Akutversorgung

Retax-Welle oder nur Einzelfälle?

Berlin - 28.06.2017, 07:00 Uhr

Besteht für Apotheken im Notdienst nun erhöhte Retaxgefahr? (Foto: dpa)

Besteht für Apotheken im Notdienst nun erhöhte Retaxgefahr? (Foto: dpa)


Die Barmer wird derzeit als „Retax-Aufsteiger des Jahres“ betitelt. Im Fokus: Die Retaxation von Rezepten, die in der Akutversorgung beliefert wurden. Von einer Retax-Welle ist gar zu lesen. Allerdings: Beim Deutschen Apotheken Portal und dem LAV Baden-Württemberg, die beide eine heiße Anlaufstelle in Retax-Fragen sind, kann man diese Wahrnehmung nicht bestätigen. 

Die geänderten Rahmenvertragsregeln zur Retaxation sind kürzlich ein Jahr alt geworden. Wie sieht es seitdem aus mit den Retaxationen der Krankenkassen aus formalen Gründen? Sind die Kassen zurückhaltender geworden? Oder finden sie neue Gründe, Apothekern die Vergütung zu kürzen?

Das Nachrichtenportal apotheke adhoc veröffentlichte in der vergangenen Woche gleich mehrere Artikel zu einer neuen Retax-Variante der Barmer. Ein Apotheker aus dem Odenwald wurde von der Kasse auf Null retaxiert, weil er bei der Arzneimittelabgabe in der Akutversorgung nicht die Vorgaben des Rahmenvertrags eingehalten hatte. Die entsprechende Sonder-PZN hatte er jedoch vermerkt. In der Folge wird von „massenhaften Nullretaxationen“ der Barmer geschrieben.

DAZ.online wollte wissen, was es damit auf sich hat, und hat nachgefragt. Zunächst bei der Barmer selbst. Diese zeigte sich irritiert über die Berichterstattung und erklärte den geschilderten Fall für einen Einzelfall: „Die Versorgung unserer Versicherten mit Arzneimitteln durch die Apotheken im Notdienst oder Akutfall funktioniert flächendeckend in den allermeisten Fällen reibungslos. Über 99 Prozent der Abrechnungen zwischen Apotheken und der Barmer laufen ohne jegliche Beanstandungen“, erklärte ein Sprecher. Er verweist dazu auf die neue Regelung des § 4 Abs. 4 Rahmenvertrags über die Arzneimittelversorgung. Diese sehe ausreichend Alternativen vor, wenn im Not- oder Akutfall die vorrangige Abgabe eines rabattbegünstigten Arzneimittels nicht zustande kommt. „Diese Regelung wird von den Apothekern sehr gut umgesetzt“, so die Barmer. Und weiter: „Die Barmer verfolgt zudem keinen Formretax, sondern stellt auf die Vereinbarung zwischen Apotheken und Krankenkassen im Rahmenvertrag ab. Wichtig ist, dass der Geist der Vereinbarung mit dem DAV zur Substitution vertragspartnerschaftlich gelebt wird und dass dazu eine plausible Anwendung der Regularien gehört“.

LAV: Klassische Retax-Gründe überwiegen

DAZ.online fragte zudem beim Landesapothekerverband Baden-Württemberg nach, bei dem sich eine Fachabteilung um Retax-Probleme der Verbandsmitglieder kümmert. Ein Sprecher erklärte, die Zahl der Retaxationen sei in den vergangenen Monaten gleichbleibend hoch geblieben. Es gebe immer wieder berechtigte und unberechtigte Retaxationen – und zwar „quer durch den Garten“. Er weist allerdings nicht ganz von der Hand, dass die Kassen nach dem Schiedsspruch des vergangenen Jahres ein Stück weit nach neuen Retax-Gründen suchen. Doch von einer Retax-Welle könne man nicht sprechen. Die meisten Retax-Fälle sind nach wie vor klassisch: Es geht um die Einhaltung von Rabattverträgen oder um die Original/Import-Abgabe. Tatsächlich sieht aber auch der LAV ein „intensiveres Prüfverhalten“ mit Blick auf § 4 Abs. 4 Rahmenvertrag. Hier seien Apotheken getroffen, die etwa im Notdienst nicht das verordnete beziehungsweise nicht das Rabattvertragsarzneimittel vorrätig haben, aber auch die Vorgaben der Rahmenvertragsregelung für solche Fälle nicht einhalten können. Dass die Barmer hier besonders aktiv sei, konnte der Sprecher allerdings nicht bestätigen. Es seien in der Regel stets die gleichen Kassen, die retaxfreudig seien, zu denen zählt er zwar die Barmer, aber genauso die DAK, TK und verschiedene BKKen.

Auch eine Nachfrage beim Deutschen Apotheken Portal (DAP) brachte keine Bestätigung, dass derzeit besonders viele Barmer-Retaxationen zur Prüfung auflaufen. Allerdings hat das DAP die Berichterstattung am gestrigen Dienstag zum Anlass genommen, unter dem Titel „Retaxgefahr im Notdienst?” nochmals auf das Prozedere des § 4 Abs. 4 Rahmenvertrag hinzuweisen. Zugleich hat es Apotheken aufgefordert, Retaxationen dieser Art zu melden.

Was gibt der Rahmenvertrag vor?

Was hat es nun wirklich mit § 4 Abs. 4 des Rahmenvertrags auf sich? Ist im Notdienst oder im Akutfall ein Rabattarzneimittel in der Apotheke nicht vorrätig, kann nach dieser Regelung statt des rabattierten Arzneimittels eine andere vertragskonforme Alternative abgegeben werden.

Auszug aus § 4 Rahmenvertrag

(2) Ist ein rabattbegünstigtes Arzneimittel in der Apotheke nicht verfügbar und macht ein dringender Fall die unverzügliche Abgabe eines Arzneimittels erforderlich (Akutversorgung, Notdienst), hat die Apotheke dies auf der Verschreibung zu vermerken, das vereinbarte Sonderkennzeichen aufzutragen und ein Arzneimittel nach den Vorgaben des Absatzes 4 abzugeben (….).

(4) Kommt eine vorrangige Abgabe rabattbegünstigter Arzneimittel nach Absatz 2 nicht zustande, stehen unter den Voraussetzungen nach Absatz 1 die drei preisgünstigsten Arzneimittel und im Falle der aut idem-Ersetzung zusätzlich das namentlich verordnete Arzneimittel, soweit in den ergänzenden Verträgen nach § 129 Absatz 5 Satz 1 nichts anderes vereinbart ist, oder ein importiertes Arzneimittel nach Maßgabe des § 5 zur Auswahl; zählt das verordnete Arzneimittel zu den drei preisgünstigsten Arzneimitteln, darf das ersetzende Arzneimittel nicht teurer als das namentlich verordnete sein.“

Notwendig ist also zum einen, dass die Sonder-PZN 02567024 in Verbindung mit Faktor 5 (Akutversorgung/Notdienst) auf das Rezept gedruckt und eine kurze Begründung vermerkt ist. Fehlt eines von beiden, ist das jedoch kein Retaxgrund. Darüber hinaus gilt: Im Fall eines namentlich verordneten Arzneimittels ist dieses oder eines der drei preisgünstigsten aut-idem-fähigen Arzneimittel abzugeben. Auch ein Import kann nach Maßgabe des Rahmenvertrags abgegeben werden. Vorsicht ist geboten, wenn das namentlich verordnete Präparat bereits zu den drei Preisgünstigsten gehört. Dann darf das ersetzende Arzneimittel nicht teurer als das namentlich verordnete sein (Preisanker). Bei einer Wirkstoffverordnung läuft es nur auf eines der drei preisgünstigsten aut-idem-fähigen Arzneimittel hinaus.   

An den Patienten denken

Doch es kann eben Situation geben, in denen nur ein teureres, medizinisch gleichwertiges Arzneimittel vorrätig ist, das die Bedingungen eben nicht erfüllt. Was soll dann geschehen? Im Notdienst oder Akutfall kann dem Patient nicht zugemutet werden, ein neues Rezept zu organisieren. Das DAP schreibt dazu: „In der Praxis wird die Apotheke entweder eine ärztliche Rezeptänderung auf eigene Kosten anstoßen (was sich bei einem Notdienstrezept ohnehin als fast unmöglich darstellt) oder sich in Rücksprache mit dem Arzt die Abgabe des teureren Medikaments bestätigen lassen und den Vermerk mit Datum und Unterschrift abzeichnen“. Es sei aber nicht tragbar, dass Krankenkassen diese Rezepte retaxieren. Es müsse in erster Linie an den Patienten gedacht werden. Es wäre nach Ansicht des DAP daher mehr als wünschenswert, die rahmenvertragliche Regelung in dieser Hinsicht zu lockern.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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3 Kommentare

Zunahme Retaxationen Barmer

von Hamann am 30.06.2017 um 15:33 Uhr

Ich kann das nur bestätigen, so wie auch andere Kollegen bekomme ich seit einiger Zeit vermehrt Post von der GFS.
Ich nehme an, die meisten Kollegen legen selbst Einspruch ein oder lassen es ganz einfach, weil die Aussicht auf Erfolg sehr gering ist. Deshalb landet vermutlich kaum etwas bei den LAVs. Und beim Apothekenportal landet wenig, weil der Retaxservice seit einiger (leider) kostet (monatliche Gebühr).
Wenn die Daz einen Aufruf starten würde, wer von diesen Retaxationen betroffen ist, würde das Fax nicht mehr stillstehen und der Emaileingang überlaufen...

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Quantität hin oder her -

von gabriela aures am 28.06.2017 um 8:31 Uhr

dieser Satz ist "aufschlussreich" :

"Die Barmer verfolgt zudem keinen Formretax, sondern stellt auf die Vereinbarung zwischen Apotheken und Krankenkassen im Rahmenvertrag ab. "

Wenn's allerdings um Zuzahlungsboni geht, die ganz offiziell auf allen Ebenen, in allen Medien aggressiv beworben werden, sind die Krankenkassen nicht so pingelig und sehen Ü.B.E.R.H.A.U.P.T.
keinen Grund für Retaxationen !
Dabei wäre das Einsparpotential viel höher ....

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Quantität hin oder her

von Heiko Barz am 28.06.2017 um 11:33 Uhr

Welche Phalanx an Juristen hat die Bamer EK eingestellt, um die kleinsten Unwägbatkeiten in den Verträgen zu finden und finanziell für sich auszuwerten? (Natürlich nur für die eigenen Belange Wichtigen.)
Irgendwie müssen ja die, von den KKassen in Leben gerufenen Retaxfirmen finanziell erhalten bleiben. Das sind auch wichtige Arbeitsplätze, die letztlich sozial und lohnstererplichtig sind. Schäuble wird sich natürlich nicht dagegen wehren, obwohl auf der anderen Seite Einkommen der Apotheken geschmälert werden und sich das Ganze zu einem komplizierten Nullsummenspiel ausweitet.



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