Klageerfolg für GKV-Spitzenverband

Gericht mahnt Regelung zu Mischpreisen an

Berlin - 29.06.2017, 12:30 Uhr

Trotz unterschiedlichen Nutzens für Patienten soll ein Arzneimittel stets den gleichen Preis in der Apotheke haben. Ein Ansatz, der für Rechtsstreitigkeiten sorgt.  (Foto: Sebra / Fotolia)

Trotz unterschiedlichen Nutzens für Patienten soll ein Arzneimittel stets den gleichen Preis in der Apotheke haben. Ein Ansatz, der für Rechtsstreitigkeiten sorgt.  (Foto: Sebra / Fotolia)


Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg bleibt dabei: Der Schiedsspruch, mit dem für das Antidiabetikum Albiglutid (Eperzan®) ein Erstattungsbetrag festgesetzt wurde, ist rechtswidrig. In seinem jetzt ergangenen Urteil hebt der Senat vor allem auf einen Begründungsmangel ab. Die Frage, ob die Mischpreisbildung generell unrechtmäßig ist, behandelt er am Rande – und mahnt den Gesetzgeber zur Nachbesserung an, wenn er diese wolle.

Im März hatte eine im Eilverfahren ergangene Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg für Unruhe in der Pharmabranche – und auch in der Politik – gesorgt. Der Auslöser: Der GKV-Spitzenverband war juristisch gegen einen Beschluss der Schiedsstelle vorgegangen, die den Erstattungsbetrag eines neuen Arzneimittels nach der frühen Nutzenbewertung festsetzt, wenn sich Hersteller und GKV-Spitzenverband über diesen nicht einigen können.

Konkret ging es um Albiglutid (Eperzan® von GSK), ein GLP-1-Analogon, das hierzulande in der Versorgung kaum Bedeutung hat. Für dieses hatte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) fünf Patientenpopulationen differenziert, aber nur für eine von ihnen einen „Hinweis auf einen geringen Zusatznutzen“ festgestellt. Für alle anderen sah er keinen Vorteil gegenüber vorhandenen Therapieoptionen. Das Problem war nun, für ein solches Arzneimittel einen einheitlichen Preis zu bilden. Dass ein Wirkstoff nicht allen Patienten gleich viel Zusatznutzen verspricht, ist kein Einzelfall. Die Schiedsstelle suchte die Lösung über den „Mischpreis“. Dieser soll  sicherstellen, dass der Arzt diese Arzneimittel im Rahmen seiner Therapiehoheit stets wirtschaftlich verordnen kann.

Dieses Konzept missfällt den Kassen seit geraumer Zeit. Und so zog der GKV-Spitzenverband vor Gericht – übrigens nicht nur gegen den Schiedsstellenbeschluss zu Eperzan®, sondern auch gegen den zum Zytostatikum Idelalisib (Zydelig® von Gilead). Auch bei Letzterem hatte der G-BA  nicht in allen Patientengruppen einen Zusatznutzen erkannt.

Etappensieg für GKV im Eilverfahren

Da Klagen gegen die Entscheidungen der Schiedsstelle keine aufschiebende Wirkung haben, wollte der GKV-Spitzenverband diese zunächst in einem Eilverfahren wiederherstellen. Was ihm auch gelang: Im Fall von Eperzan® befand der 9. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg, dass die Mischpreisbildung rechtswidrig sei, wenn der G-BA bei einer Patientengruppe einen Zusatznutzen erkannt und zugleich bei einer oder mehreren Gruppen einen solchen verneint hat. Aus dem Vorhandensein eines Erstattungsbetrags dürfe nicht automatisch auf die Wirtschaftlichkeit einer jeden Verordnung des betroffenen Arzneimittels in all seinen Anwendungsbereichen geschlossen werden.

Nun stand das Hauptsacheverfahren im Fall Eperzan® an, ebenso im Fall Zydelig®. Am gestrigen Mittwoch wurde in Potsdam entschieden, die beiden Schiedssprüche aufzuheben. Die schriftlichen Urteilsgründe liegen noch nicht vor, aber laut Gerichts-Pressestelle begründet der Senat die Stattgabe der Klage im Wesentlichen gleich.

Transparenter Rechenweg vermisst

Demnach ist der Schiedsspruch rechtswidrig, weil er an einem Begründungsmangel leide. Grundsätzlich sei von Schiedssprüchen auf der Grundlage von § 130b SGB V zu fordern, dass sie den der Bildung des Erstattungsbetrages zugrunde liegenden Rechenweg mit allen seinen Implikationen nachvollziehbar und transparent aufzeigen. Dem werde der Eperzan®-Schiedsspruch nicht gerecht. Der darin mit 1200 Euro bezifferte Wert des Zusatznutzens sei nicht nachvollziehbar, sondern scheine frei „gegriffen“. Im Fall von Zydelig® hat der Senat den formellen Aspekt der Begründungspflicht offenbar noch stärker betont. Hier sei nicht einmal ansatzweise zu erkennen gewesen, wie sich der Rechenweg zum Erstattungsbetrag gestaltet habe, heißt es in der Mitteilung des Gerichts.

Zur Rechtmäßigkeit der Mischpreisbildung hat sich der Senat nur im Rahmen eines die Entscheidung nicht tragenden „obiter dictums“ geäußert. Danach bestünden erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der praktizierten Mischpreisbildung, weil der Mischpreis keine nutzenadäquate Vergütung darstelle und er keine Grundlage im Gesetz finde. Dringend notwendig sei daher eine gesetzliche Regelung, die die Mischpreisbildung in einem Fall wie dem vorliegenden zulasse. Zumindest aber müsse es eine Übereinkunft in der Rahmenvereinbarung zwischen GKV-Spitzenverband und Herstellerverbänden nach § 130b Abs. 9 SGB V geben.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache hat der Senat in beiden Fällen die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen.

Pharmaverbände: Gesetzgeber muss schnell handeln

Der GKV-Spitzenverband fühlt sich in seiner Auffassung bestätigt – mehr wollte er bislang jedoch nicht zu den Urteilen sagen. Bei den Pharmaverbänden sieht man nun den Gesetzgeber gefordert. Hoffnung, sich mit dem GKV-Spitzenverband im Rahmenvertrag einigen zu können, besteht hier offenbar nicht. „Ohne eine Klarstellung im SGB V ist zu befürchten, dass neue Arzneimittel auch dann nicht verordnet werden, wenn sie für bestimmte Patientengruppen einen Zusatznutzen gezeigt haben“, erklärte Norbert Gerbsch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI). Und sein Kollege vom Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH), Hermann Kortland, sagte: „Das Urteil trägt zu einer erheblichen Verunsicherung bei allen Beteiligten bei. Es besteht die Gefahr, dass Ärzte innovative Arzneimittel aus Angst vor Regressen nicht mehr verordnen“. Er forderte den Gesetzgeber auf, nicht zu warten, bis das Bundessozialgericht seine Entscheidung trifft, sondern  in der neuen Legislaturperiode eine Lösung anzustreben. Der Verband forschender Pharmaunternehmen (vfa) wies darauf hin, dass der Mischpreis „die beste Option” sei, um vielen Patienten ohne bürokratischen Aufwand eine gute Therapie mit zugelassenen Arzneimitteln zu ermöglichen. In Deutschland wären laut vfa allein 46 Medikamente und 8,4 Millionen Patienten betroffen, wenn Mischpreisen die Rechtsgrundlage entzogen würde.

Diese grundsätzliche Bereitschaft zu einer Gesetzesänderung äußerte im März bereits der SPD-Gesundheitspolitiker Edgar Franke – wobei er erst auf ein höchstrichterliches Urteil warten will. Sein CDU-Kollege Michael Hennrich hatte sich zurückhaltender geäußert und erklärt, die Union befinde sich hier noch in einem Prüfprozess.

Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. Juni 2017, Az.: L 9 KR 213/16 KL (Albiglutid) und L 9 KR 72/16 KL (Idelalisib)



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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