Vorwürfe gegen Zyto-Apotheker

Zweifelhafte Zytostatika in sechs Bundesländer geliefert

Bottrop - 17.08.2017, 13:30 Uhr

Zehntausende Rezepturen soll der Apotheker gestreckt oder minderwertig hergestellt haben. (Foto: benicoma / Fotolia)

Zehntausende Rezepturen soll der Apotheker gestreckt oder minderwertig hergestellt haben. (Foto: benicoma / Fotolia)


Offenbar sind bundesweit rund 3700 Patienten von mangelhaften Arzneimitteln betroffen, die ein Zyto-Apotheker aus Bottrop hergestellt hatte. Er belieferte laut Staatsanwaltschaft in den letzten fünf Jahren 37 Praxen und Kliniken in sechs Bundesländern. Laut Medienrecherchen wurden sehr viele Betroffene nicht über die Probleme informiert – NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann will dies nun ändern.

Wie das ARD-Magazin „Panorama“ sowie das Recherchenetzwerk Correctiv berichten, geht die Staatsanwaltschaft aufgrund ihrer Ermittlungen von bundesweit rund 3.700 Patienten aus, die womöglich von mangelhaften Rezepturen eines Zyto-Apothekers aus Bottrop betroffen sind. In der kürzlich vorgelegten Anklage wird ihm zur Last gelegt, bei mehr als 60.000 Rezepturen gegen Hygienevorschriften verstoßen und auch Arzneimittel gestreckt zu haben – insbesondere Zytostatika. Den Schaden allein für gesetzliche Krankenkassen schätzte die Staatsanwaltschaft auf rund 56 Millionen Euro.

Es sei schwierig, aufzuklären, wie viele Patienten genau betroffen sind, hatte eine Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft im vergangenen Jahr erklärt, als der Apotheker in Untersuchungshaft genommen worden war. „Wir gehen nicht davon aus, dass der Apotheker selbst eine Liste führt, wem er das rezeptgemäß liefert und wem nicht“, sagte sie. Die Stadt Bottrop hatte eine Telefonhotline eingerichtet, um verunsicherte Bürger über die Probleme aufzuklären. „Es sind im wesentlichen Bottroper“, sagte ein Sprecher damals. Die Medikamente seien aber auch „in die weitere Region“ ausgeliefert worden.

Zwar seien laut der Staatsanwaltschaft die meisten falsch dosierten Krebsmittel in Nordrhein-Westfalen ausgeliefert worden – doch teils auch nach Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Saarland, Sachsen und Niedersachsen, schreiben „Panorama“ und „Correctiv“ nun. 37 Praxen und Krankenhäusern seien demnach in den vergangenen fünf Jahren von dem Zyto-Apotheker mit den problematischen Arzneimitteln beliefert worden. Die Staatsanwaltschaft habe sich auf diesen Zeitraum beschränkt, da frühere Fälle ohnehin verjährt seien. 

Gesundheitsminister Laumann will handeln

Es könnten jedoch noch deutlich mehr Patienten betroffen sein: Nach Recherchen der Medien habe der Bottroper Apotheker mehr als 7300 Menschen mit einem der 49 Wirkstoffe beliefert, die die Stadt Bottrop als womöglich manipuliert aufgelistet hatte. Wie viele hiervon tatsächlich fehlerhaft waren, wird sich wohl nur schwer feststellen lassen: Der Apotheker selber nahm bislang öffentlich nicht zu den Vorwürfen Stellung, auch Nachfragen von DAZ.online blieben zuvor unbeantwortet.

Offenbar haben sehr viele Patienten oder betroffene Angehörige von Verstorbenen nur aus den Medien von den Vorwürfen gegen den Apotheker gehört, wurden jedoch nicht kontaktiert. Der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) zeigte sich hierüber erschüttert, schreiben „Correctiv“ und „Panorama“. „Wir werden uns jetzt sofort darum kümmern, dass wir an die Adressen dieser Menschen kommen, und dann werden sie selbstverständlich informiert“, zitieren sie den Gesundheitspolitiker und früheren Patientenbeauftragten der Bundesregierung.

Wenn die Behörden die Ärzte und Krankenhäuser, die die Medikamente verabreicht haben, informiert hätten, dann sei es auch deren Aufgabe, ihre Patienten zu informieren, betont Laumann – doch anscheinend war dies sehr oft nicht der Fall. „Ich finde, das ist für einen Behandler schlicht die Pflicht, dieses zu tun“, erklärte der CDU-Politiker.

Doch laut den Medien erklärten einige betroffene Ärzte, selbst nicht ausreichend informiert worden zu sein. Außerdem hätten sie nicht proaktiv auf womöglich betroffene Patienten zugehen wollen, um sie nicht zu sehr zu verunsichern.

Früherer Mitarbeiter zeigt sich entsetzt

Martin Porwoll, früherer kaufmännischer Leiter der Bottroper Zyto-Apotheke und Whistleblower in dem Fall, zeigte sich entsetzt über die Informationspolitik der Behörden. „Da habe ich mir sicherlich mehr vorgestellt“, erklärte er. „Ich habe das Ganze natürlich gemacht, um Patienten zu helfen. Und nun höre ich, dass es noch immer Betroffene gibt, die nicht wissen, dass sie betroffen sind.“

Um vor Ort zu recherchieren, mit Betroffenen in Kontakt zu kommen und diese zu unterstützen, hat das Recherchenetzwerk Correctiv diese Woche in nächster Nähe zur Apotheke des Bottroper Zyto-Apotheker ein Büro eröffnet, in dem die Redaktion vorübergehend arbeitet. Die Räumlichkeiten sollen eine Facebook-Gruppe zum Fälschungs-Fall ergänzen: Betroffene können sich bei Veranstaltungen gegenseitig kennenlernen, gleichzeitig bietet Correctiv Rechtsberatungen an – so von einer Medizinrechtsanwältin, die bereits mehrere Angehörige von verstorbenen Krebspatienten des Zyto-Apothekers vertritt. Der Leiter der Onkologie am Gemeinschaftskrankenhaus Witten/Herdecke wird darüber hinaus zu medizinischen Fragen Stellung nehmen.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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