Synthetische Biologie

Forscher erzeugen Pocken-Variante im Labor

Stuttgart - 11.07.2017, 15:10 Uhr

Pockenviren unter dem Elektronenmikroskop. (Foto: CDC / Dr. Fred Murphy)

Pockenviren unter dem Elektronenmikroskop. (Foto: CDC / Dr. Fred Murphy)


Bislang schien eine Gefahr für Epidemien oder Anschläge mit Pocken-Viren insbesondere von den Altbeständen in Laboren auszugehen. Doch wie nun bekannt wurde, haben Forscher das Pferdepocken-Virus mit vergleichsweise wenig Aufwand nachgebaut. Auch die menschliche Variante des Pocken-Virus kann auf ähnliche Weise synthetisiert werden – eine staatliche Regulierung ist nach Expertenmeinung fast unmöglich.

Pockenviren gehören aufgrund der sehr leichten Übertragbarkeit und der hohen Sterblichkeit zu den gefährlichsten Krankheitserregern. Zuletzt hatte im Jahr 2004 eine Einschätzung von Wissenschaftlern für viel Wirbel gesorgt, nach deren Einschätzung ein terroristischer Angriff nur eine Frage der Zeit sei. „Die meisten Biowaffenexperten glauben, dass die Herstellung von Pockenviren im großen Maßstab nur mit hohem Aufwand möglich ist“, hatte Spiegel Online die Autoren eines Artikels im Fachblatt „International Journal of Infectious Diseases“ zitiert. „Aber es gibt Belege für das Gegenteil.“

Wie nun im US-Magazin „Science“ sowie der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) berichtet wurde, haben Forscher kürzlich nachgewiesen, dass nicht nur die in den USA und Russland noch in Hochsicherheitslaboren gelagerten Pockenviren bei Freisetzung eine Gefahr darstellen können: Dem kanadischen Mikrobiologen David Evans gelang es mit seinem Team, Pferdepocken im Labor zu erzeugen. Wenigen Personen soll es mit einigen Monaten Arbeit und Kosten von unter 100.000 Euro gelingen können, die Viren nachzubauen.

Evans hat hierzu laut „Science“ bei dem Regensburger Biotech-Unternehmen Geneart überlappende Abschnitte des Virus-Genoms bestellt, die er zu dem rund 212.000 Basenpaaren langen Pferdepocken-Virus zusammensetzte. Nachdem sein Team die Virus-DNA in Zellen einbrachte, die zuvor mit einem anderen Pockenvirus infiziert worden waren, produzierten diese Pferdepocken-Partikel.

Zwar geht von Pferdepocken wohl keine Gefahr für den Menschen aus, doch laut Experten könnte Gleiches auch mit der für den Menschen gefährlichen Variante geschafft werden. „Keine Frage“, erklärte der Virologe von der Universität München Gerd Sutter gegenüber der SZ. „Wenn das mit Pferdepocken geht, dann geht das auch mit Pocken“. 

Kenntnisse eines Biologie-Masters reichen aus

Dies bestätigte gegenüber dem Deutschlandfunk auch Andreas Nitsche vom Zentrum für Biologische Gefahren und Spezielle Pathogene beim Robert Koch-Institut (RKI): Offenbar reichten die Kenntnisse, die man durch ein Biologie-Studium erlangt, um auch menschliche Pockenviren nachzubauen. „Für die Wissenschaft bedeutet das jetzt, dass bisher theoretisch mögliche Versuche in der Praxis durchgeführt worden sind – und insofern bestätigen sie, dass das, was man bislang theoretisch für machbar gehalten hat, funktioniert“, erklärte Nitsche gegenüber dem Radiosender.

Nach bisheriger Meinung hätte die Vernichtung der letzten bestehenden Proben zur Ausrottung der Pocken geführt, sagte er. „Jetzt weiß man, dass auch die Vernichtung des vorhandenen Virus-Stocks in den WHO-Collaboration-Centers nicht zwangsläufig dazu führt, dass die Viren nicht wieder auftauchen.“ In wenigen Jahren würde die Synthese der Erbgut-Schnipsel außerdem noch deutlich günstiger.

Zwar wurde zuvor schon das Erbgut anderer Viren synthetisiert, doch gehören Pockenviren zu den Virusarten mit der größten Zahl an Basenpaaren. Das humane Pockenvirus nachzubauen, ist zwar international verboten, Biotech-Firmen sollen Bestellungen prüfen, um nicht unwissentlich Virus-DNA zu synthetisieren. Doch lässt sich dies kaum kontrollieren. „Uns ist schon seit einigen Jahren klar, dass es im Grunde aussichtslos ist, diese Art von Aktivität zu regulieren“, sagte der Biowaffenexperte Paul Keim von der Northern Arizona University in Flagstaff gegenüber der SZ. Seiner Ansicht nach gibt es auch Chancen – so die Möglichkeit, neue Impfstoffe zu entwickeln.

Gegen Pocken hilft offenbar nicht nur die Impfung

Wie der RKI-Experte Nitsche im Deutschlandfunk sagte, gibt es neben den für die komplette Bundesbevölkerung eingelagerten Impfstoffen auch Arzneimittel, die zur Therapie von Erkrankten eingesetzt werden können – wie ein spezifisches antivirales Mittel, das die Vermehrung von Pocken hemmt. Auch seien Herpes-Mittel wie das noch nicht zugelassene Brincidofovir „relativ vielversprechend“. „Man könnte nicht nur prophylaktisch impfen, sondern in einem Ausbruchsfall auch therapieren“, erklärte Nitsche.

Laut SZ wollte der kanadische Forscher Evans auch die Diskussion um den richtigen Umgang mit den modernen Möglichkeiten wiederbeleben. „Die Welt muss einfach die Tatsache akzeptieren, dass man das machen kann, und jetzt müssen wir überlegen, was die beste Strategie ist, damit umzugehen.“ Umstritten ist auch, wie genau Ergebnisse wie jene von ihm veröffentlicht werden sollen – bislang sind sie nur in einem WHO-Bericht vom November 2016 erwähnt, da Evans seine Arbeit dort bereits vorgestellt hatte.

Die Fachmagazine „Science“ and „Nature Communications“ wollten sie nicht veröffentlichen – auch wegen des „administrativen Aufwands“, den die heikle Forschung mit sich brächte, wie „Science“ argumentierte. Doch der kanadische Forscher will seine Arbeit demnächst wieder zur Publikation einreichen. 

Vor 21 Jahren hatte die WHO eigentlich beschlossen, die letzten Pockenviren zu vernichten, doch hielten die USA und Russland sich nicht an den Beschluss. Außerdem ist unklar, ob nicht noch weitere Proben an anderen Orten lagern – so wurden beispielsweise im Jahr 2014 offenbar vergessene Pockenviren in einem Abstellraum der US-Gesundheitsbehörde NIH gefunden. Eine völlige Vernichtung der Viren ginge zu weit, hatte Evans im vergangenen Jahr gesagt. „Wir sollten sie da lassen, wo sie sind, wegsperren und überwachen. Wenn wir sie dann – aus was für einem Grund auch immer – doch noch einmal brauchen sollten, dann haben wir sie und müssen sie nicht extra synthetisch nachbauen.“ Mit seiner Arbeit an den Pferdepocken hat er nun jedoch gezeigt, dass der Aufwand hierfür vergleichsweise gering wäre.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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