähler zu kämpfen, verabschiedet sie ein Wahlprogramm, in dem Apothekenketten gefordert werden. In den vergangenen Wochen haben die Liberalen der SPD dann immer wieder vorgeworfen, sich der staatspolitischen Verantwortung zu entziehen, weil sie nicht mitregieren will – und stürzen Deutschland nun in eine Regierungskrise. So erhöht man die Glaubwürdigkeit seiner eigenen Partei jedenfalls nicht.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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3 Kommentare

A la minute...

von Andreas P. Schenkel am 21.11.2017 um 21:57 Uhr

... mit "Minute" im (ursprünglichen) Sinne von "die Verminderte": Eine Schwarz geführte Minderheitsregierung mit kleinerem Partner (gelb oder grün) sowie mit der SPD als Option statt Opposition. Was zunächst verwegen aussieht und sich auch so anhört, ergibt einigermaßen Sinn. Denn die SPD könnte so vermutlich mehr sozialen Ausgleich in die Politik einbringen und durchsetzen als bisher. Jedenfalls mehr, als sie es, eingebunden in die Kabinettsdisziplin, in der Groko konnte.

Die Option CDU-FDP ist allerdings unwahrscheinlicher geworden durch die klaren Trennungsworte von Lindner, sodass eine Schwarz-grün-Minderheitsregierung mit SPD-Toleranz etwas wahrscheinlicher sein könnte. Die beiden Parteichefs der BaWü-Landesregierung sind heute in diesem Sinne fast schon werbend aufgetreten.

Die SPD könnte sich in diesem Arrangement erneuern und zugleich opponieren, wenn sie etwas nicht mittragen will. Ob die FDP eine Minderheitsregierung im Einzelfall stützen wird? Es hätte für die Regierungsweise von Frau Merkel einige Vorteile, einen Koalitionär und mehrere potentielle Komplementäre für eine Mehrheit im Bundestag zu haben. Ich denke nicht, dass wir instabile politische Verhältnisse bekommen werden, eher werden teilweise einige wichtige Dinge durchgesetzt werden können, die schon Jahre oder teilweise Jahrzehnte ihrer Umsetzung harren. Regieren first, Opponieren second.

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Lindner als one man show again

von Ratatosk am 21.11.2017 um 18:45 Uhr

Es ist schon selten dilettantisch, wenn man die Verschiedenheit der Parteien jetzt für den plötzlichen Rückzug angibt. Daß die Beteiligten sehr unterschiedlich sind hat jeder vorher gewußt, oder nur die FDP nicht ?
Wie soll man solch eine schlechte Kenntnisslage eigentlich werten ? Die Sorge zerquetscht zu werden ist lächerlich, da die FDP immer schon Juniorpartner waren.
Für kleine und mittlere Unternehmen und Selbständige ist das Verschwinden der FDP gut, da diese richtig nur aufs Großkapital setzen.

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Mich schaudert es beim Einheitsbrei, der da serviert werden sollte

von Andreas Grünebaum am 21.11.2017 um 17:18 Uhr

Umbeschränkter Familienzuzug für subsidiär Schutzbedürftigen - ein Hauptanliegen der Grünen und eine rote Linie. Weitestgehendes Zugehen auf die Grünen mit ihren wahnwitzigen Forderungen nach Abschaltung der Kohlekraftwerke in Deutschland (Anmerkung Deutschland ingesamt 700 Mio Tonnen CO2 und China 11 Milliarden Tonnen p.a.!). Gegenrechnen der ohnehin längst fälligen Abschaffung des Solis gegen weitreichende soziale Wohltaten von Seiten der CDU/CSU und Grünen. Die Verhandlungen garniert mit andauernden Indiskretionen der Grünen bis hin zu dem Interview von Trittin ausgerechnet in der BILD Zeitung.
Vielen Dank, aber das war den meisten mir bekannten FDP Wählern längst schon zu viel des Guten. Ich bitte auch mal um Verständnis: es wird doch auch keiner ein Bündnis zwischen SPD, Linke, Grünen und AfD fordern, nur weil die eine Mehrheit zusammenbringen könnten.

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