Tech-Unternehmen im Gesundheitswesen

Warum sich Google, Amazon und Co. für die Pharma-Branche interessieren

Berlin - 27.10.2017, 12:15 Uhr

Früher Fotos, Suchmaschinen und Bücher, heute Zellkulturen und Apothekenmarkt: Immer mehr Technologiekonzerne steigen in den Gesundheitsmarkt ein. Aber warum? (Foto: Picture Alliance)

Früher Fotos, Suchmaschinen und Bücher, heute Zellkulturen und Apothekenmarkt: Immer mehr Technologiekonzerne steigen in den Gesundheitsmarkt ein. Aber warum? (Foto: Picture Alliance)


Technologieorientierte Konzerne wie Alphabet/Google, Amazon oder Samsung begnügen sich längst nicht mehr mit ihrem ursprünglichen Kerngeschäft. Zunehmend wagen sie sich auch in den Gesundheitsbereich vor, so in die Entwicklung von Arzneimitteln und Diagnostika. Das könnte eine große Herausforderung für etablierte Unternehmen aus diesen Segmenten werden.

Nicht nur die Automobilbranche macht derzeit einen grundlegenden Wandel durch. Auch in der Gesundheits- und Pharmaindustrie zeichnet sich eine Zeitenwende ab. Während die Entwicklung und Produktion von Arzneimitteln und Diagnostika bislang das Geschäft von etablierten und fokussierten Pharma-, -Biotech und Diagnostikunternehmen war, scheinen zunehmend auch große Technologiekonzerne wie Alphabet – die Mutterholding von Google –, Samsung oder Amazon diesen Bereich für sich zu entdecken.

Die Entwicklung hat bereits derart an Fahrt aufgenommen, dass sich die britische Großbank HSBC in einer Studie mit dem Titel „Techs and Drugs“ eigens dem Thema widmet. Die Analysten kommen dabei zu dem Ergebnis, dass die Tech-Firmen den Einstieg in die für sie neuen Geschäftsbereiche wesentlich schneller umsetzen als es die dort bereits etablierten Pharma- und Medizintechnikunternehmen getan haben. Zudem gehen sie davon aus, dass die Infiltration der neuen Mitspieler in die Gesundheitsindustrie weitergehen dürfte. Das wiederum könnte einen grundlegenden Paradigmenwechsel einleiten, die bisherigen Platzhirsche massiv unter Druck setzen sowie erheblichen Einfluss auf die Arzneimittelpreise haben.

Wachstumschampion Samsung

Wie, und vor allem wie schnell, der Einstieg in ein neues Geschäftsgebiet gehen kann, zeigt das Beispiel Samsung Biologics, eine Tochter des südkoreanischen Samsung-Konglomerats. Das Unternehmen entwickelt sich nach Einschätzung der HSBC-Analysten in großen Schritten zu einem der weltweit größten Auftragsproduzenten für biopharmazeutische Arzneimittel. Samsung Biologics verfüge mittlerweile über bedeutende biopharmazeutische Fertigungsmöglichkeiten. So werde das Unternehmen Ende 2018 bei Brustkrebs-Biopharmazeutika die weltweit drittgrößten Produktionskapazitäten haben.

Samsung Bioepis, ebenfalls ein Spross des Samsung-Konzerns und ein Joint-Venture mit dem US-Unternehmen Biogen, hat sich dagegen der Entwicklung von Biosimilars verschrieben. Nur fünf Jahre nach der Gründung verfügt Samsung Bioepis bereits über fünf zugelassene Arzneimittel dieser Klasse in Europa und in den USA. Damit hat die Firma nicht nur ein ungeheures Tempo vorgelegt, sondern sich mit Biosimilars zu Enbrel, Remicade, Humira, Herceptin und Lantus auch an ausgesprochen erfolgreiche und umsatzstarke Arzneimittel herangewagt. Die addierten Jahreserlöse der Originalprodukte brachten es 2016 auf immerhin mehr als 47 Milliarden Dollar. 

Fujifilm: Früher Fotos, heute Zellkulturen

Auch Alphabet hat den Bereich Gesundheit entdeckt. So verweisen die HSBC-Analysten darauf, dass Verily, ein erst Ende 2015 gegründetes Unternehmen aus der Alphabet-Familie, sowohl Arzneimittel- als auch Diagnostik- und Medizintechnik-Entwicklungsprogramme in verschiedenen therapeutischen Gebieten verfolgt. Calico, ebenfalls ein Alphabet-Gewächs, hat sich hingegen den altersbedingten Krankheiten verschrieben. Um in diesem Bereich neue Kandidaten und Projekte ausfindig zu machen, hat das Unternehmen niemand Geringeren als den früheren Genentech-Chef Art Levinson angeheuert.

Fujifilms Wandel

Auf dem HSBC-Radar erscheint auch die japanische Fujifilm. Das Unternehmen, einst bekannt für seine Kleinbildfilme, hat die ersten Schritte hin zur Fertigung biopharmazeutischer Wirkstoffe im Jahr 2011 mit der Akquisition von Diosynth sowie von Merck, Sharpe and Dohme Biologics, einem ehemaligen Ableger des US-Pharmariesen Merck & Co. gemacht. Heute ist Fujifilm Diosynth Biotechnologies ein Auftragsproduzent von Zellkulturen. Darüber hinaus hat Fujifilm in schnellen Schritten weitere Unternehmen wie Kalon Biotherapeutics erworben und mehrere Kooperationen gestartet. So gibt es eine Partnerschaft mit Mitsubishi Tanabe, ein Biosimilar-Joint-Venture mit Kyowa Hakko Kirin, welches wiederum zusammen mit AstraZeneca ein Biosimilar zu Roche’s erfolgreichem Krebspräparat Avastin entwickelt.

Auch im Bereich Diagnostik mischen die Techkonzerne mittlerweile kräftig mit. GE Healthcare, eine Tochter des Technologiegiganten General Electric (GE), spielt global nicht nur eine starke Rolle bei bildgebenden diagnostischen Systemen, ist bei der Entwicklung und dem Bau komplexer biologischer Produktionsanlagen sehr aktiv und hat sich zu einem der anerkanntesten Hersteller von Einmal-Produktionsmitteln in der Biopharmaindustrie entwickelt. Darüber hinaus verfügt das Unternehmen auch über erhebliche Life-Science-Aktivitäten – sie machten im vergangenen Jahre immerhin rund 23 Prozent des Umsatzes von GE Healthcare aus.

Schließlich könnten nach Ansicht der HSBC-Analysten Tech-Konzerne in Zukunft auch bei den Online-Apotheken eine bedeutende Rolle spielen. Vor allem in den USA werden diese bislang üblicherweise von traditionellen Apothekenketten und in Zusammenarbeit mit sogenannten Pharmacy Benefit Managers (PBMs) geführt. Große Internetunternehmen hätten hier bislang noch nicht ihre Hände im Spiel. Das könnte sich ändern. So wird insbesondere Amazon immer wieder mit einem möglichen Einstieg in den Pharmahandel ins Gespräch gebracht.

Starke Quartalszahlen der Techfirmen

Dass die Unternehmen wissen, was sie tun und wie sie ein Geschäft anpacken müssen, zeigen die aktuellen Quartalszahlen der US-Techriesen. Die Geschäftsergebnisse von Alphabet, Amazon und Microsoft haben die Erwartungen von Marktteilnehmern deutlich übertroffen. „Wir hatten ein sagenhaftes Quartal“, verkündete beispielsweise Alphabet-Finanzchefin Ruth Porat. Verglichen mit dem Vorjahreswert legte der Umsatz um 24 Prozent auf 27,8 Milliarden Dollar zu, der Überschuss wuchs um rund ein Drittel auf 6,7 Milliarden Dollar. Amazon erhöhte den Umsatz im Quartal um 34 Prozent auf 43,7 Milliarden Dollar, Microsoft um zwölf Prozent auf 24,5 Milliarden Dollar.

Der Appetit der Techunternehmen an der Gesundheitsbranche dürfte nach Einschätzung der Analysten denn auch noch nicht gestillt sein. So würde es beispielsweise für GE Healthcare viel Sinn machen, die bisherigen Fähigkeiten beim Bau biopharmazeutischer Produktionsanlagen und bei sogenannten Downstream-Prozessen in der Biopharmafertigung zu nutzen, um selber in die Auftragsproduktion biopharmazeutischer Wirkstoffe hinein zu gehen.

GE, Siemens und Philips, die bereits heute die drei größten Produzenten von Röntgen-, CT- und MRT-Scannern sind, könnten laut HSBC deutlich über dieses Geschäft hinaus gehen und selbst diagnostische Labore anbieten und betreiben. Wie schnell und erfolgreich so etwas geschehen kann, zeige anschaulich das Beispiel Samsung Biologics.

Während sich Samsung Bioepis und Samsung Biologics weiter stark in der Entwicklung von neuen biopharmazeutischen Arzneimitteln engagieren dürften, sehen die Analysten Alphabets Biotech- und Medtech-Aktivitäten zunehmend erfolgreich bei der Kommerzialisierung von Produkten aus diesem Bereich. Außerdem könnten Verily und Calico andere Life-Science-Unternehmen übernehmen und damit ihr eigenes Wachstum beschleunigen.

Druck auf etablierte Pharmafirmen

Zusammengenommen dürften die etablierten Unternehmen in diesen Segmenten damit künftig deutlichen Gegenwind durch die erstarkende Konkurrenz spüren. Konkret nennen die Analysten den Schweizer Roche-Konzern, der in seinen Diagnostikaktivitäten die neuen Wettbewerber wahrnehmen könnte. Sollten die Techkonzerne ihre Aktivitäten in der Herstellung biopharmazeutischer Arzneimittel intensivieren, könnten damit die Preise dieser Produkte unter Druck geraten. Unternehmen, die bislang in diesem Bereich unterwegs sind, dürften damit unter Druck geraten. Namentlich nennt HSBC hier Novo Nordisk, Sanofi und erneut Roche. Und sollten sich „Techies“, insbesondere Internetkonzerne entschließen, tatsächlich im großen Stil in den Pharmahandel einzusteigen, so könnte dies Druck auf die Verkaufspreise von Arzneimitteln ausüben.



Thorsten Schüller, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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