Nach Todesfall

EMA verschärft Richtlinie für Phase-I-Studien

London - 28.07.2017, 13:50 Uhr

Die Europäische Arzneimittelagentur hat  mit einer Änderung ihrer Richtlinie auf den tödlichen Zwischenfall im französischen Rennes reagiert. (Foto: picture alliance / AP Photo)

Die Europäische Arzneimittelagentur hat  mit einer Änderung ihrer Richtlinie auf den tödlichen Zwischenfall im französischen Rennes reagiert. (Foto: picture alliance / AP Photo)


Nachdem 2016 vier Probanden bei einer Studie in Frankreich schwere Nebenwirkungen erlitten und einer verstarb, ändert die Europäische Arzneimittelagentur EMA nun ihre Richtlinien. So verlangt die Behörde mehr präklinische Daten. Abbruchkriterien für Zwischenfälle müssen zudem genauer ausgearbeitet werden. Beschleunigte Studiendesigns erlaubt die EMA jedoch – diese waren von deutschen Experten scharf kritisiert worden.

Ein Todesfall und vier mit anhaltenden neurologischen Problemen erkrankte Probanden hatten im letzten Jahr die Frage aufgeworfen, ob die EU-Richtlinien für frühe klinische Studien am Menschen Versuchspersonen ausreichend schützen. Nachdem die von dem Auftragsforschungsunternehmen Biotrial für die portugiesische Pharmafirma Bial durchgeführten Studie wegen der tragischen Zwischenfälle abgebrochen war, hatten mehrere Untersuchungskommissionen zwar Probleme festgestellt – aber auch die französische Gesundheitsministerin sah keinen Verstoß gegen geltende Gesetze.

Nachdem die Europäische Arzneimittelagentur EMA vor gut zehn Jahren nach lebensbedrohlichen Nebenwirkungen bei einer anderen Phase-I-Studie eine Richtlinie für erste Versuche am Menschen aufgestellt hatte, wurde diese nun grundlegend überarbeitet. „Probanden in diesen Studien – oft handelt es sich um gesunde Freiwillige – werden einem gewissen Risiko ausgesetzt, da Forscher die Effekte eines neuen Arzneimittels nur in begrenztem Maße vorhersagen können, bevor es tatsächlich am Menschen untersucht wird“, erklärt die EMA. Zwar seien Zwischenfälle sehr selten, doch müsse die Sicherheit der Probanden immer oberste Priorität haben.

Internationale Experten hatten Bial und Biotrial sowie die zuständige Ethikkommission und Aufsichtsbehörde für die Planung und Durchführung der Studie mit dem Arzneimittel BIA 10-2474 scharf kritisiert. Die Richtlinie betont nun die Notwendigkeit, Ungewissheiten und Risiken immer angemessen zu begegnen. So bei der Wahl der verabreichten Dosen: Das Arzneimittel war den Probanden laut Experten in einer viel zu hohen Menge verabreicht worden – eine komplette Hemmung des Zielmoleküls war längst erreicht.

Die Sättigung des Ziel-Moleküls sollte – soweit angemessen – Berücksichtigung finden, beispielsweise wenn „komplette Inhibition oder Aktivierung des Ziels erreicht ist und kein weiterer therapeutischer Effekt durch Dosissteigerungen erwartet werden kann“, heißt es nun in der Richtlinie. Bei gesunden Probanden sei es „unangemessen“, die maximal tolerierbare Dosis zu testen.

Kritisierte Studiendesigns sind für EMA akzeptabel

Nach einer kürzlich im Fachmagazin „Science“ veröffentlichten Studie könnten unerwünschte Off-Target-Effekte des sehr unspezifisch bindenden Arzneistoffs für die verheerenden Nebenwirkungen verantwortlich gewesen sein. So sollen nach der neuen Richtlinie Daten aus präklinischen Versuchen oder der Literatur berücksichtigen – so zu möglichen Off-Target-Effekten ähnlicher Substanzen.  Auch sollen über Pharmakodynamik-Studien an Zellen und Tierversuchen mögliche Interaktionen untersucht werden.

Zwar solle die Sicherheit zu einer schnelleren Datengewinnung oder aus oder aus logistischen Gründen „nicht kompromittiert werden“, doch mit der neuen Richtlinie erklärt die EMA verschachtelte Studiendesigns wie bei BIA 10-2474 als akzeptabel: Zunächst waren Probanden in einem Studienteil (Single Ascending Dose, SAD) steigenden Einzeldosen verabreicht worden, später folgten Studienteile zu Nahrungsmittel-Nebenwirkungen, zur Pharmakodynamik oder zur aufeinanderfolgenden Gabe des Arzneimittels über mehrere Tage (Multiple Ascending Dose, MAD) – hier war es zu dem Zwischenfällen gekommen.

„So ein Verpacken von vier ganz unterschiedlichen Studien in ein Protokoll, das war mir neu“, hatte Joerg Hasford, Vorsitzender des Arbeitskreises Medizinischer Ethikkommissionen in Deutschland, gegenüber DAZ.online erklärt: Bei der Erstanwendung beim Menschen sollten Zwischenergebnisse von einem unabhängigen Gremium geprüft werden. In Bayern würden Studien ansonsten nicht erlaubt, „weil wir ja nur über den zweiten Studienteil entscheiden können, welche Verträglichkeitshinweise wir aus dem ersten Teil der Studie haben“, wie Hasford betonte. „Wenn eine Dosisstufe zu Ende behandelt ist, würde man die Ergebnisse von einem externen Board angucken lassen“, erklärte auch Oliver Cornely, akademischer Leiter des Zentrums für Klinische Studien an der medizinischen Fakultät der Universität Köln.

Überlapp ist laut EMA akzeptabel – unklare Abbruchbedingungen nicht

Die EMA betont nun, dass die Kriterien für den Übergang von einem Studienteil zum nächsten im Studienprotokoll vordefiniert sein müssten – wie auch die Dosierungs-Kriterien. „Überlapp zwischen SAD- und MAD-Teilen kann akzeptabel sein“, wenn es wissenschaftliche Begründungen gibt und die verfügbaren Daten von den Beteiligten zuvor ausgewertet wurden, erklärt die EMA in ihrer Richtlinie nun. Auch andere Studienteile könnten unter gewissen Bedingungen überlappend durchgeführt werden.

Schwere Zwischenfälle wie mit dem monoklonalen Antikörper TGN1412 im Jahr 2006 können minimiert werden, wenn nicht mehreren Probanden gleichzeitig eine erste Dosis verabreicht wird. Dies sei in jeder Kohorte angemessen, betont die EMA – auch bei späteren Studienteilen. Beispielsweise, wenn besonders hohe Dosen, wie es bei BIA 10-2474 der Fall war, verabreicht werden, oder falls Reaktionen beobachtet werden, die noch nicht zu einem Abbruch der Studie führen. So hatten mehrere Probanden bei der Bial-Studie Kopfschmerzen und Sehstörungen.

Starke Kritik mussten sich Biotrial und Bial auch gefallen lassen, da nach der Notaufnahme des später verstorbenen Probanden die anderen am nächsten Morgen ihre nächste Dosis verabreicht bekamen. „Das Protokoll sollte eindeutige Abbruch-Kriterien definieren“, heißt es nun in der EMA-Richtlinie. Bei gesunden Probanden sollte eine „ernste unerwünschte Nebenwirkung“ auch bei nur einem Versuchsteilnehmer zum Abbruch der Studie führen – das Bial-Protokoll sah schwere Nebenwirkungen bei vier oder mehr Probanden vor.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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