Bottroper Zyto-Skandal

Kassenchef fordert neue Dokumentationspflichten für Apotheker

Berlin - 18.07.2017, 11:50 Uhr

Winfried Baumgärtner, Chef der Betriebskrankenkasse mhplus, fordert im Zyto-Bereich neue Dokumentationspflichten für Apotheker. (Foto: dpa)

Winfried Baumgärtner, Chef der Betriebskrankenkasse mhplus, fordert im Zyto-Bereich neue Dokumentationspflichten für Apotheker. (Foto: dpa)


Der Fall des Bottroper Zyto-Apothekers wird zum Politikum. Während die Staatsanwaltschaft nun Anklage gegen den Pharmazeuten erhoben hat, meldet sich eine der geschädigten Krankenkassen, die mhplus, zu Wort. Die Betriebskrankenkasse fordert, dass Apotheker alle Prozesse beim Einkauf und in der Herstellung nachweisen und dokumentieren sollen. Der Zyto-Apotheker-Verband verweist auf schon bestehende Regeln, gibt aber zu, dass man kriminelles Verhalten nie ganz verhindern könne.

Am gestrigen Montag war bekannt geworden, dass die Staatsanwaltschaft Essen gegen einen Bottroper Zyto-Apotheker Anklage erhoben hat. Der Pharmazeut, der derzeit in Untersuchungshaft sitzt, wird verdächtigt in mehr als 50.000 Fällen Arzneimittel gestreckt und mehrere Krankenkassen um rund 2,5 Millionen Euro betrogen haben.

Eine dieser Krankenkassen ist die mhplus Betriebskrankenkasse. Die mhplus ist eine bayerische BKK mit etwa 545.000 Versicherten. Die Mitglieder der Krankenkasse sind im gesamten Bundesgebiet verteilt. Einem Sprecher der Kasse zufolge sind insgesamt 16 Patienten der mhplus mit Arzneimitteln behandelt worden, die der beschuldigte Apotheker zuvor zubereitet hatte. Acht dieser 16 Patienten sind laut Kassensprecher inzwischen verstorben.

Kassenchef: Skandal durch zu lockere Regulierungen ermöglicht

Kassenchef Winfried Baumgärtner ist nun der Meinung, dass der Zyto-Skandal erst möglich wurde, weil Apotheker bei der Herstellung und beim Einkauf von Zytostatika zu wenige Dokumentationspflichten haben. In einer Pressemitteilung heißt es: „Möglich wurde dieser Fall auch aufgrund einer Gesetzeslage, die den Apothekern bei der Herstellung und Abgabe von Zytostatika offenkundig gefährliche Freiräume beschert.“

Baumgärtner wünscht sich, dass der Fall im Detail aufgeklärt wird. Viel wichtiger sei ihm aber die Frage danach, wie solche Fälle in Zukunft vermieden werden könnten. Und diesbezüglich sieht der Kassenchef bei der Zytostatika-Herstellung in Apotheken Nachbesserungsbedarf. Er erklärt: „Derzeit sieht das Verfahren bei der Herstellung und Abgabe von Zytostatika kaum Kontrollmechanismen durch Außenstehende vor. So beauftragt der behandelnde Onkologe eine Apotheke mit der Herstellung der verordneten Rezeptur. Die Apotheke fügt die Wirkstoffe in der gewünschten Dosierung zusammen und beliefert den Arzt, der das Medikament an den Patienten weitergibt. Die Krankenkassen erhalten die Rechnung der Apotheke und bezahlen.“

Kasse: Apotheker sollen Einkaufslisten erstellen

Der mhplus ist es wichtig, nicht alle Apotheker per se zu beschuldigen. Baumgärtner sagt: „Ein Generalverdacht gegen die Apotheker besteht nicht. Dennoch benötigen wir zum Schutz der Patienten in Zukunft mehr Transparenz und Kontrolle.“ Die Krankenkasse fordert nun eine „patientenbezogene Nachweispflicht und lückenlose Dokumentationskette über die durch die Apotheker bezogenen und verwendeten Zytostatika“. Was dies genau bedeuten soll, wird in der Mitteilung nicht erklärt.

Die Kasse erklärt aber, dass es ihr auch um die Einkäufe der Pharmazeuten gehe. Im Fall des Bottroper Apothekers hätte eine Dokumentation aller Einkäufe nämlich ergeben, dass weniger Wirkstoffe eingekauft wurden, als die abgegebenen Infusionsbeutel hätten beinhalten sollen. Zur Erklärung: In mehreren Medienberichten hatten Angestellte des Apothekers ausgesagt, dass sie Auffälligkeiten auf den Einkaufslisten ihres Chefs entdeckt hätten. Und so präzisiert auch der Sprecher der mhplus gegenüber DAZ.online auf Nachfrage: „Wir glauben, dass ein lückenloses Verzeichnis aller eingekauften Wirkstoffe und deren späterer Anwendung mehr Transparenz schaffen könnte.“

Der Verband Zytostatika-herstellender Apotheken (VZA) erklärt, dass man kriminelles Verhalten nie ganz verhindern können werde. Ein Sprecher sagte gegenüber DAZ.online: „Es gibt (leider) keine Kontrollmechanismen, die kriminelles Verhalten verhindern können." Der VZA weist außerdem auf die schon bestehenden Kontrollmechanismen bei der Herstellung hin. Der Sprecher weiter: „In § 35 Apothekenbetriebsordnung sind die organisatorischen und pharmazeutischen Anforderungen und Maßnahmen für die Herstellung von Zytostatika-Zubereitungen sowie die Inhalte des Qualitätsmanagementsystems festgelegt. Danach muss die Herstellung unter anderem nach dem 4-Augen-Prinzip erfolgen. Im Herstellungsprotokoll sind die Charge und die verwendete Menge der verwendeten Substanz festzuhalten, so dass sich für jeden Patienten nachverfolgen lässt, was für ihn verwendet worden ist – es sei denn, diese Bestimmungen werden in betrügerischer und krimineller Absicht außer Acht gelassen.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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