Projekt an Uni-Klinik Heidelberg

Fehlerfreie Rezepte verbessern die Patientensicherheit

Heidelberg / Stuttgart - 07.07.2017, 16:00 Uhr

Schnellere und sicherere Patientenversorgung durch korrekte Rezepte vom Arzt – das fand das Universitätsklinikum Heidelberg. (Foto: Peter Atkins / stock.adobe.com)

Schnellere und sicherere Patientenversorgung durch korrekte Rezepte vom Arzt – das fand das Universitätsklinikum Heidelberg. (Foto: Peter Atkins / stock.adobe.com)


Wie schaffen es Apotheker, verordnenden Ärzten die Tücken der Rezeptausstellung näherzubringen? Ein interprofessionelles Team am Universitätsklinikum Heidelberg um die Apothekerinnen Dr. Hanna Seidling und Christine Faller stellte sich dieser Aufgabe. Ihre These: Ärztlicherseits ordentlich ausgestellte Rezepte verbessern die Patientensicherheit. Tatsächlich gelang dem Team, dies zu verifizieren. DAZ.online hat mit den Forscherinnen gesprochen.

Die Idee entstand bereits vor einigen Jahren. „Einige Apotheker des Universitätsklinikums – allen voran Christine Faller – haben neben ihrer Tätigkeit im Krankenhaus auch einen Anker im niedergelassenen Bereich“, erklärt Dr. Hanna Seidling, Apothekerin am Universitätsklinikum in Heidelberg. Probleme, die sich aus von Krankenhausärzten ausgestellten Rezepte ergeben können, erleben die Pharmazeuten in der Offizin somit selbst hautnah: Die Rezepte sind unvollständig, unleserlich, missverständlich. Wie lässt sich die Qualität ärztlicher Verordnungen verbessern? Und wie trägt das zur Patientensicherheit bei?

Neun Minuten bis vier Tage dauert die ärztliche Rücksprache

Das untersuchte in den letzten fünf Jahren ein interdisziplinäres Projektteam des Universitätsklinikums um Seidling und Faller. Dafür wurden alle Beteiligten im Rezeptschreibeprozess miteinander vernetzt – die Mitarbeiter in den Ambulanzen, das Zentrum für Informations- und Medizintechnik, die EDV-Betreuer und die Klinikapotheke. Entscheidend für die Umsetzung des Projektes waren auch Beschlüsse des Klinikvorstandes: Dieser räumte dem Vorhaben hohe Priorität ein und ermöglichte die Einrichtung einer zentralen Koordinationsstelle, dem „Rezeptmonitor“.

Für eine sichere Patientenversorgung sei ein möglichst reibungsloser Prozess bei der Arzneimittelbereitstellung zuträglich, erklärt Seidling. „Ein primäres Problem, das wir betrachtet haben, ist die zeitliche Verzögerung bei der Versorgung der Patienten“. Die Erfahrung der Klinikapothekerin: Hier hilft es bereits enorm, wenn keine Rückfragen zum Rezept mehr notwendig sind, bei denen die Apotheker möglicherweise über die Krankenhausleitstelle den Arzt finden müssen, der tags zuvor das Rezept ausgestellt hatte – und der dann vielleicht gerade nicht im Dienst ist. „Formale Fehler in der Apotheke kosten Zeit“, betont Faller. Neun Minuten seien es im Durchschnitt, im Einzelfall könne es auch schon einmal vier Tage dauern, bis das Problem gelöst ist. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen aufgrund fehlerhafter Medikation oder Verordnung hat das Universitätsklinikum im Zuge dieses Projekts zur Patientensicherheit nicht standardmäßig erhoben.

Wie lassen sich ärztliche Rücksprachen vermeiden?

Was fördert nun die Qualität der Rezepte und die Sicherheit? „Wenn man mehr miteinander spricht, wirkt sich das positiv auf die zügige Patientenversorgung aus“, hat Seidling die Erfahrung gemacht. Und sprechen sollte man, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist und das ärztliche Rezept – unleserlich, unvollständig oder missverständlich – mit dem Patienten die Klinik verlässt. „Die Besonderheit an unserem Projekt zur Patientensicherheit war, dass es wirklich als Schnittstellenprojekt ausgelegt war“, sagt die Apothekerin. Und das Projektteam hatte tatsächlich viele Beteiligte und Akteure, nicht nur im Krankenhaus mit Ärzten, der Pflege, der Klinikapotheke und der EDV-Abteilung. Auch die Landesapothekerkammer und der Landesapothekerverband unterstützen das Projekt und bis zu 20 öffentliche Apotheken waren in die Datenerhebung eingebunden, indem sie im Abstand von etwa jeweils zwei Jahren über einen Zeitraum von einem Monat alle Rezepte des Universitätsklinikums sammelten und sie den Krankenhausapothekern anonymisiert zur Fehlerprüfung überließen.

Dass Rezepte am Ende korrekt ausgestellt sind – formell und fachlich – dafür bedarf es nicht nur des Know-hows über Verschreibungsverordnung und Abrechnungsmodalitäten. Auch die technischen Voraussetzungen mit einfachen Dingen wie Druckern wollen geschaffen sein. Faller hat die Erfahrung gemacht, dass für einen erfolgreichen Start und ein nachhaltiges Gelingen eines solchen interdisziplinären Projekts, die kontinuierliche Betreuung der Beteiligten wichtig ist. Schnell schleicht sich der Frust ein, wenn vielleicht die Software nicht ganz so will, wie sie soll. Darauf waren die Apothekerinnen vorbereitet. „Für diese Fälle haben wir eine extra Hotline eingerichtet“. Bei Fragen und Unklarheiten landen die Ambulanzen direkt bei den Apothekern in der zentralen Koordinationsstelle in der Klinischen Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie.

Apotheker schulen, zeigen Präsenz und schalten Hotline frei

Doch die Apotheker waren vor allem auch direkt in den Ambulanzen präsent. „Wir haben vor Ort geschaut: Was brauchen die einzelnen Ambulanzen, um beispielsweise eine elektronische Rezeptschreibung überhaupt umzusetzen? Hat jeder einen Drucker, ist dies dann auch der richtige?“ Die elektronische Verordnung – das war eines der Projektziele: 80 Prozent der Verordnungen sollten künftig per PC ausgestellt sein. Manche Verordnungsfehler können so bereits im Voraus vermieden werden: So erkennt das System beispielsweise die gemeinsame Verordnung von Arzneimittel und Hilfsmittel – und druckt automatisch zwei Rezepte.

Die Apotheker des Klinikums leisteten auch die Schulungen zur korrekten Rezeptausstellung. Hauptsächlich in der Verantwortung hierfür sah sich Christine Faller. Drei bis fünf Unterweisungen fanden in der Regel statt. Für ein fundiertes Wissen und einen sicheren Umgang mit dem neuen Verordnungssystem hätte ein Termin nicht gereicht, sagt Faller. Die schulenden Apotheker waren hier sowohl in der Frühbesprechung als auch bei der Übergabe aktiv mit dabei. In Kleingruppen wurde anschließend jede Ambulanz zusätzlich hinsichtlich individueller Schwerpunkte unterwiesen. Ergaben die Prozess-Analysen zum Beispiel eine hohe Relevanz für BtM-Rezepte, fokussierten die Apotheker ihre Schulung entsprechend hierauf. „Neben dem standardisierten Infoblock, individualisierten wir je nach Fachbereich: Eine Ambulanz verordnet vielleicht mehr Hilfsmittel, die nächste Rezepturen und die dritte mehr Betäubungsmittel“. Die Apotheker erstellten hierfür extra Schulungsmaterial und Handouts für die Teilnehmer sowie Kurzanleitungen für die Nutzung der elektronischen Verordnungs-Software.

Die häufigsten Fehler auf Rezepten

Welche Fehler entdeckten die Apotheker am häufigsten? „In der Regel fehlte der Arztname oder die Mediziner hatten die Besonderheit eines BG-Rezeptes nicht beachtet“, erklärt Hanna Seidling. Und welche Rezepte waren am kritischsten? Hier stuft die Apothekerin die Verordnung von Individualrezepturen am fehleranfälligsten ein – diese bergen großes Potenzial für Missverständnisse. Die Maßnahme des Klinikums? „Wir haben folglich alle Individualrezepturen überarbeitet, auf Plausibilität geprüft und ins elektronische Verordnungssystem eingegeben“, erklärt Faller. 

Das Ergebnis: Weniger ärztliche Rücksprache erforderlich

Dem Projektteam gelang es, die Rücksprachequote zu Klinikrezepten deutlich zu verringern: Zu Beginn des Projektes im Jahr 2012 hielten die teilnehmenden Apotheken noch bei etwa einem Viertel (23 Prozent) der belieferten Rezepte Rücksprache mit der verordnenden Ambulanz. Nach drei Jahren Projektarbeit verbesserte sich dies dramatisch: Der Anteil missverständlicher Rezepte, die eine ärztliche Rückfrage erforderten, lag nun mehr bei nur noch 4,1 Prozent.

Preis für Patientensicherheit 2017 und die Zukunft des Projekts

Der Erfolg des Projektes überzeugte auch das Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS). Anfang Mai erhielten die engagierten Heidelberger den ersten Platz des Deutschen Preises für Patientensicherheit 2017. „Die 10.000 Euro Preisgeld fließen zurück in das Projekt“, erklärt Seidling. Denn das Projekt soll weitergehen, gar ausgeweitet werden. Geplant ist – im Zuge der Etablierung des Entlassmanagements, das bis Oktober 2017 realisiert sein soll – nach den Ambulanzen auch die Stationen mit einzubinden. Hier werden ebenfalls Materialien benötigt, um die Stationen mit den entsprechenden elektronischen Vorrichtungen auszustatten.

Was liegt Dr. Hanna Seidling und Christine Faller für die Zukunft der Patientensicherheit am Herzen? „Ganz besonders wichtig finden wir, dass die Qualitätssicherung auch wirklich nachhaltig ist“, sagen die Apothekerinnen. Man habe viel erreicht. Ziel müsse es nun sein, das Projekt weiter auszubauen, sodass zum Beispiel im Rahmen des Entlassmanagements auch die Stationen des Universitätsklinikums Heidelberg in den Genuss der „Verordnungsbetreuung“ durch den Rezeptmonitor kommen.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Fehler abstellen

von Karl Friedrich Müller am 08.07.2017 um 16:56 Uhr

Das Problem ist, dass man uns nicht zu hört und Fehler abstellt.
So wird in Praxen, weniger an Kliniken, für ein und den selben Patienten jedes Mal ! der gleiche Fehler gemacht, so dass man dann auch jedes Mal anrufen und hinrennen muss. Das zermürbt und ist unverständlich.
Würden Fehler zur Kenntnis genommen und geändert, gäbe es auf beiden Seiten sehr viel weniger Arbeit, die vermeidbar wäre. Die Zeit könnte erheblich besser genutzt werden.
Ein Traum.
Ach ja: Angebote für Erklärung oder Schulung will man schon gar nicht hören, trotz sonst guter Zusammenarbeit.
Vermutlich Sorge vor Regressen. Die Praxen haben auch unter erheblichem Druck zu leiden

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