Kommentar

Die wahren Apotheken-Feinde

Berlin - 29.06.2017, 17:50 Uhr

Apotheke? Nein, Danke. Die wirkliche politische Bedrohung für die Apotheke vor Ort kommt aus dem Kassenlager, meint DAZ.online-Chefredakteur Benjamin Rohrer. (Foto: dpa)

Apotheke? Nein, Danke. Die wirkliche politische Bedrohung für die Apotheke vor Ort kommt aus dem Kassenlager, meint DAZ.online-Chefredakteur Benjamin Rohrer. (Foto: dpa)


Der GKV-Spitzenverband will sich in der nächsten Legislaturperiode dafür einsetzen, den Apothekenmarkt zu deregulieren. Die Aussagen im Positionspapier zur Bundestagswahl sind argumentativ schwach und weisen eine gewisse Doppelmoral auf, meint DAZ.online-Chefredakteur Benjamin Rohrer. Und sie zeigen: Die wahren Feinde der Apotheke vor Ort kommen nicht aus Holland, sondern sitzen in den Etagen der Kassenverbände.

Der GKV-Spitzenverband macht ernst: Nun hat auch der von Patientenvertretern und Arbeitgebervertretern besetzte Verwaltungsrat es zur Grundsatzpolitik erklärt, dass der Apothekenmarkt in der nächsten Legislaturperiode dereguliert werden muss. Konkret fordert das Gremium in einem Positionspapier zur Bundestagswahl die Abschaffung des Fremd- und Mehrbesitzverbotes. Außerdem sollen Honoraranpassungen für Apotheker nur noch erfolgen, wenn absolute Transparenz zum Honorar vorliegt.

Was die Krankenkassen da mit Blick auf das Fremd- und Mehrbesitzverbot fordern, ist schlichtweg ein kompletter Systembruch. Einer der gesundheitspolitischen Spitzenverbände Deutschlands, der mehrere hundert schlaue Menschen beschäftigt, sollte für eine solche Forderung gute Argumente parat haben, müsste man meinen. Aber: Fehlanzeige! Der Verwaltungsrat des Kassenverbandes liefert als Begründung nur, dass der Umbruch aus „Markt- und Wettbewerbsgründen“ geboten sei. Mehr nicht.

Wenig Argumente

Welche Ziele die Kassen mit ihrer Forderung wirklich verfolgen, ist also reine Spekulation. Sehr nahe liegt aber, dass sie die Versorgung gerne über einige wenige Anbieter per Selektivvertrag steuern möchten. Dass die Krankenkassen genau das wollen, haben sie ja schon bei der Zyto-Versorgung gezeigt. Und auch in der Diskussion um den Versandhandel hieß es in den Stellungnahmen klar, dass man gerne mit Versandapotheken wie DocMorris solche Vereinbarungen treffen würde. Ähnlich wie in den USA könnte es aus Sicht der Kassen dann so ablaufen, dass ein großes Apothekenunternehmen mit einer großen Krankenkasse um die Höhe der Rabatte für mehrere hunderttausend Patienten feilscht. Welche Rolle in solchen Verhandlungen der Patientenbedarf spielt – der im GKV-Positionspapier übrigens in jeder zweiten Zeile erwähnt wird – bleibt zu hinterfragen.

Fraglich ist auch, ob die Ketten-Wünsche des Berliner Ober-Kassen-Verbandes an der Krankenkassen-Basis in den Regionen ankommen. Beispiele wie Schweden zeigen deutlich, dass Kettenkonzerne Landapotheken eher schließen als neue zu eröffnen. Und wo rufen Versicherte als erstes an, wenn sie mit ihrer Gesundheitsversorgung nicht zufrieden sind, wenn sie beispielsweise ihre Arzneimittel nicht rechtzeitig oder gar nicht mehr erhalten? Bestimmt nicht bei Celesio oder Walgreens Alliance Boots, sondern bei ihrer Krankenkasse.

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Immer wieder: Es liegen keine Daten vor!

Problematisch ist auch die fast schon gebetsmühlenartig wiederholte Forderung nach mehr Evidenz und Transparenz beim Apothekenhonorar. Fast jeder Kassenverband unterhält heutzutage ein „wissenschaftliches“ Institut zur Untersuchung der Versorgungsentwicklung. Solche Institute leisten wichtige Arbeit, indem sie anhand der Analyse von Abrechnungsdaten beispielsweise feststellen, in welchen Versorgungssektoren qualitativ schlechte Leistungen erbracht werden. Aber ist es glaubwürdig, dass eine solche Analyse-Stelle bis ins letzte Detail sagen kann, in welcher Klinik Hüft-OPs gut erbracht werden, und dann keine Daten zum Apothekenmarkt hat?

Ein Hauch von Doppelmoral liegt in der Luft, wenn man sich die Argumente einzelner Kassen im Streit um den Morbi-RSA anschaut. Da streiten sich die Krankenkassen darüber, ob die Verteilung der Milliarden aus dem Gesundheitsfonds an die einzelnen Kassen gerecht ist oder nicht. Fritz Schösser, Versichertenvertreter im Aufsichtsrat des AOK-Verbandes, sagt dazu: „Der immer wieder laut werdende Ruf nach mehr Wettbewerb in der Krankenversicherung hat Grenzen. Die AOK steht für Versorgungswettbewerb – ohne jede Art der Rosinenpickerei um Versicherte mit geringem Krankheitsrisiko.“ Für die Apotheker bedeutet das: Wettbewerb: Ja, gerne. Aber nur im Apothekenmarkt, bitte!

Doch so unschlüssig und inkomplett die Forderungen des GKV-Spitzenverbandes sind – die Apotheker und ihre Standesvertreter sollten sie nicht vernachlässigen. Denn die Mitarbeiter des Kassenverbandes gehen in den Berliner Abgeordnetenbüros ein und aus. Vielleicht sollte man dem GKV-Spitzenverband ja mal vorschlagen, den europäischen Binnenmarkt auch für ausländische Krankenkassen zu öffnen. Mal sehen, wie schnell die Kassen dann auf die Einhaltung nationaler Richtlinien und auf die Erhaltung hunderttausender Arbeitsplätze pochen.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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4 Kommentare

Wer antwortet der GKV?

von Reinhard Rodiger am 29.06.2017 um 19:34 Uhr

Die wahren Feinde der Apotheken sind die, keine stichhaltige Antwort auf die Grosssmachtphantasien lautstark verbreiten.
Und die Politik überzeugen.

Der praktizierte Machtmissbrauch der Kassen, die Nebenwirkungen ihrer Politik, die Schikanen, die Ungeniertheit der Mittelverwendung usw liefern sehr viel Stoff.

Es gilt also dies hörbar zu machen.Das ist die Führungsaufgabe, die wahrgenommen werden muss.
Schön wärs!

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GKV will Ketten

von Dr. Albrecht Emmerich am 29.06.2017 um 18:57 Uhr

Das habe ich immer befürchtet:
Die Kassen gründen am Ende selbst eigene Apotheken, dort erhalten die Versicherten dann nur Arzneimittel Marke "xy-Kasse " . Service und Wartezeiten interessieren nicht - Patient ist dem Geschehen hilflos ausgesetzt.
Das spart Rabattverhandlungen, die Arzneimittel-Abgabestellen kann man in die bestehenden KK-Niederlassungen integrieren, was teure Mietkosten erspart.
Man kann dann auch weiter die Hersteller erpressen, z. B. mit Zahlungsziel St. Nimmerleinstag.
Wir sind diesem perfiden Treiben leider hilflos ausgesetzt.


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GKV-Spitzenverband will Ketten

von Martin Straulino am 29.06.2017 um 18:10 Uhr

Als ich mich vor ca. 25 Jahren selbstständig gemacht habe, waren die Kosten für die Belieferung der Arzneimittel auf Kassenrezept in etwa gleich den Verwaltungskosten der Krankenkassen.
Heute sind die Verwaltungskosten etwa doppelt so hoch.
Verwaltungskosten steigen nun mal leider unabhängig von ihrer Leistung.
Es wird höchste Zeit dass die Politik die Macht der Krankenkassen zurückfährt und dort große Einsparungen einfordert.

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AW: GKV-Spitzenverband will Ketten ...

von Christian Timme am 29.06.2017 um 18:47 Uhr

und die "Gefangenen" mehr Kettenglieder ...

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