WM in London

Doping- oder Leichtathletik-Meisterschaften?

Remagen - 04.08.2017, 07:10 Uhr

Ein Eldorado für Pharmakologen: Die Leichtathletik zählt zu den Sportarten, die besonders Doping-anfällig sind.(Foto: Fototint/ Fotolia)

Ein Eldorado für Pharmakologen: Die Leichtathletik zählt zu den Sportarten, die besonders Doping-anfällig sind.(Foto: Fototint/ Fotolia)


Am heutigen Freitagabend beginnen im Londoner Olympiastadion die Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2017, nicht nur für die Sportler selbst, sondern auch für das interessierte Publikum vor Ort und an den Bildschirmen einer Höhepunkte des Sportjahres. So ganz ungetrübt ist das Vergnügen aber wohl nicht. Schließlich zählt die Leichtathletik zu den Sportarten, die besonders Doping-anfällig sind. DAZ.online möchte die Leser ein wenig einstimmen, mit einem Blick zurück und schon mal vorab nach London. 

Haben Sie ihre Fernseh-Termine für die Leichtathletik-WM in London schon geblockt? Oder wollen Sie einfach gar nicht mehr hinschauen, weil Sie den Glauben an saubere Wettkämpfe aufgegeben haben? Wer sind die Haupt-Dopingsünder, was wird genommen, und welche Erfolge sind in der Bekämpfung des Dopings in der Leichtathletik bereits erzielt worden? Hier ein kleiner Abriss.

Russland Russlands Sportler bleiben gesperrt

In letzter Zeit haben hinsichtlich des Dopings in der Leichtathletik vor allem die Russen und die Kenianer für negative Schlagzeilen gesorgt. Nachdem das staatlich gelenkte Dopingsystem in Russland durch die Berichte des Sonderermittler der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) Richard McLaren offiziell bestätigt worden war, folgte im November 2015 die Sperre durch den Leichtathletik-Weltverband IAAF. 

Sie wird erst wieder aufgehoben, wenn die russische Anti-Doping-Agentur nachweisen kann, dass sie umfassende und den internationalen Standards entsprechende Kontrollen durchführt. Dies ist aber wohl bislang weiterhin nicht der Fall, obwohl den Russen gewisse Fortschritte bescheinigt werden. Für die Leitathletik-WM in London hält die IAAF jedenfalls an der Suspendierung des russischen Verbandes fest. 19 Athleten dürfen jedoch unter neutraler Fahne trotzdem teilnehmen. Hierfür mußten sie nachweisen, dass sie außerhalb des Anti-Doping-Systems ihres Landes getestet worden sind. 

Ebenfalls im Fokus: das Läuferland Kenia

Auch das Läuferland Kenia steht schon seit längerem unter Verdacht, flächendeckendes Doping zu betreiben. Recherchen zufolge soll es dabei hauptsächlich um Doping mit Epo gehen, dass von „windigen“ Ärzten massenhaft verabreicht wurde. Der Verband Kenia Athletics soll laut ARD-Informationen systematisch Doping-Missbrauch unterstützt und vertuscht haben.Bei der letzten Leichtathletik-WM 2015 in Peking gelang Kenia erstmals der Sprung auf Platz 1 im Medaillenspiegel. Seit 2012 stehen demgegenüber 40 aktenkundige Dopingfälle zu Buche. 

Korruption und Schutzgelderpressung bei der IAAF

Der Dopingskandal in der Leichtathletik hat aber in den letzten Jahren noch erheblich weitere Kreise gezogen. So soll der Clan um den ehemaligen IAAF-Präsidenten Lamine Diack direkt darin verstrickt gewesen sein. Nach Informationen der ARD-Dopingredaktion und der französischen Tageszeitung "Le Monde" sollen mindestens sechs Athleten von der Doping-Vertuschung des Clans profitiert haben. Dafür sollen Schutzgelder zwischen 300.000 und 700.000 Euro geflossen sein. Die derzeit wegen Dopings gesperrte Türkin Asli Cakir Alptekin, die ihre Goldmedaille über 1500 Meter von London zurückgeben musste, soll zugegeben haben, vom Diack-Clan erpresst worden zu sein. Sie habe eine geforderte Zahlung von 650.000 Euro allerdings verweigert, so heißt es, und wurde gesperrt.

Die schnellsten Männer der Welt, aber nicht die saubersten

Gerade die Königsdisziplin im Männersprint wurde über die Jahre hinweg immer wieder von spektakulären Doping-Fällen überschattet. Die Sportschau hat die traurige Geschichte kursorisch aufgearbeitet.

Hier nur einige „Highlights“ zu den schillerndsten Figuren über die 100 m: Der US-Amerikaner Justin Gatlin, der 2004 in Athen mit 22 Jahren völlig überraschend olympisches Gold gewonnen hatte, wurde bereits zweimal des Dopings (Anabolika, Amphetamine) überführt und war deswegen trotzdem nur insgesamt fünf Jahre gesperrt. Seit 2010 ist er wieder auf den Bahn, rennt die 100 m schneller denn je: 9,74 Sekunden (2015) und gilt damit als härtester Konkurrent für Usain Bolt. Tyson Gay, ebenfalls US-Sprinter und sein jamaikanischer Konkurrent Asafa Powell wurden vor der WM in Moskau 2013 positiv getestet. Bei Gay fand man ein anaboles Steroid, bei Powell das Stimulans Oxilofrin. Gay war geständig und kooperierte mit den Behörden. Deshalb kam er mit nur einem Jahr Sperre davon. Im Gegensatz dazu bestritt Powell, wissentlich gedopt zu haben und zog bis vor das Internationale Sportgericht CAS. Dieses verkürzte seine ursprünglich 18-monatige Sperre auf ein halbes Jahr verkürzt. Seit Juli 2014 sind beide wieder dabei. 

Auffälligkeiten und skurrile Erklärungen

Ebenfalls mit einem blauen Auge davon gekommen ist kürzlich der US-amerikanische Leichtathletik-Olympiasieger Gil Roberts, Staffelteilnehmer über 4 x 400 m. Er war im März positiv auf das Gichtmedikament Probenecid getestet worden, das als Maskierungsmittel zur Verschleierung eines Steroid-Missbrauchs auf der Dopingverbotsliste steht, eigentlich ein Fall für eine Dopingsperre. Nach seiner Anhörung folgte ein unabhängiger Richter jedoch der Argumentation des Läufers, dass die positive Probe auf "leidenschaftliche Küsse" zwischen ihm und seiner Freundin zurückzuführen sei. Diese habe zuvor gegen eine Nasennebenhöhlenentzündung das Probenecid-haltige Mittel Moxylong genommen.

Auch der kanadische Stabhochsprung-Sieger bei der WM 2015 Shawnacy Barber kam mit einer ähnlich „pikanten“ Erklärung durch. Er war kurz vor den Olympischen Spielen in Rio positiv auf das verbotene Kokain getestet und trotzdem nicht gesperrt worden. Barber erklärte seinen positiven Dopingbefund mit einem One-Night-Stand mit einer „Internetbekanntschaft", die offenbar zuvor Kokain konsumiert und Barber kontaminiert hatte. Das "Canadian Center of Ethics in Sport" hatte eine vierjährige Sperre gefordert, aber der kanadische Verband entschied sich kurz vor den Leichtathletikwettbewerben der Olympischen Spiele gegen einen Ausschluss.

Beide gehen in London an den Start.

5000 Dopingtests in zehn Monaten vor der WM

Neben dem verantwortlichen Verband kämpft auch der Austragungsort London mit einem schweren Doping-Erbe. Bei aller Pracht sollen die Olympischen Spiele in der britischen Hauptstadt im Jahr 2012 vor allem „Lug und Trug“ gewesen sein. So hat sich das 1500 Meter-Rennen der Frauen laut „n-tv“ im Nachhinein als „eines der verseuchtesten Rennen der Geschichte“ entpuppt. Vier Finalistinnen seien des Dopings überführt worden, darunter die Gold-und Silbermedaillengewinnerinnen aus der Türkei. Im Frauen-Finale der 4 x 100-Meter-Staffel seien alleine sieben Athletinnen gelaufen, denen Doping nachgewiesen wurde. Fast jeder siebte Finalist der Leichtathletik-Wettkämpfe bei Olympia in London soll laut einem Zeitungsbericht inzwischen wegen Doping-Vergehen bestraft worden sein. 

von Helga Blasius

Siegen um jeden Preis?

Immer wieder werden sportliche Erfolge als falsches Spiel enttarnt. Das Misstrauen wächst - wahre Leistungen werden angezweifelt. Zunehmend ist auch der Breitensport betroffen.

Welche Mittel werden verwendet und wie wirken sie?

Welche Gesundheitsrisiken entstehen für die Betroffenen?

Welche Arzneimittel können Sportler im Krankheitsfall verwenden?

Wo ist die Grenze zwischen erlaubten Nahrungsergänzungsmitteln und verbotenen Wirkstoffen?

Eine Expertin (Apothekerin, Journalistin, Marathonläuferin) gibt die Antworten und kommentiert die verschiedenen Anti-Doping-Bestimmungen und -Listen. Sie liefert das aktuelle Rüstzeug, um das Doping-Phänomen zu begreifen und dagegen vorgehen zu können.

Siegen ja – aber nicht mit allen Mitteln!

XIV, 250 S., 15 farb. Abb., 15 s/w Tab.
Kartoniert - Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart

Nun will der Internationale Leichtathletik-Weltverband IAAF unter der Leitung des ehemaligen Weltklasse-Mittelstrecklers Sebastian Coe es definitiv besser machen und hat hierzu bereits vor den Weltmeisterschaften ein umfangreiches Doping-Kontrollprogramm aufgelegt. Wie die IAAF in den letzten Tagen bekannt gab, wurden in den zehn Monaten vor der WM rund 2000 Blut- und 3000 Urin-Trainingskontrollen veranlasst. Darüber hinaus wurden weitere 600 Blutkontrollen für den biologischen Pass und zur Entdeckung verbotener Substanzen wie Wachstumshormon HGH genommen. Während der WM-Wettkämpfe sind 600 Urintests geplant. 

Journalisten und Staatsanwälte bringen mehr als Dopingkontrollen

Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) entsendet 72 deutsche Athleten zu den Weltmeisterschaften, die sich dort hoffentlich in fairen Wettkämpfen mit jungen Menschen aus aller Welt messen können. Der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbands Clemens Prokop hegt diesbezüglich Zweifel. „Der Anti-Doping-Kampf steht in einer entscheidenden Phase, weil nun die Harmonisierung der internationalen Dopingbekämpfung erreicht werden muss“, sagte Prokop in einer Expertenbefragung, die die Stuttgarter Nachrichten Mitte Juli durchgeführt haben. Er ist überzeugt, dass die Rahmenbedingungen für den Kampf gegen Doping einer Reihe von Ländern völlig unzureichend sind, was im Ergebnis zu deutlichen Wettbewerbsverzerrungen im internationalen Sport führt.

Forderung nach internationaler Einheit von Ermittlern 

Die Experten, die in den Stuttgarter Nachrichten zu Wort kamen, sprechen sich so gut wie unisono dafür aus, in Zukunft in der Doping-Bekämpfung mehr auf investigative Ermittlungen zu setzen. Für den Anti-Doping-Experten und Leiter der Abteilung für Sportmedizin, Prävention und Rehabilitation an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz Perikles Simon ist es erwiesen und klar belegt, dass der laboranalytische Ansatz nur die einfachsten Dopingmaßnahmen eindämmen kann. Investigativer Journalismus und staatsanwaltschaftliche Ermittlungen seien weitaus effektiver und vermögen auch sehr trickreiche Dopingbetrüger zu überführen, glaubt Simon. Die ehemalige Weltklasse-Leichtathletin und Vorsitzende des Vereins Doping-Opfer-Hilfe Ines Geipel pflichtet dem bei. Doping sei maskierter, feiner austariert, versteckter, schöner gesagt: professioneller geworden. Es existierten schlicht keine zeitgemäßen Instrumentarien, um es tatsächlich offenzulegen. „Wenn etwas aufflieget, ist es der blanke Zufall“, meint Geipel. Der renommierte Doping-Experte der ARD Hajo Seppelt: der das Betrugssystem in Russland aufgedeckt hat, schlägt eine internationale Einheit von Ermittlern vor, die nicht ins Dopingkontrollsystem involviert ist. 



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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