Italien

Homöopath muss sich wegen Todesfall verantworten

Stuttgart - 07.06.2017, 17:15 Uhr

Globuli statt Antibiotika: Ein siebenjähriger Junge starb kürzlich in Folge einer Mittelohrentzündung. (Foto: Wolfilser / Fotolia)

Globuli statt Antibiotika: Ein siebenjähriger Junge starb kürzlich in Folge einer Mittelohrentzündung. (Foto: Wolfilser / Fotolia)


Ende Mai verstarb in Italien ein siebenjähriger Junge wegen einer Mittelohrentzündung, die auf das Gehirn übergriff. Sein Arzt muss sich nun wegen des Todesfalls verantworten, da er seinen Patient offenbar nur mit homöopathischen Präparaten statt mit Antibiotika therapieren wollte. Auch in Deutschland sorgt der Fall für Entsetzen.

Ein Junge aus dem westlich von Ancona gelegenen Dorf Cagli verstarb im Mai, nachdem eine Mittelohrentzündung sich laut Medienberichten zu einer Hirnentzündung ausgebreitet hatte. Der junge Patient könnte vermutlich noch leben, wenn er mit Antibiotika behandelt worden wäre – doch sein Arzt, der den Jungen seit drei Jahren kannte, behandelte ihn offenbar nur mit Homöopathika. Als er immer schwächer wurde, kam der Junge ins Krankenhaus – doch es war zu spät, er fiel in einen schweren komatösen Zustand.

Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen fahrlässiger Tötung – und Anfang dieser Woche wurde der Homöopath vor einer Standesorganisation befragt. Gleichzeitig ermittelt die Staatsanwaltschaft auch gegen die Eltern, um zu klären, inwiefern sie ihren Fürsorgepflichten nachgekommen sind. Der Großvater des Siebenjährigen erklärte gegenüber Medien, der Homöopath habe die Eltern davon abgehalten, den Jungen schon früher ins Krankenhaus zu bringen. Der Arzt gab der Presse gegenüber bislang keine Stellungnahme ab.

Pharmaverband verweist auf Arzt oder Apotheker

Die Behandlung – laut Medienberichten – mit homöopathischem „Arnica Montana“ anstatt mit Penicillin rief in Italien wie Deutschland Entsetzen hervor. Anlässlich des tragischen Todesfalls betonte Hermann Kortland, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller (BAH), dass homöopathische Präparate „amtlich zugelassen und auf ihre Qualität, Sicherheit und Unbedenklichkeit hin geprüft“ seien. „Wie alle anderen Arzneimittel auch, haben Homöopathika therapeutische Grenzen, die jeder verantwortungsvolle Apotheker und Arzt kennen sollte“, erklärte der Pharmaverband.

Homöopathische Präparate unterliegen in Italien und Deutschland ähnlichen Regeln: Wie hierzulande können sie entweder ohne Angabe eines Anwendungsgebietes registriert werden oder eine Zulassung durch die Arzneimittelbehörde erhalten. Zwar können viele homöopathische Mittel auch in einer so genannten „Parafarmacia“ abgegeben werden, in denen nur OTC-Präparate erhältlich sind, doch ist auch hier die Anwesenheit eines Apothekers erforderlich. 

Homöopathie-Zentralverein kritisiert Kollegen 

In einer Presseerklärung zeigte sich der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) „bestürzt“ über den Todesfall. „Hier liegt offenbar ein ärztlicher Kunstfehler vor“, erklärte die Vorsitzende Cornelia Bajic. „Der Verzicht auf Antibiotika scheint in diesem Fall eine klare unterlassene Hilfeleistung und nicht mit dem ärztlichen Selbstverständnis vereinbar.“ Wenn sich die Vorwürfe gegen den Kollegen bestätigen, sollte gegen ihn die „volle Härte der italienischen Gesetze“ angewendet werde, fordert sie. Hierzulande würden klare Regeln „bei korrekter Anwendung“ vergleichbare Fälle verhindern. „Ein homöopathischer Kinderarzt kennt die Grenzen der ärztlichen Homöopathie ebenso wie die Grenzen einer konventionellen Pharmakotherapie“, hatte Bajic anlässlich eines Todesfalls eines anderen, von seinen Eltern mit Homöopathika behandelten italienischen Kindes im Jahr 2011 erklärt.

Der DZVhÄ verweist darauf, dass auch hierzulande nicht sofort Antibiotika verschrieben werden. „Auch die konventionelle Medizin mahnt die Ärzte zu einem angemessenen Einsatz von Antibiotika und steht dem hohen Verbrauch von Antibiotika in Deutschland kritisch gegenüber“, erklärt der Zentralverein. Der einzelne Arzt müsse die Risiken und Vorteile für seinen Patienten abwägen. Der DZVhÄ verweist auf die Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) – bei Patienten ohne Risikofaktoren mit einer unkomplizierten akuten Otitis media sollte auf die sofortige antibiotische Therapie verzichtet werden, schreiben die Homöopathen, die auf einer Webplattform homöopathische Mittel für Mittelohrentzündungen empfehlen. Selbst bei Fieber und Erbrechen sei es laut der Leitlinie vertretbar, die ersten 24 bis 48 Stunden unter Beobachtung des Kindes abzuwarten und erst bei einer Verschlechterung der Symptome oder einer ausbleibenden Besserung Antibiotika zu verordnen, argumentiert der DZVhÄ.

Laut Kritikern nur Spitze des Eisbergs

Das Homöopathie-kritische „Informationsnetzwerk Homöopathie“ (INH) widerspricht der Stellungnahme des Zentralvereins deutlich. Der DZVhÄ sehe im Grunde den „ärztlichen Kunstfehler“ wie einen bedauerlichen Einzelfall, jedoch keine Verantwortlichkeit der Homöopathie als Therapierichtung, kritisiert das INH.  Das INH ist der Meinung, dass in der Entscheidung für eine homöopathische Behandlung anstelle wissenschaftlicher Medizin das Schadenspotenzial bereits im Kern angelegt sei.

Das potenzielle Risiko für solche Vorkommnisse bestehe nach Aufassung des Netzwerkes bei einer Entscheidung für eine homöopathische Behandlung im Grundsatz und von Anfang an. Beim Zusammentreffen einer nicht selbstlimitierenden Erkrankung und der Annahme, diese mit Homöopathie bekämpfen oder gar heilen zu können, verwirkliche sich dieses Risikopotenzial zwangsläufig, heißt es. Es sei nicht unüblich, dass Homöopathie-Anhänger sich komplett von der Medizin abwenden und auch Antibiotika als „Chemie“ oder „schädlich“ ablehnen. Daher stellt der aktuelle Fall nach Ansicht des INH nur die Spitze des Eisbergs dar. 



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


3 Kommentare

Homöopathika und Antibiotika

von 2xhinschauen am 10.06.2017 um 0:17 Uhr

Lieber Peter Oettler,
wenn Sie den beiden Links in meinem Kommentar folgen, finden Sie streng sachliche und gut belegte Artikel, und das gilt auch für die übrigen bisher >40 Artikel in der Homöopedia.

Ihr Vorwurf der Militanz ist gänzlich aus der Luft gegriffen. Man begegnet "militanter" Argumentation eher bei Menschen, deren Position mehr auf Glauben als auf Fakten beruht. Den Kritikern (z.B. der Homöopathie) wird oft unterstellt, dass sie ebenfalls einem Glaubenssystem anhängen und entsprechend argumentieren müssen. Das entspricht aber nicht der Realität.

>> Wo bleibt die Entrüstung, wenn nach Antibiotika der Patient stirbt?

Oje. Also vorab: In der richtigen Medizin gibt es viele viele Therapien je nach Indikation, darunter medikamentöse Behandlungen mit über 80 verschiedenen Wirkstoffgruppen. Antibiotika sind genau 1 davon. Die Homöopathie hat im Gegensatz dazu nur eine einzige Behandlungsmethode für alles: Chemisch identische Globuli, egal was auf dem Etikett steht. Die Medizin mit dem Verabreichen von Antibiotika gleichzusetzen, zeugt von Unwissen.

Desweiteren ist zu sagen, dass Antibiotika (wie auch andere "richtige" Medikamente) eine vielfach belegte pharmakologische Wirkung haben (und daher auch Nebenwirkungen haben können, was auf Globuli nicht zutrifft). Wenn Sie eine antibiotische Substanz in eine Petrischale mit krankheitserregenden Bakterien träufeln, sind die hinterher alle tot. Falls Sie da Globuli hineinwerfen, freuen sich die Sparifankel geradezu über den Zucker. Das Schmatzen wurde inzwischen nachgewiesen (das war ein Scherz).

Mir ist keine Statistik über tödliche Zwischenfälle bei Behandlung mit Antibiotka bekannt, die zweifelsfrei auf diese Behandlung zurückzuführen sind (gibt es aber bestimmt). Aber die Dinger haben wenigstens überhaupt eine Wirkung.

Komplikationen im Zusammenhang mit homöopathischen Behandlungen treten nur durch das Unterlassen einer "richtigen" Behandlung auf. Eine mögliche Gesundung in minderkritischen Fällen wäre also durch Nichtstun oder irgendeine beliebige andere Placebobehandlung ebenfalls erreicht worden. Ihr Vergleich ist also nicht stichhaltig.

Dass zuviele Antibiotika verschrieben werden - ja, stimmt. Dass es dadurch Komplikationen geben kann - ja, stimmt. Kritikwürdig, unbestritten. Aber das macht die Globuli nicht wirksam. Fehler in einem System machen ein anderes nicht besser.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Globuli und Antibiotika sind nicht gleichwertig

von 2xhinschauen am 07.06.2017 um 22:39 Uhr

Ich persönlich finde es widerlich und zynisch, wie der Zentralverein und seine Chefin diesen Todesfall benutzen, um uns unterschwellig glauben zu machen, dass Globuli und wirksame Medikamente (wie Antibiotika) in irgendeiner Weise gleichwertig oder altvernativ einsetzbar sein.

Globuli sind Zucker, nichts sonst, und jeder im Herstellungsprozess vielleicht(!) vorhandene WIrkstoff ist herausverdünnt (http://www.homöopedia.eu/index.php/Artikel:Potenzieren)

Der Hinweis, dass die "Schul"-Medizin ja auch Fehler macht (unbestritten), ist nur Ablenkung davon, dass Globuli bei Infektionskrankheiten grundsätzlich immer wirkungslos sind.

EIn bisschen Wissen darüber, was es mit Antibiotika auf sich hat und was nicht, und auch die berechtigte Kritik am übermäßigen Einsatz findet sich unter www.homöopedia.eu/index.php/Artikel:Antibiotika

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Globuli und Antibiotika sind nicht

von Peter Oettler am 08.06.2017 um 17:22 Uhr

Unbestreitbar sind solche Todesfälle das äußerste, was Eltern erleben können.
Sieht man sich die Fakten an, könnte man annehmen, dass Antibiotika generell den Todesfall ausschliessen. Wo bleibt die Entrüstung, wenn nach Antibiotika der Patient stirbt? Ist durch eine Antibiotika Gabe der Arzt automatisch aus der Verantwortung?
Ich argwöhne, die Reaktion auf diesen Artikel erfolgt aus einer Ecke, die grundsätzlich Homoöpathie & Co militant ablehnt.

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.