Untersuchung der Britischen Arzneimittelbehörde

Rebound-Effekt beim Absetzen von MS-Mittel Fingolimod?

Stuttgart - 01.08.2017, 09:30 Uhr

Das Basalzellkarzinom wird in der Fachinformation zu Gilenya® als häufige Nebenwirkung genannt. (Foto: Novartis) 

Das Basalzellkarzinom wird in der Fachinformation zu Gilenya® als häufige Nebenwirkung genannt. (Foto: Novartis) 


Möglicherweise kommt es beim Absetzen des Multiple-Sklerose-Arzneimittels Fingolimod (Gilenya®) zu einem Rebound-Effekt. Darüber informiert nun die Britische Arzneimittelbehörde, die die Datenlage derzeit prüft und bewertet. Hintergrund sind zwei aktuelle Publikationen zu der Thematik.

Fingolimod ist seit 2011 zur Behandlung der hochaktiven schubförmig-remittierend verlaufenden Multiplen Sklerose (MS) zugelassen. Es wirkt als funktioneller Antagonist am Sphingosin-1-Phosphat(S1P)-Rezeptor. Der aktive Metabolit, Fingolimodphosphat, hemmt die Lymphozytenmigration aus den Lymphknoten ins ZNS. Diese Einwanderung von Lymphozyten ins ZNS trägt zur Pathogenese der MS bei. Fingolimod soll sie vermindern. Zudem bindet Fingolimodphosphat an den S1P-Rezeptor auf den Nervenzellen im ZNS.

Britische Arzneimittelbehörde weist auf Risiko hin

Unter Umständen kann es nach dem Absetzen des Arzneimittels zu Rebound-Effekten kommen. Vor Kurzem haben sich zwei Publikationen mit diesem Thema befasst. Nun informiert die Britische Arzneimittelbehörde (Medicines and Healthcare products Regulatory Agency, MHRA) darüber, dass so ein Rebound-Effekt auftreten kann.

Es waren Krankenakten retrospektiv ausgewertet worden. Dabei fand man in einem Zeitraum von zwei Jahren 46 Patienten, die Fingolimod abgesetzt hatten und teilweise auf andere verlaufsmodifizierende Arzneimittel umgestellt wurden – aus unterschiedlichen Gründen. Fünf Patientinnen erlitten innerhalb von vier bis 16 Wochen nach Absetzen von Fingolimod MS-Schübe, die als Rebound nach dem Absetzen bewertet wurden. Zu diesem Schluss kam man zum einen aufgrund der unerwarteten Schwere der Schübe. Darüber hinaus waren sie vom Auftreten zahlreicher neuer T2-Läsionen oder kontrastmittelanreichernder Läsionen im kranialen MRT begleitet gewesen. Bei einer weiteren Literaturrecherche taten die Autoren elf weitere ähnliche Patienten auf. Zudem existiert eine Beobachtungsstudie, in der neun Patienten (fünf Frauen, vier Männer) beschrieben sind, die im Rahmen einer Umstellung ebenfalls unerwartet schwere Schübe erlitten hatten und/oder neue T2-Läsionen oder kontrastmittelanreichernde Läsionen im Kernspin zu sehen waren. In diesen Fällen wurde von Fingolimod auf den Antikörper Alemtuzumab umgestellt.

Nicht das erste Mal Risiken unter Fingolimod 

Verschiedene nationale Arzneimittelbehörden und die Europäische Arzneimittel-Agentur haben dieses Risikosignal derzeit auf der Agenda. Patienten, Ärzte und Apotheker sollen Nebenwirkungen einschließlich möglicher Rebound-Effekte nach Absetzen von Fingolimod an die zuständigen Stellen melden, zum Beispiel das BfArM oder die Arzneimittelkommission der Apotheker. 

Das ist nicht das erste Mal, dass Fingolimod wegen möglicher Risiken auffällt. Anfang 2016 wurde in einem Rote-Hand-Brief vor Risiken im Zusammenhang mit den Auswirkungen auf das Immunsystem gewarnt. Konkret ging es um das Basalzellkarzinom, das ist in der Fachinformation zu Gilenya® nun als häufige Nebenwirkung genannt ist, und das Lymphom, eine seltene unerwünschte Wirkung.

Bereits im Mai 2015 war über das Auftreten von progressiver multifokaler Leukenzephalopathie (PML) unter Fingolimod berichtet worden.

PML davor nur unter Immunsuppressiva

Das war bis dahin der erste Bericht über einen Patienten mit PML, der zuvor keinerlei immunsuppressive Therapie erhalten hatte, sondern lediglich mit Interferon behandelt worden war. PML-Fälle werden beispielsweise mit Rituximab, Infliximab, mit Chemotherapien oder Corticoidbehandlungen in Verbindung gebracht, aber auch mit den MS-Therapeutika Natalizumab und Dimethylfumarat.

PML ist eine seltene und schwerwiegende Erkrankung des Gehirns. Sie wird durch das Humane Polyomavirus 2 (JC-Virus) verursacht. Dieses Virus ist ein sogenannter opportunistischer Erreger, der häufig in der Allgemeinbevölkerung gefunden wird, aber nur dann zu einer PML führt, wenn das Immunsystem geschwächt ist. Eine PML kann sich mit ähnlichen Symptomen wie die Multiple Sklerose selbst äußern, da es sich in beiden Fällen um demyelinisierende Erkrankungen handelt. Der Verlauf der PML ist allerdings schneller als der der MS und endet rasch tödlich.



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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