Welt-Adipositas-Tag

Alarmierender Trend: Immer mehr fettleibige Kinder

Remagen - 11.10.2017, 09:25 Uhr

Einer Untersuchung zufolge sind immer mehr Kinder übergewichtig. (Foto: kwanchaichaiudom / stock.adobe.com)

Einer Untersuchung zufolge sind immer mehr Kinder übergewichtig. (Foto: kwanchaichaiudom / stock.adobe.com)


Bezüglich ihrer Ernährungssituation scheinen Kinder und Jugendliche überall in der Welt immer weiter auseinanderzudriften. Mehr und mehr Angehörige dieser Altersgruppe sind fettleibig. Noch haben sie die Untergewichtigen nicht überholt, aber das könnte in nicht allzu ferner Zukunft passieren. Darauf deuten die Ergebnisse einer groß angelegten Untersuchung hin, die in „The Lancet“ erschienen ist.

Passend zum heutigen Welt-Adipositas-Tag hat eine Forschungsgruppe die Ergebnisse einer neuen globalen Analyse zu den Trends der Fettleibigkeit bei Heranwachsenden bekannt gemacht. Die Studie unter der Leitung des Imperial College London und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) analysierte Daten aus 2416 Studien mit 128,9 Millionen Teilnehmern einschließlich 31,5 Millionen Kinder und Jugendlichen im Alter von 5 bis19 Jahren. Sie erstreckte sich weltweit auf 200 Länder.

Hiernach hat die Anzahl der adipösen Mädchen in den vergangenen vier Jahrzehnten von 5 Millionen (1975) auf 50 Millionen im Jahr 2016 zugenommen. Bei den Jungen ist der Anstieg von 6 Millionen auf 74 Millionen sogar noch drastischer. Hier hat sich die Zahl deutlich mehr als verzehnfacht. Insgesamt erhöhte sich die weltweite Prävalenz der Adipositas in dieser Altersgruppe für Mädchen von 0,7 auf 5,6 Prozent und für Jungen von 0,9 auf 7,8 Prozent. Zur Erinnerung: Als Fettleibigkeit wird ein Body Mass Index (BMI in kg/m2) von über 30,0 definiert. Zusätzlich wurden 213 Millionen dem Bereich „Übergewicht“ (BMI in kg/m2: 25,0 – < 30) zugeordnet. Auch der durchschnittliche BMI bei Kindern und Heranwachsenden bleibt in vielen einkommensstarken Ländern in Nordamerika und Europa hoch.

Schwerpunkte in Polynesien, USA, Nahost und Nordafrika

Am höchsten sind die Raten an fettleibigen Kindern mit über 30 Prozent auf einigen Inseln in Polynesien. Auf mehr als 20 Prozent fettleibige Kinder und Jugendliche kommen aber auch die USA und einige Länder in Nahost und Nordafrika (z. B. Ägypten, Kuwait, Katar und Saudi-Arabien) und der Karibik (z. B. Bermudas und Puerto Rico). Deutschland liegt im Prävalenz-Ranking für Mädchen auf Platz 111 von 200 Ländern und für Jungen auf Rang 81. Zum Vergleich: Für die USA werden die Ränge 15 bzw. 12 angegeben. Die Niederlande rangieren für Mädchen auf Platz 115 und für Jungen auf Platz 121 und die Schweizer mit Rang 135 bzw. 129 noch dahinter.

Wie soll man gegensteuern?

„Die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit Adipositas ist in den letzten vier Jahrzehnten in den meisten Ländern der Welt erheblich gestiegen", sagt Studienautor James Bentham, Universität von Kent, UK. „Dass hinsichtlich des durchschnittlichen BMI in Europa und Nordamerika vor Kurzem ein Plateau erreicht wurde, ist kein Grund zur Selbstzufriedenheit. In den USA ist mehr als einer von fünf Jugendlichen fettleibig und in Großbritannien jeder zehnte.“

Der Studienautor vom Imperial College London Majid Ezzati fügt hinzu: „Es gibt zwar einige Initiativen von Regierungen, Gemeinden oder Schulen, um das Bewusstsein bezüglich der Adipositas im Kindes- und Jugendlichen-Alter zu erhöhen, aber die meisten einkommensstarken Länder scheuen sich, mit Steuern und branchenspezifischen Vorschriften dagegen vorzugehen.“ Außerdem, so merken die Autoren an, müssten Strategien gegen Fettleibigkeit bei Kindern mit verbesserten Behandlungen, wie Verhaltenstherapie, Ernährung und Bewegung, Screening und Management der Hypertonie sowie im Extremfall Adipositas-Chirurgie verknüpft werden.

Konzertierte Aktion gefordert

Übermäßige Gewichtszunahme im Kindes- und Jugendalter ist verbunden mit einem höheren Risiko und früheren Beginn von chronischen Krankheiten wie Typ-2-Diabetes, schlechteren psychosozialen und schulischen Ergebnissen und lebenslangen Schäden. Viele kommen von den überflüssigen Pfunden nicht mehr herunter. Für Leanne Riley, Autorin der Studie seitens der WHO, zeigen die Befunde der Studie deshalb einen bedenklichen Trend auf: „Ohne ernsthafte, konzertierte Aktion gegen die Fettleibigkeit, angefangen von einer besseren Ernährung und Erhöhung der körperlichen Aktivität, bis hin zur Implementierung von Maßnahmen der Gesundheitssysteme, die der Fettleibigkeit bei Jugendlichen frühzeitig den Kampf ansagen, wird die Gesundheit von Millionen von Menschen unnötig aufs Spiel gesetzt.“ Die Folge seien immense menschliche und wirtschaftliche Kosten für die Gemeinschaften, warnt Riley.

Das andere Extrem: Die meisten untergewichtigen Kinder leben in Südasien

Es gibt aber auch das andere Extrem. Trotz des Anstiegs der Kinder und Jugendlichen mit Adipositas bleiben weltweit mehr Kinder mäßig oder stark untergewichtig als fettleibig. 75 Millionen Mädchen und 117 Millionen Jungen haben die Wissenschaftler in ihrer Analyse in diese Gruppe einsortiert. Zwischen 1975 und 2016 hat sich die Prävalenz des mittelschweren und schweren Untergewichts jedoch für Mädchen von 9,2 auf 8,4 Prozent verringert und für Jungen von 14,8 auf 12,4 Prozent. Fast zwei Drittel der Betroffenen leben in Südasien. Dort waren im Jahr 2016 20,3 Prozent der Mädchen und 28,6 Prozent der Jungen mäßig oder stark untergewichtig (im Vergleich zu 23,0 Prozent und 37,8 Prozent im Jahr 1975). Nach der neuen Erhebung war der durchschnittliche BMI im Jahr 2016 am niedrigsten in Äthiopien (16,8 kg/m2 für Mädchen und 15,5 kg/m2 für Jungen). Auch für den Niger, Senegal, Indien, Bangladesch, Myanmar und Kambodscha ermittelten die Forscher niedrige Werte. 

Von „zu dünn“ nach „zu dick“ kann es schnell gehen

Die Politik muss zwar die Ernährungssicherheit in Ländern mit niedrigem Einkommen, vor allem in Südasien verbessern“, sagt Ezzati, „aber unsere Daten zeigen auch, dass der Übergang von Untergewicht zu Übergewicht und Adipositas bei einer ungesunden Ernährung mit einem Umsteigen auf nährstoffarme, kalorienreiche Lebensmittel sehr rasch passieren kann. Initiativen und Geber mit dem Schwerpunkt Unterernährung haben diesen Aspekt bislang zu wenig im Auge“, fügt der Wissenschaftler vom Imperial College London an.

Derzeit ist der Anstieg der Prävalenz von Adipositas bei Kindern und Jugendlichen stärker als der Rückgang der Unterernährung. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, so wird die Zahl an fettleibigen Kindern und Jugendlichen diejenige von Heranwachsenden mit mittelschwerem und schwerem Untergewicht wahrscheinlich bis zum Jahr 2022 übertreffen, prognostizieren die Autoren der Analyse. 



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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