Schottland

Apotheker sollen Ärzte-Aufgaben übernehmen

Remagen - 07.09.2017, 16:45 Uhr

Mehr Aufgaben für Apotheker: In Schottland sollen Apotheker mehr ärztliche Kompetenzen bekommen und beispielsweise Antibiotika verordnen dürfen. (Foto: dpa)

Mehr Aufgaben für Apotheker: In Schottland sollen Apotheker mehr ärztliche Kompetenzen bekommen und beispielsweise Antibiotika verordnen dürfen. (Foto: dpa)


Die schottische Regierung hat eine umfassende Strategie für die Weiterentwicklung der Apotheken vorgelegt. Das Dokument mit dem Titel „Achieving Excellence in Pharmaceutical Care” beschreibt ein umfangreiches Paket aus neun Handlungsfeldern, darunter mehr und bessere Dienstleistungen in den öffentlichen Apotheken, inklusive der eigenständigen Arzneimittelverschreibung und mehr Apothekern in Hausarztpraxen.

Die Pharmazeuten in Großbritannien gelten in Europa in Sachen Pharmaceutical Care gemeinhin als sehr fortschrittlich. Von eigenständiger Verschreibung oder Arbeit direkt in Arztpraxen können die meisten Kollegen in anderen Ländern nur träumen. Die schottische Regierung, einer der Haupt-Trendsetter, hat jetzt eine umfassende Strategie vorgelegt, mit der das Gesundheitssystem die Expertise der Apotheker noch intensiver nutzen will. „Achieving Excellence in Pharmaceutical Care“ lautet das Motto des ambitionierten Plans.

Die Apotheken spielten schon jetzt eine wichtige Rolle für die Arzneimittelversorgung des NHS, heißt es darin. aber es müssten noch mehr Menschen die Offizinapotheken als erste Anlaufstelle bei Gesundheitsproblemen erkennen. Bislang werde dieses Potenzial noch nicht gut genug ausgeschöpft. 

Mehr eigenständige Apotheker-Verschreiber

Seit dem Jahr 2006 dürfen Apotheker in Großbritannien Arzneimittel entweder eigenständig (independent prescribing) oder im Rahmen eines mit dem behandelnden Arzt abgestimmten Management-Plans verordnen (supplementary prescribing). Dieses Modell soll in Schottland zügig weiter ausgebaut werden. Näheres ist in dem „Vision and Action Plan” mit dem Titel „Prescription for Excellence“ von September 2013 niedergelegt. 

Hiernach sollen bis zum Jahr 2023 alle Apotheker, die im Rahmen des National Health Service eine pharmazeutische Betreuung anbieten, zu NHS-akkreditierten „clinical pharmacist independent prescribers” werden, die in Partnerschaft mit niedergelassenen Ärzten arbeiten. Diese wiederum behalten die volle Verantwortung für die Diagnose. Die Patienten sollen in enger Beziehung zu einem bestimmten Apotheker stehen, um die Kontinuität und Konsistenz der Betreuung zu gewährleisten. Die genaue personale Zuordnung soll beim NHS registriert werden. 

Antibiotika verschreiben und in Hausarztpraxen helfen

Mit dem Launch der Initiative „Prescription for Excellence“ hat die Zahl der eigenständigen Apotheker-Verschreiber in Schottland schon deutlich zugenommen. Heute besitzen bereits mehr als ein Viertel der Apotheker die Qualifikation.

Die Abgabe von Antibiotika in der Selbstmedikation ist im Hinblick auf die alarmierende Resistenzsituation ein besonders sensibles Thema. Auch hier trauen die Schotten den Apothekern einiges zu. In der Region rund um die schottische Stadt Aberdeen dürfen diese seit September 2016 bestimmte Antibiotika ohne ärztliche Verordnung an Frauen mit Harnwegsinfekten abgeben. Damit will der regionale Gesundheitsdienst die Arztpraxen entlasten. Die Pharmazeuten müssen hierfür eine bestimmte Fortbildung absolviert haben, die Frauen mithilfe eines Urin-Tests untersuchen, einen umfangreichen Fragebogen ausfüllen und das gesamte Beratungsgespräch protokollieren. 

Drei Tage in der Apotheke, zwei Tage beim Arzt

In Schottland arbeiten Apotheker seit Anfang der 1990er-Jahre des letzten Jahrhunderts in Hausarzt-Praxen. Auch diese Initiative will die schottische Regierung tatkräftig voranbringen. Bis zum Jahr 2021 soll jeder Allgemeinarzt Zugang zu einem Apotheker mit erweiterten klinischen Kenntnissen haben. „Der Apotheker sollte in Verordnungsentscheidungen und die Verwaltung der Verordnungs-Praxis eingebunden werden.“ sagt der Direktor der Royal Pharmaceutical Society für Schottland Alex MacKinnon. Außerdem sollen die Apotheker vor Ort als wichtige Schnittstellen zu anderen Versorgern wie öffentlichen Apotheken oder Pflegeeinrichtungen agieren, um Fehler bei der Arzneimittelanwendung zu minimieren.  

Die Unterstützung durch die Apotheker soll entweder in Teil- oder Vollzeit geleistet werden können und ausgerichtet am lokalen Bedarf flexibel gehandhabt werden können. So könnte ein Apotheker zum Beispiel drei Tage pro Woche in der Apotheke arbeiten und zwei Tage in einer oder mehreren Arztpraxen.

Ausbildungsprogramm steht

Mit dem intensiveren Einsatz der Apotheker in der Gesundheitsversorgung müssen auch die Personalkapazitäten ausgebaut und die Ausbildung verbessert werden. Derzeit gibt es in Schottland rund 4700 Apotheker (Vollzeitäquivalente). Für die Ausbildung der eigenständigen Apotheker-Verschreiber hat „NHS Education of Scotland (NES) Pharmacy“ das „Advanced Clinical Skills Programm“ aufgelegt. Es beinhaltet eine Mischung aus Pflicht- und Wahl-Modulen zu klinischen Kernkompetenzen, wie der Beratung, körperlicher Untersuchung und Kenntnissen zur Bewertung der Beobachtungen sowie eine Reihe von krankheitsbezogenen Modulen, etwa zu Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen, koronarer Herzkrankheit, Atemwegserkrankungen usw. Die Kurse werden durch ein multidisziplinäres Team von Ärzten Apothekern, Krankenschwestern und Physiotherapeuten entwickelt und abgehalten.  

Apotheker bringen die Politik auf Kurs

Die neue Strategie der schottischen Regierung wird von der Royal Pharmaceutical Society of Scotland ausdrücklich begrüßt. Offenbar ist es ihr in den letzten Jahren recht gut gelungen, die Politik mit wiederholten Eingaben „auf Kurs“ zu bringen. „Ich freue mich, in der Strategie mehrere Anliegen unseres RPS im Scotland Manifesto 2016 wiederzufinden“, sagt MacKinnon dazu. „Außerdem freuen wir uns, dass auch unsere Policy hinsichtlich chronischer Erkrankungen darin ihren Niederschlag gefunden hat.“ Hierzu hatten die Apotheker radikale Reformen inklusive des Verschreibungsrechts für Routine-Verordnungen gefordert

Wer mehr über die Kompetenzen der Apotheker im Rahmen der Selbstmedikation und die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel ohne Rezept in verschiedenen Ländern wissen möchte, findet hierzu einen Artikel in der Ausgabe der Deutschen Apotheker Zeitung von dieser Woche.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Rezeptierung durch Apotheker in Schottland

von Hartmann,Franz, Prof.Dr. am 09.09.2017 um 12:10 Uhr

Apotheker könnten auch in Deutschland deutlich mehr zur "pharmaceutical care" beitragen: Stichworte Therapieadhärenz und Pharmakovigilanz; Probleme, die viel zu wenig ärztliche Aufmerksamkeit erfahren und bei deren Bewältigung Apotheker einen ganz wesentlichen Beitrag leisten könnten.

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Rezeptierung durch Apotheker in Schottland

von Strüber am 08.09.2017 um 11:25 Uhr

Bei den üblichen Wartezeiten von 8 Wochen bis zu einem Termin beim GP ist dies eine sinnvolle Notlösung.

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