Erste Projekte schon gestoppt

EMA befürchtet Kollaps durch Brexit

London - 02.08.2017, 13:30 Uhr

Wegen des Brexits stehen bei der Europäischen Arzneimittelagentur harte Einschnitte und schwierige Zeiten an. (Foto: dpa)

Wegen des Brexits stehen bei der Europäischen Arzneimittelagentur harte Einschnitte und schwierige Zeiten an. (Foto: dpa)


In einer Pressemitteilung kündigte die Europäische Arzneimittelagentur Einschnitte bei zentralen Projekten an, auch Maßnahmen gegen Lieferengpässe könnten betroffen sein. Die EMA sieht sogar die Gefahr, dass ihre Arbeit gänzlich zusammenbrechen könnte. Ein Notplan soll die Sicherheit der Menschen in Europa auch während des Brexits gewährleisten.

Wie geht es angesichts des anstehenden Brexits mit der Europäischen Arzneimittelagentur EMA weiter? Bis Montag schickten 19 EU-Mitgliedsstaaten Bewerbungen nach Brüssel, um die Behörde aufzunehmen, da sie ihren aktuellen Standort London verlassen muss – darunter Deutschland, das sich mit Bonn bewarb. EMA-Chef Guido Rasi hatte im April angemahnt, dass schon im Juni eine Entscheidung fallen solle, doch wollen die Staatschefs erst im November beschließen, wohin die Reise geht. „Was ich wirklich befürchte, ist, dass etwas genau innerhalb der Übergangsphase passiert“, hatte Rasi gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters gesagt. „Das ist eine wirkliche Gefahr für die öffentliche Gesundheit.“

Nun sieht sich die Behörde gezwungen, dies mit harten Schnitten abzuwehren: Ein Brexit-Sonderplan soll sicherstellen, dass die EMA weiterhin die öffentliche Gesundheit schützen kann, erklärt die Behörde am Mittwoch in einer Pressemitteilung. „Die Europäische Arzneimittelagentur EMA hat einen Betriebsaufrechterhaltungsplan entwickelt und gestartet, um mit den Unsicherheiten und Auswirkungen auf die Arbeitsbelastung umzugehen, die mit dem Rückzug des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union und dem Umzug verbunden sind“, heißt es.

Die Vorbereitungen sowie mögliche Verluste von qualifizierten und erfahrenem Personal erzwinge, dass erhebliche interne Ressourcen bereitgestellt werden, erklärte EMA-Vizechef Noel Wathion, der auch der „Brexit-Taskforce“ der Behörde vorsteht. So wolle die Behörde versuchen, dass die laufenden Bewertungen von Arzneimitteln nicht unterbrochen werden und europäische Patienten weiterhin Zugang zu hochwertigen, sicheren und effektiven Therapien haben.

Der Betriebsaufrechterhaltungsplan sein ein Werkzeug, der die EMA bei der „schwierigen Entscheidung“ unterstützen soll, ihre Ressourcen umzuwidmen. Drei Prioritätsebenen seien identifiziert worden, erklärt die Behörde. Auf Aktivitäten der laut EMA untersten Prioritätsebene 3 wurden seit Mai 43 Mitarbeiter freigestellt, die sich nun mit den Folgen des Brexits beschäftigen sollen. Hierzu unterbricht die Behörde ihre Arbeiten an mehreren zentralen Projekten.

EMA stoppt zahlreiche Zukunftsprojekte

So wurde die Entwicklung des Europäischen Arzneimittel-Webportals vorübergehend eingestellt, das das bisherige Portal EudraPharm ersetzen und deutlich mehr frei zugängliche und zuverlässige Informationen zu Arzneimitteln bereitstellen soll – so beispielsweise Informationen zu klinischen Studien und unerwünschten Nebenwirkungen von Arzneimitteln. Gleichzeitig wird auch ein Projekt unterbrochen, das es Pharmafirmen erlauben sollte, elektronische Zulassungsanfragen auf sichere und effiziente Weise elektronisch an die Behörde zu übermitteln.

Auch in Sachen Transparenz wird es bei der EMA zu erheblichen Verzögerungen kommen: Eigentlich wollte sie einen „Transparenz-Fahrplan“ entwickeln, der zukünftige Maßnahmen bei der Offenlegung von Informationen ausarbeiten sollte. So wurde auch eine Anfrage von DAZ.online aufgrund einer „übermäßigen Arbeitsbelastung“ erst mit mehrwöchiger Verzögerung von der Behörde beantwortet. Darüber hinaus will die Agentur die Anzahl von Audits und Maßnahmen zur transparenten Unternehmensorganisation beschnitten, wie auch die Teilnahme an externen Veranstaltungen und die Organisation von eigenen Workshops.

 „Diese Arten von Aktivitäten können für eine bestimmte Zeit unterbrochen werden, um Ressourcen in Kern-Aktivitäten zu kanalisieren, die auf jeden Fall aufrechterhalten werden müssen“, erklärt die EMA.

Aktivitäten gegen Lieferengpässe sind in Gefahr – wie auch die gesamte Arbeit der EMA

Aktivitäten der zweithöchsten Priorität bestehen aus der proaktiven Veröffentlichung von klinischen Daten – wie auch „zahlreichen Initiativen zur Förderung der Verfügbarkeit von Arzneimitteln“, heißt es in der Pressemitteilung. Diese sollen „so lange wie möglich“ aufrechterhalten werden. Dazu zählt auch der Kampf der EMA gegen Antibiotika-Resistenzen oder die Zusammenarbeit mit Institutionen wie dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) oder anderen Einrichtungen in Europa, die den Nutzen von Arzneimitteln bewerten. Erst kürzlich hatte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) angekündigt, verstärkt mit der EMA zusammenarbeiten zu wollen.

All diese Maßnahmen sollen die EMA-Aktivitäten der Priorität 1 aufrechterhalten, nämlich die Bewertung und Überwachung von Arzneimitteln – und andere Aufgaben, die für die Aufrechterhaltung des europäischen Zulassungssystem „lebensnotwendig“ sind. So beispielsweise die Koordination von Aktionen, die die Sicherheit von Patienten schützen sollen, Inspektionen bei Pharmafirmaen oder die Aufrechterhaltung kritischer Software-Infrastruktur. „Es ist absolut entscheidend, diese Aktivitäten aufrechtzuerhalten – da jegliche Unterbrechung praktisch sofort schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlergehen europäischer Bürger hätte“, erklärt die EMA. Gleichzeitig würde dies auch die Produktion und den Vertrieb von Arzneimitteln in Europa untergraben, heißt es in der Pressemitteilung.

In weiteren Überarbeitungen des Betriebsaufrechterhaltungsplans will die Behörde verschiedene Szenarien für Verluste von Mitarbeitern berücksichtigen. „Unerwartete größere, schnellere oder dauerhafte Verluste von Mitarbeitern im Zuge des Behördenumzugs könnten zu einer Situation führen, in der die Arbeit der EMA nicht mehr aufrechterhalten werden kann“, schreibt die Arzneimittelagentur.  



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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