Zukunft des Einzelhandels

Gibt es in Fußgängerzonen bald nur noch Ketten und Franchise?

Düsseldorf - 12.09.2017, 07:00 Uhr

Überall das Gleiche: DAZ.online-Autor Torsten Schüller hat sich mit der Frage beschäftigt, warum sich deutsche Innenstädte immer weiter aneinander angleichen. (Foto: dpa)

Überall das Gleiche: DAZ.online-Autor Torsten Schüller hat sich mit der Frage beschäftigt, warum sich deutsche Innenstädte immer weiter aneinander angleichen. (Foto: dpa)


Die deutschen Innenstädte gleichen sich immer mehr an. Uniforme Ladenketten breiten sich aus, Einzelunternehmer mit individuellen Geschäften scheinen eine aussterbende Spezies zu sein. Vielerorts sind Apotheker die letzten unabhängigen Inhaber. Doch näheres Hinsehen zeigt, dass die Entwicklung gar nicht so eindeutig und durchaus vielfältig ist. In jedem Fall steht der Markt laut Experten vor weiteren Umwälzungen.

Ob Hamburg, Regensburg, Ludwigshafen oder Oldenburg – die deutschen Innenstädte wirken vielfach austauschbar. Überall die gleichen Marken, die gleichen Namen, die gleichen Farben, die gleiche Aufmachung. Kettengeschäfte scheinen die Herrschaft über die Innenstadtlagen übernommen zu haben, während individuelle Geschäfte und Einzelunternehmer offenbar zunehmend aussterben. In vielen (Klein-) Städten stehen daher auch immer mehr Läden frei, ohne dass sich ein Nachmieter findet – die Fußgängerzonen werden immer weniger frequentiert.

So stellte die HSH Nordbank vor einigen Jahren in einer umfangreichen Untersuchung zur Entwicklung der Branche fest: „Im Einzelhandel haben starke Strukturverschiebungen stattgefunden. Bei nur geringen realen Umsatzsteigerungen setzte sich der Konzentrationsprozess fort. Viele Einzelhändler mussten ihr Geschäft aufgeben. Insbesondere der nicht filialisierte Einzelhandel verlor Marktanteile, während Discounter und Fachmärkte dazugewinnen konnten.“

Nur ein Beispiel für eine solche Entwicklung ist die hessische Landeshauptstadt Wiesbaden. Der Wiesbadener Kurier berichtete kürzlich über das Stadtbild, beispielsweise in der Fußgängerzone: „Karstadt, Vero Moda, H&M und New Yorker - in Kirch- und Langgasse pflastern die Schaufenster der großen Modeketten den Weg.“ Angesichts der Monokultur der Ketten stellten Geschäfte wie die Apotheke in der Fußgängerzone inzwischen eine seltene Ausnahme dar. Sie zähle zu den wenigen inhabergeführten Geschäften und damit zu den Exoten des Einzelhandels. Nach Informationen der Immobilienagentur Jones, Lang Lasalle beträgt der Filialisierungsgrad in Wiesbaden gut 85 Prozent – ein Wert, der auch auf zahlreiche andere deutsche Innenstäde übertragbar ist.

Starke Konzentrationsprozesse

„Die Konzentration im Einzelhandel führte in deutschen Innenstädten nicht selten zur Uniformität des Betriebs- und Warenangebotes“, heißt es zusammenfassend in einer Einzelhandels-Untersuchung, die die Stadt Wiesbaden bei der Gesellschaft für Markt- und Absatzforschung (GMA) in regelmäßigen Abständen aktualisieren lässt. Demnach haben die „Warenhäuser und der Fachhandel ihre Funktion als Leitbetriebe der Innenstädte zum Teil verloren. An ihre Stelle treten Handelsmarken aus dem Textilbereich, Elektronikmärkte und neuerdings auch Anbieter des täglichen Bedarfs wie Drogeriewaren sowie Nahrungs- und Genussmittel.“

Viele Gesichter des Handels

Doch so einfach, wie es auf den ersten Blick aussieht, ist die Lage offenbar nicht. „Nicht jede Filialisierung ist offensichtlich, verlässliche Daten liegen nicht vor“, sagt Stefan Holl gegenüber DAZ online. Holl ist Geschäftsführer der (GMA). Er weiß, dass der Handel viele Gesichter hat - was hinter einer Fassade steckt, sei vor Ort nicht immer als Filiale erkennbar. „Der Einzelhandel kennt viele verschiedene Formen. Nicht überall, wo man eine Filiale vermutet, ist auch Filiale drin.“ So könne ein Geschäft, das den Namen einer bekannten Marke trägt, auch von einem Einzelkaufmann geführt sein. Es könne sich aber auch um einen Franchisebetrieb handeln. Von außen jedenfalls sehe man nicht immer, welche Geschäftsform sich dahinter verberge.

Eines allerdings ist nach den Worten von Holl klar: Der Einzelhandel ist seit Jahrzehnten geprägt durch Konzentrationsbewegungen, die Zahl der Betriebe hat kontinuierlich abgenommen. Das gelte übrigens nicht nur für inhabergeführte Geschäfte, sondern auch für Filialbetriebe. Und dieser Konzentrationsprozess hält nach seiner Erkenntnis weiter an. Dabei spielten Faktoren wie Standort, Know-how, Kapitalausstattung oder auch die Betriebsform eine Rolle. Nach Erkenntnissen seines Hauses hätten neben gesellschaftlichen und demografischen Veränderungen wie Stagnation beziehungsweise Rückgang der Bevölkerungszahl, der wachsende Anteil älterer Menschen oder der Trend zu kleineren Familien sowie die Neubewertung von Standortfaktoren diese Veränderungen ausgelöst.

Zudem habe der Anstieg der Mobilität einen erheblichen Einfluss auf das Erscheinungsbild im Einzelhandel gehabt. Neben einer verstärkten Stadt-Umland-Wanderung seien auch „autokundenorientierte“ Standorte außerhalb von geschlossenen Siedlungen entstanden.

Welche Rolle spielt der Online-Handel?

Für den Marktforscher Holl steht aber fest, dass nicht jeder Einzelhändler, der sich einem Konzern anschließt, auch erfolgreicher wird: „Konzernzugehörigkeit ist keine Überlebensgarantie, denken Sie nur an Schlecker oder Praktiker.“ Gleichzeitig lässt er den Druck durch den wachsenden Onlinehandel nur als einen von mehreren Gründen für die Entwicklung in den Innenstädten gelten. Nach Meinung von Holl handelt es sich nicht um eine wirklich neue Entwicklung: „Den Druck durch den Distanzhandel hat es schon vor mehreren Jahrzehnten gegeben, denken Sie nur an den Quelle-Katalog.“ Außerdem treffe diese Entwicklung große Filialbetriebe genauso wie kleine Geschäfte von selbstständigen Unternehmern. Und es trifft die Branchen unterschiedlich stark: Lebensmittelgeschäfte oder Blumenläden seien von der Onlinekonkurrenz weniger betroffen als beispielsweise Elektrogeschäfte.

Steht der große Kahlschlag erst bevor?

Auch die Unternehmensberatung Oliver Wyman hat sich mit der Entwicklung des Einzelhandels auseinandergesetzt. Unter dem Strich bewertet sie die Gefahr durch den Online-Handel größer und rechnet in einem Branchenreport damit, dass der große Kahlschlag im Einzelhandel erst noch bevorsteht. Weil immer mehr Deutsche im Internet einkaufen, werde in zehn bis 15 Jahren jedes zweite Filialunternehmen vom Markt verschwunden sein. Der Rest werde etwa aufgekauft oder fusioniert. 

Um auch künftig eine Überlebenschance zu haben, muss der stationäre Einzelhandel nach Einschätzung der HSH Nordbank die Veränderungen und Trends im Konsumentenverhalten mit einbeziehen. So sei beispielsweise davon auszugehen, dass sich preisbewusste und durch das Internet sehr gut informierte Kunden weiterhin „hybrid“ verhalten, indem sie Waren sowohl im Billigdiscounter als auch in der Edelboutique erwerben. Das Streben nach Individualität und Abhebung von der Masse werde bei den Verbrauchern ebenso wie die Suche nach sozialen Kontakten und Geselligkeit zunehmen. Da zusätzlich für immer mehr Kunden beim Einkauf die Komponenten „Freizeit“ und „Erlebnis“ wichtig würden, werde das Flächenwachstum im Einzelhandel ungebremst weitergehen. Die Inszenierungen von „Shopping-Erlebnissen“ benötigten mehr Fläche als der reine Warenverkauf.

Trend: Größere Verkaufsflächen und Einkaufserlebnis

Diese Entwicklung geht laut GMA-Manager Holl auch an den Apotheken nicht vorbei. Auch dort sei der Trend zu größeren Verkaufsflächen zu beachten. Die Versuchung, den Kunden erst an mehreren Metern Regalfläche vorbeizuleiten, damit er vielleicht noch eine Zahnbürste oder ein Fußpflegemittel einpackt, ehe er die Kasse erreicht, gebe es auch in der modernen Offizin. 

Was übrigens die zunehmende Uniformität der Innenstädte angeht, verweist Holl darauf, dass es weitgehend in der Macht der Kommunen und Städte selbst liege, auf das Erscheinungsbild Einfluss zu nehmen. Diese könnten nämlich Gestaltungssatzungen erlassen. Wie dies funktioniert, zeige das Beispiel Getreidegasse in Salzburg, wo auch McDonalds seinen Außenauftritt an das historisch geprägte Umfeld anpassen musste: Über dem Eingang des Schnellrestaurants prangt ein aufwendig gestaltetes „Zunft“- beziehungsweise Reklamezeichen. 



Thorsten Schüller, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.