Selbstmedikation

Switch-Highlights unter der Lupe

Stuttgart - 26.09.2017, 09:00 Uhr


In Europa ist die Entscheidung, ob ein Arzneimittel rezeptpflichtig sein soll oder nicht, außer bei den zentral zugelassenen Arzneimitteln, eine rein nationale Angelegenheit. Heraus kommt ein bunter „Flickenteppich“. Welche Wirkstoffe sind wo rezeptfrei und wo steht Deutschland im internationalen Switch-Szenario?

In Europa wird der Abgabestatus eines Arzneimittels lediglich bei zentral zugelassenen Arzneimitteln einheitlich festgelegt. So ist auch ein EU-weiter Switch möglich, eine attraktive Option. Beispiele für erfolgreiche EU-weite Switches sind das Notfallkontrazeptivum Ulipristal (ellaOne®) und der Protonenpumpeninhibitor Esomeprazol (Nexium Control®).

Ansonsten haben die Mitgliedstaaten hierfür jeweils eigene Verfahren entwickelt, und auch über Europa hinaus ergibt sich ein sehr divergentes Bild. In der Zeitschrift „Gesundheitsökonomie und Qualitätsmanagement“ hat Elmar Kroth, Geschäftsführer Wissenschaft beim Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) und ausgewiesener Experte auf diesem Gebiet, ein aktuelle Bestandsaufnahme zum Thema Switch geliefert. Er verweist dabei im Wesentlichen auf eigene Analysen und internationale Erhebungen eines Autorenteams rund um die neuseeländische Switch-Expertin Natalie Gauld aus den Jahren 2014 und 2015.

Neuseeland als Switch-Vorreiter

Hiernach ist Neuseeland am aktivsten, wenn es um innovative Switches geht, gefolgt von Großbritannien und Japan. In manchen Ländern gibt es erheblich weniger Switches, oder sie kommen bei den Patienten zum Teil deutlich später an. So mussten zum Beispiel die Patienten in Großbritannien auf nicht-sedierende Antihistaminika in der Selbstmedikation fast 20 Jahre länger warten als Betroffene in den USA. Was waren wichtige OTC-Switche der vergangenen Jahre? Bei welchen Arzneimitteln war Deutschland OTC-Switch-Vorreiter? Bei welchen hinkt die Bundesrepublik hinterher?

Die bedeutendsten Switches ...

Statine. Als „bemerkenswert“ bezeichnet Kroth den „First-in-world“-Switch von Simvastatin in Großbritannien im Jahr 2004, dem weltweit ersten Statin in der Selbstmedikation. Demgegenüber wurden Switch-Anträge für Lovastatin in den USA und für Simvastatin in Neuseeland abgelehnt, in den USA bereits mehrfach.

Triptane. Viel Beachtung fanden laut Kroth auch die „Erst-Switches“ der beiden Triptane Naratriptan (2006) und Almotriptan (2009) zur Behandlung der Migräne in Deutschland in den Jahren 2006 und 2009. Beide sind lediglich als sogenannte „Attack Packs“ mit zwei Tabletten ohne Rezept erhältlich. Weiterhin wurde 2006 Sumatriptan als das erste Triptan in Großbritannien zur Migränebehandlung in die Selbstmedikation überführt.

Herpes-Präparate. Ebenfalls zuerst in Deutschland wurden die Switches der Herpes-Präparate Aciclovir (1993) und Penciclovir (2005) umgesetzt. Nasale Corticoide gegen Heuschnupfen. Seit einigen Jahren können Betroffene in verschiedenen Ländern auch die wirksamsten Präparate zur Behandlung der saisonalen allergischen Rhinitis (Heuschnupfen), die Glucocorticoide, direkt in den Apotheken kaufen. In Deutschland wurden hierfür zum 1. Oktober 2016 Beclometason, Fluticason und Mometason als nasal zu applizierende Wirkstoffe (nach ärztlicher Erstdiagnose) verfügbar gemacht. In den USA, Kanada und Irland ist Triamcinolon in der nasalen Form ebenfalls seit ein paar Jahren rezeptfrei. 

Umfrage zum Thema OTC-Switch

Wie denken Sie darüber? Sind OTC-Switches für die Apotheker eine Chance oder einfach nur Mehraufwand? Und welche weiteren Switches könnten Sie sich vorstellen? Ein Antibiotikum gegen Blasenentzündung, antientzündliche Augentropfen oder gar Sildenafil?

Nehmen Sie an unserer Umfrage teil, die wir im Auftrag der Hochschule Kaiserslautern und des BAH durchführen.

Hier geht es zur Umfrage (DocCheck-Login erforderlich).


Weitere Highlights

Protonenpumpenhemmer. Zu den bedeutendsten Switches der letzten Jahrzehnte zählt der BAH-Geschäftsführer außerdem die Protonenpumpeninhibitoren (PPI). In den meisten Ländern besitzen Omeprazol, Esomeprazol und Pantoprazol den Status als OTC. Außerdem ist Lansoprazol nach dem ersten Switch in den USA (2009) in der EU auch in Finnland, Portugal und Schweden rezeptfrei erhältlich und Rabeprazol in Irland und Großbritannien. In Deutschland wurde für beide bislang kein Switch-Antrag gestellt. Kroth hält es auch für mehr als fraglich, ob der Switch weiterer Substanzen hierzulande wirtschaftlich erfolgreich sein könnte, denn der PPI-Markt steht offenbar unter einem starken Preisdruck. Nach abgegebenen Packungen lag der OTC-Anteil bei elf Prozent, und auch nach Wert hatte der OTC-Bereich laut Kroth aufgrund des rapiden Preisverfalls lediglich eine marginale Bedeutung.

Calcipotriol. 2009 wurde in den USA Calcipotriol zur Behandlung der Psoriasis freigestellt, und jetzt hat auch die britische Arzneimittelbehörde (MHRA) der Entlassung von Calcipotriol aus der Rezeptpflicht unter bestimmten Bedingungen zugestimmt. In Irland wurde die Zulassung für eine rezeptfreie Version im letzten Jahr erteilt. In Deutschland hat der zuständige Sachverständigenausschuss einen Switch-Antrag im Jahr 2008 ebenfalls positiv beurteilt, aber das Bundesministerium für Gesundheit verfolgte den Beschluss nicht weiter, so dass Calcipotriol im Ergebnis weiter unter der Rezeptpflicht verblieb.

Verschlungene und dornige Wege bis zu einem Switch

Zwei Beispiele dafür, wie „verschlungen“ und „dornig“ die Wege bis hin zu einem Switch sein können, sind Levonorgestrel und Sildenafil. Mit Levonorgestrel („Pille danach“) hatte sich der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht erstmals schon vor zehn Jahren, dann erneut Anfang 2014 befasst und den Switch befürwortet. Auch der Deutsche Bundesrat stimmte der Empfehlung zu, aber das Bundesgesundheitsministerium sträubte sich zunächst dagegen. Erst nachdem die EU-Kommission Anfang 2015 die Rezeptpflicht für das zentral zugelassene Notfallkontrazeptivum Ulipristal europaweit aufgehoben hatte, wurde auch Levonorgestrel in Deutschland aus der Verschreibungspflicht entlassen. Seit Mitte März 2015 ist es rezeptfrei erhältlich.

In Neuseeland und Polen ist Sildenafil als Mittel gegen erektile Dysfunktion in den Apotheken schon ohne Rezept zu bekommen. Nun läuft auch ein Antrag des Originalanbieters Pfizer in Großbritannien. Den ersten Anlauf, Sildenafil in Europa aus der Rezeptpflicht heraus zu bekommen, hatte das Unternehmen schon vor zehn Jahren genommen. Mit seinem EU-weiten Switch-Antrag war Pfizer jedoch bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur auf Widerstand gestoßen und hatte den Antrag daraufhin zurückgezogen. Nun sieht es aber ganz nach einem Switch-Erfolg in Großbritannien aus. Auch in Australien laufen Anträge auf Entlassung von der Verschreibungspflicht für die PDE-5-Hemmer Sildenafil und Vardenafil, die allerdings kritisch betrachtet werden.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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