Nutzen-Risiko-Profil von SSRI

Zulassung von Antidepressiva weiter in der Kritik

Berlin - 19.09.2017, 17:30 Uhr

Die Bundesregierung musste kürzlich kritische Fragen zur Zulassung einiger Antidepressiva beantworten. (Foto: hetwig / Fotolia)

Die Bundesregierung musste kürzlich kritische Fragen zur Zulassung einiger Antidepressiva beantworten. (Foto: hetwig / Fotolia)


In einer Kleinen Anfrage äußerte die Linken-Fraktion erhebliche Bedenken bezüglich der Zulassung einiger Antidepressiva aus der Gruppe der SSRI. Inzwischen liegen die Antworten der Bundesregierung vor – doch nach Ansicht der gesundheitspolitischen Sprecherin der Linken, Kathrin Vogler, weicht das Bundesgesundheitsministerium in wichtigen Fragen aus, anstatt die Zweifel zu entkräften.

Kürzlich stellte die Links-Fraktion im Deutschen Bundestag eine Kleine Anfrage zu Antidepressiva – und hinterfragte die Zulassung insbesondere von einigen Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI). Manche seien in Fachkreisen schon seit ihrer Zulassung umstritten, erklärten die Abgeordneten um ihre gesundheitspolitische Sprecherin Kathrin Vogler. So habe es bereits 1990 Berichte über gesteigerte Suizidalität nach der Einnahme des Wirkstoffs Fluoxetin gegeben und das damalige Bundesgesundheitsamt habe das Präparat Fluctin® unter fragwürdigen Umständen zugelassen: Mindestens zwei Mitglieder der Zulassungskommission hätten Kontakt mit dem Pharmahersteller Eli Lilly gehabt, obwohl dies „streng verboten“ gewesen sei. Der damals zuständige Vorsitzende der Kommission habe im Jahr 2013 außerdem gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“ erklärt, dass die Zulassung von Fluctin® nach den später vorliegenden Daten „keine gute Entscheidung“ gewesen sei.

Bei Zoloft® (Sertralin) sieht die Linke Hinweise, dass Probleme im Zulassungsverfahren gezielt verschleiert worden sein könnten: Rund 90 Prozent der Fälle von schweren Nebenwirkungen hätten im Zulassungsantrag keine Berücksichtigung gefunden. Daher fragte die Fraktion die Bundesregierung, ob das „Ausselektieren von 90 Prozent der Fälle von Suizidversuchen, vollendeter Suizide und Suizidalität“ nicht ein hinreichender Tatbestand sei, um die Gültigkeit und Aussagekraft der Bewertung durch das pharmazeutische Unternehmen in Zweifel zu ziehen. Eine umfassende Prüfung der Risiken von Zoloft® hat nach Einschätzung der Linken-Politiker „sehr wahrscheinlich nicht stattgefunden“ – sie fragen, warum das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bisher die Zulassung nicht entzogen und auch sonst „bislang nichts unternommen hat“.

Inzwischen liegen die Antworten der Bundesregierung vor. In klinischen Studien erfasste schwerwiegende wie auch nicht schwerwiegende Nebenwirkungen flößen „grundsätzlich in die Beurteilung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses im Rahmen der Zulassung ein“, erklärt das Bundesgesundheitsministerium (BMG). Über das Pharmakovigilanzsystem würden Verdachtsfälle von Nebenwirkungen gemeldet, außerdem seien die Zulassungsinhaber zur Übermittlung regelmäßig aktualisierter Unbedenklichkeitsberichte verpflichtet. 

Bundesregierung sieht keinen Handlungsbedarf

Bei Zoloft® habe der Hersteller bei Zulassung alle relevanten Wirksamkeits- und Sicherheitsdaten vorlegt, erklärt das BMG. Sie verweist außerdem darauf, dass geprüft werde, ob es einen kausalen Zusammenhang zwischen Nebenwirkungen und Arzneimittel gebe. „Im vorliegenden Fall können bereits die Grunderkrankung oder auch Begleiterkrankungen Ursachen suizidaler Ereignisse sein“, heißt es in der Antwort auf die Linken-Anfrage.

Die Zulassung des Arzneimittels Fluctin® im Jahr 1990 beinhaltete auch Hinweise auf die Notwendigkeit, bestimmte Patientengruppen zu Beginn der Behandlung wegen eines möglicherweise erhöhten Suizidrisikos ärztlich zu überwachen, betont die Bundesregierung. Außerdem solle – wenn nötig – eine begleitende Anwendung eines beruhigenden Arzneimittels eingeleitet werden.

„Quantitativ ergeben sich aktuell aus den Meldungen des Spontanmeldesystems zu Suiziden, Suizidversuchen, suizidalen Gedanken oder suizidalem Verhalten weder aus Deutschland noch auf europäischer Ebene Hinweise auf einen Anstieg der Meldungszahlen“, erklärt die Bundesregierung. „Für alle im Verkehr befindlichen Arzneimittel aus der Gruppe der SSRI ist das Nutzen-Risiko-Verhältnis nach derzeitigem Kenntnisstand weiterhin positiv.“ Teilweise identifizierte Risiken, wie das Risiko der Suizidalität, hätten die Behörden durch Ergänzungen der Packungsbeilage und Fachinformation begegnet. „Anhaltspunkte für die zu treffenden Maßnahmen nach § 30 AMG, d. h. Rücknahme, Widerruf oder Ruhen der Zulassung, waren und sind derzeit nicht ersichtlich“, schreibt die Regierung.

Laut Linken-Politikerin weicht die Regierung teils „komplett aus“

Doch die Linken-Politikerin Kathrin Vogler hat als Reaktion auf die BMG-Antwort weiterhin „extreme Zweifel“ am Zulassungsverfahren, wie sie gegenüber DAZ.online sagt. Dies betrifft insbesondere auch Kritik an möglichen Interessenskonflikten des BfArM-Präsidenten Karl Broich: Mehrere Fragen hierzu beantwortete die Regierung nicht ähnlich ausführlich wie andere Punkte, sondern mit einer allgemeinen Stellungnahme. „Über die Rücknahme, den Widerruf oder das befristete Ruhen einer Zulassung wird gemäß den gesetzlichen Vorgaben entschieden“, hieß es – und dass die Bundesoberbehörden sicherstellen, dass es keine unzulässige Beeinflussung gebe.

„Bei allen, auch konkreten Fragen zu Positionen und Veröffentlichungen des heutigen Präsidenten des Bundesinstituts für Arzneimittel zum Thema SSRI-Antidepressiva weicht die Bundesregierung komplett aus“, bemängelt Vogler. Auch von „unzulässigen Kontakten“ einiger Mitglieder der Zulassungskommissionen zur Industrie wolle die Bundesregierung nichts wissen. „Statt auch kritische Daten zur Kenntnis zu nehmen, stellt sich die Bundesregierung schützend vor die Pharmakonzerne“, erklärt die Linken-Politikerin. Für sie ist es ein Anreiz, am Thema dranzubleiben.

Das BfArM wollte auf Nachfrage von DAZ.online zu den Vorwürfen, die sich aus der Anfrage der Linken ergeben, keine Stellung nehmen. „Die von Ihnen angesprochene Beantwortung der Kleinen Anfrage enthält bereits zu allen angefragten Aspekten Informationen“, erklärte ein Sprecher mit Bezug auf die Antwort der Bundesregierung. 



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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