Gentherapie

Hoffnung auf Krebsbehandlung mit CAR-T-Zellen

Stuttgart - 15.08.2017, 10:05 Uhr

Die modifizierten T-Zellen sollen insbesondere bei nicht-soliden Tumoren erfolgsversprechend sein. (Foto: Andrea Danti / Fotolia)

Die modifizierten T-Zellen sollen insbesondere bei nicht-soliden Tumoren erfolgsversprechend sein. (Foto: Andrea Danti / Fotolia)


In den USA dürfte bald die erste Gentherapie gegen Krebs zugelassen werden – womöglich ist es demnächst auch in Europa soweit. Nach einigen Rückschlägen und Todesfällen könnten Behandlungen mit sogenannten CAR-T-Zellen demnächst in der Praxis ankommen. Der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, Klaus Cichutek, spricht von einer möglichen „neuen Ära der Leukämiebehandlung“.

Mit den eigenen, gentechnisch veränderten Immunzellen den Krebs besiegen? In den USA wie auch Europa könnten entsprechende Therapien zumindest für bestimmte Formen von Leukämie und von Lymphdrüsenkrebs demnächst zugelassen werden. Auch andere Tumore etwa in der Brust, in den Eierstöcken, der Lunge oder Bauchspeicheldrüse, versuchen Forscher mithilfe der aufgerüsteten Immunzellen zu knacken – allerdings bislang mit weniger Erfolg.

Das Potenzial der sogenannten CAR-T-Zellen ist seit zwei Jahrzehnten bekannt, aber es zu erforschen und einen funktionierenden Therapieansatz zu entwickeln, erwies sich als schwierig. Mehr als 200 klinische Studien dazu, zumeist in den USA und das Gros davon noch nicht abgeschlossen, bezeugen dies. Doch für Forscher ist mittlerweile klar: Speziell bei bestimmten Formen von hämatologischen Krebserkrankungen kann der Nutzen, aller schweren Nebenwirkungen zum Trotz, groß sein.

„Das war völlig durchschlagend“, sagte Stephan Grupp, Leiter des Krebs-Immuntherapie-Programms an der Kinderklinik von Philadelphia, der „New York Times“. Der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) in Langen, Klaus Cichutek, sieht das ähnlich: „Jetzt bricht wahrscheinlich eine neue Ära der Leukämiebehandlung an.“

Ein Vorreiter des Therapieansatzes ist Carl June (University of Pennsylvania). Schon vor Jahrzehnten versuchte er, T-Zellen im Kampf gegen das HI-Virus einzusetzen. Der Trick, der nun den Krebszellen den Garaus macht: Die aus dem Blut des Patienten gefilterten T-Zellen werden im Labor mithilfe eines viralen Vektors genetisch verändert, dann vervielfacht und dem Patienten als Infusion wieder verabreicht.

Schwieriger Umgang mit der „scharfen Waffe“

Durch die Genmanipulation bilden die T-Zellen an der Oberfläche einen CAR-Rezeptor (Chimeric Antigen Receptor) zur Erkennung eines speziellen Antigens, das auf Krebszellen vorkommt. Erkennen die CAR-T-Zellen diesen, greifen sie die Krebszellen an und vervielfältigen sich. Allein eine solche T-Zelle kann so 1000 Tumorzellen zerstören. Besonders erfolgreich war dabei die Ansteuerung des Antigens CD19, bestätigte auch das PEI jüngst in einer umfassenden Bilanz aller Studien mit CAR-T-Zellen.

Um diese „lebenden Medikamente“ herzustellen und sie sicher zu verabreichen, ist jedoch viel Expertise nötig. Denn sie kann zu gefährlichen Nebenwirkungen führen: In den USA starben im vergangenen Jahr mehrere Krebspatienten, die an einer Studie zu einem zuvor als vielversprechend gehandelten CAR-T-Ansatzes des Biotech-Unternehmens Juno Therapeutics teilnahmen. „Natürlich ist das eine scharfe Waffe, mit der man gut umgehen muss“, erklärte Patrick Schmidt vom Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg gegenüber DAZ.online. Die Therapien werden daher wohl nur an wenigen Spezialzentren möglich sein.

„Es wird ein sehr potenter Mechanismus genutzt, der zu einer Entgleisung des Immunsystems und schlimmstenfalls zum Tod führen kann“, erklärt gleichfalls PEI-Experte Egbert Flory in Bezug auf Zytokin-Stürme, die die Immuntherapien auslösen können. „Auch in Europa muss die Infrastruktur und Zusammenarbeit von Kliniken und Herstellern noch besser werden, um diese Therapie zu beherrschen und weiterzuentwickeln“, betont PEI-Direktor Cichutek.

Die US-Zulassung von CD19-spezifischen CAR-T-Zellen der Firma Novartis zur Behandlung von Akuter Lymphatischer Leukämie (ALL) wäre die erste für eine Gentherapie gegen Krebs. Andere Anträge folgen aber bereits: Kite Pharma will sie zur Behandlung aggressiver Non-Hodgin-Lymphome auf den Markt bringen. Auch für die Therapie Multipler Myelome, ebenfalls eine Blutkrebserkrankung, liegen der FDA Anträge vor.

PEI-Präsident fordert bessere Infrastruktur in Europa

In Europa sieht es ähnlich aus: Mithilfe des beschleunigenden Prime-Verfahrens könnte die Europäische Kommission vielleicht sogar noch 2017 grünes Licht für die CAR-T-Zell-Therapie geben. Drei Anträge liegen der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) bereits vor. Zunächst sind Schwerstkranke, für die keine andere Option mehr besteht, die Zielgruppe. Aber ein früherer Einsatz könnte die Erfolgsquote noch erhöhen, vermuten die Forscher.

Bleiben die immensen Kosten: Mehrere 100.000 Euro könnte eine solche Therapie in Deutschland kosten. Einige Tausend schwerkranke Menschen würden in Europa jährlich davon profitieren, schätzen Experten. „Die Kosten sind sehr hoch“, sagt Cichutek. „Aber eventuell reicht eine solche Therapie für viele Jahre aus.“

Zurzeit wird versucht, die Erfolge auf solide Tumoren auszuweiten. „Die CAR-T-Zellen sind Hoffnungsträger“, sagt PEI-Forscherin Jessica Hartmann. Aber solideTumoren sind schwieriger zu behandeln, denn CAR-T-Zellen müssen sie zunächst einmal erreichen und sich dann in dem für sie ungünstigen Milieu behaupten – mehr als 20 verschiedene CAR-T-Zellprodukte werden dazu derzeit klinisch erprobt. „Solche soliden Tumoren sind wie Fort Knox“, sagt Grupp.

In Europa werden bislang vergleichsweise wenige Studien zu CAR-T-Zellen durchgeführt – nach eine PEI-Schätzung weniger als 10 Prozent. Präsident Cichutek fordert einen Ausbau der Forschungsinfrastruktur, um dies zu ändern. „Die Vernetzung von akademischen Forschern, Klinikern und pharmazeutischer Industrie sowie die intensive Beratung durch regulatorische Experten des Paul-Ehrlich-Instituts sind notwendig, um solche völlig neuartigen Therapieansätze zu entwickeln und weiter zu verbessern“, erklärte er in einer Pressemitteilung.



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