Interview Kordula Schulz-Asche (Grüne)

„Ich habe noch nie bei einer Versandapotheke bestellt“

Berlin - 01.06.2017, 11:20 Uhr

Die Arzneimittel-Expertin der Grünen, Kordula Schulz-Asche, im Gespräch mit DAZ.online. (Foto: Kuelker)

Die Arzneimittel-Expertin der Grünen, Kordula Schulz-Asche, im Gespräch mit DAZ.online. (Foto: Kuelker)


Im Interview mit DAZ.online erklärt die Arzneimittel-Expertin der Grünen, Kordula Schulz-Asche, warum sie sich über das Vorgehen von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe nach dem EuGH-Urteil aufregt und warum die Rx-Preisbindung aus ihrer Sicht schlecht für die Apotheker ist.

Am gestrigen Mittwoch wurden im Gesundheitsausschuss des Bundestages zwei Anträge der Grünen und Linken zum Apothekenmarkt abgelehnt. Mit dem negativen Votum im Gesundheitsausschuss ist nun so gut wie sicher, dass die beiden Oppositionsanträge keine Überlebenschancen haben. Die Grünen forderten in ihrem Vorschlag die Einführung eines Höchstpreismodells samt Boni-Deckel sowie eine Neustrukturierung des Apothekenhonorars. Die Linken hatten neben einer Abschaffung aller Zuzahlungen auch das Rx-Versandverbot gefordert. Rein theoretisch hätte die Union, in der weite Teile das Verbot gefordert hatten, den Antrag mit der Linken beschließen können. Doch CDU-Arzneimittelexperte Michael Hennrich hatte sehr früh klargestellt, dass CDU und CSU mit der Linken keine Gesetze beschließen wollen.

Der Grünen-Antrag erfuhr ein ähnliches Schicksal: Inhaltlich stimmt er in vielen Punkten mit den Vorstellungen der SPD-Bundestagsfraktion zum Apothekenmarkt überein. Die Sozialdemokraten wollten dem Antrag jedoch auch nicht zustimmen. Bei den Apothekern hatte Schulz-Asche zuletzt für Aufregung gesorgt: Bei mehreren Anlässen wies die Grünen-Abgeordnete aus Hessen darauf hin, dass der Versandhandel aus ihrer Sicht nicht mehr wegzudenken sei und dass Flexibilität bei den Preisen den Apothekern sogar guttun könnte.


„Ich habe von der SPD keine Zustimmung erwartet“


DAZ.online: Frau Schulz-Asche, der Antrag der Grünen-Fraktion wurde abgelehnt. Sind Sie enttäuscht, dass nicht wenigstens die SPD dafür stimmte? Schließlich bestehen doch viele Gemeinsamkeiten zu den Forderungen der Sozialdemokraten…

Schulz-Asche: Nein. Das habe ich von der SPD nie erwartet. Was das Vorgehen nach dem EuGH-Urteil betrifft, so waren wir mit der SPD in den vergangenen Monaten in vielen Punkten einer Meinung. Aber wer ein vernünftiges Koalitions-Verhalten an den Tag legt, der macht so etwas nicht.

DAZ.online: Letztlich steht der gesamte Apothekenmarkt nach dem EuGH-Urteil nun aber ohne Lösung da. Die Union will das Versandverbot nicht mit der Linken beschließen, die SPD will weder mit der Union noch mit Ihnen. Ist das Problem nicht zu wichtig, um es zu verschleppen?

Schulz-Asche: Ganz genau das ist das Problem. Ich habe mich unheimlich darüber aufgeregt, dass es am Ende nun die Apotheker sind, die unter den Riesen-Boni von DocMorris un Co. aus Holland leiden müssen. Unser Vorschlag hätte eine schnelle, kurzfristige Lösung ermöglicht: Die Höhe der Rx-Boni wäre fortan für alle auf dem gleichen Niveau gewesen, außerdem wäre endlich über langfristigere Strukturfragen gesprochen worden.

„Ein Boni-Deckel hätte die Gefahr für Vor-Ort-Apotheken eingrenzen können“

DAZ.online: Sie wollen die Apotheker also mit einer grundsätzlichen, aber gedeckelten Boni-Erlaubnis vor Rx-Boni aus dem Ausland schützen? Wie geht das zusammen?

Schulz-Asche: Ganz einfach: Es ging uns darum, die Höhe der Rx-Boni einzuschränken. Derzeit können die EU-Versandapotheken doch Rx-Boni in uneingeschränkter Höhe gewähren. Wäre man unserem Vorschlag gefolgt, hätte man diese Gefahr für die Apotheke vor Ort eingrenzen können.

DAZ.online: Aber der EuGH hat die Rx-Preisbindung für EU-Versender doch aufgehoben. Eine solche Einschränkung wäre ebenso europarechtswidrig gewesen, wie Sie es von dem Rx-Versandverbot behaupten…

Schulz-Asche: Wir sehen das anders. Wir glauben, dass das EuGH-Urteil grundsätzlich nur meint, dass kein Zusammenhang zwischen der Rx-Preisbindung und der flächendeckenden Versorgung besteht. Über die Höhe eines eventuellen Boni-Deckels hat sich der EuGH nicht geäußert. Außerdem ist es fahrlässig, es nicht einmal zu probieren. Ich verstehe auch die Apothekerschaft nicht, dass man lieber mit den riesigen Rx-Boni aus den Niederlanden leben möchte, als einen minimalen Rabatt für alle zu akzeptieren.


„Die Rx-Preisbindung schadet den Apothekern“


DAZ.online: Vielleicht weil schon dieser „minimale“ Rabatt viele kleine Apotheken in schwierige wirtschaftliche Situationen befördern könnte…

Schulz-Asche: Das Problem ist ja, dass wir das alles nicht wissen. Dazu liegen uns einfach keine verlässlichen Zahlen vor. Wir wissen nur, dass die Apothekenzahl zurückgeht, dass eine Marktkonzentration stattfindet und dass der Anteil umsatzschwacher Apotheken steigt. Die Zusammenhänge werden wir aber sicher erst aus dem Gutachten des Bundeswirtschaftsministeriums erfahren. Zu behaupten, dass eine kleine Preissenkung Einfluss auf die Versorgung hat, dafür gibt es einfach keine Belege.

DAZ.online: Die Festpreise haben doch auch einen versorgungspolitischen Sinn. Jeder Verbraucher bekommt sein Arzneimittel zum gleichen Preis in jeder Apotheke. Apotheker, die Boni anbieten, könnten auf die Idee kommen, die Beratungen bei Boni-Patienten einfach zu streichen…

Schulz-Asche: Ich bin eher der Meinung, dass die Rx-Preisbindung den Apothekern sogar schadet. Schon jetzt ist es so, dass mir viele Apotheker sagen, dass sie ohne eine hochgradige Spezialisierung oder besondere Angebote wie etwa zur Naturheilkunde oder Homöopathie den Wettbewerb mit den weiter entfernten Stadtapotheken nicht aushalten würden. Wir meinen, dass gerade solchen Apotheken ein kleiner, flexibler Spielraum beim Preis Chancen im Wettbewerb einräumen kann.

Wie hoch ist ein „minimaler Bonus“?

DAZ.online: Wie hoch könnte denn Ihrer Meinung nach so ein „minimaler“ Bonus sein, damit er den Apothekern mehr Vor- als Nachteile bringt?

Schulz-Asche: Höher als 1 Euro sollte er nicht liegen. Der 1-Euro-Bonus ist ja in Deutschland auch schon gerichtlich bestätigt worden. Ich möchte auch festhalten, dass unser Vorschlag nicht aus sich selbst heraus geboren wurde. Das heißt, wir reagieren damit nur auf das von der Union geforderte Rx-Versandverbot. Uns war es wichtig, dass wir noch in dieser Legislaturperiode einen kurzfristigen Vorschlag umsetzen, mit dem alle Parteien leben können, um das System dann in Ruhe und mithilfe aller Beteiligten und den Patientenvertretern weiterzuentwickeln. Die Union und Minister Gröhe halten aber nach wie vor an einem verfassungs- und europarechtswidrigem Versandverbot fest, obwohl selbst das von Wolfgang Schäuble geführte Finanzministerium Bedenken hat.

DAZ.online: Genauso gut könnte man der SPD die Schuld in die Schuhe schieben und sagen, dass sie eine Lösung verbaut habe, nämlich das Rx-Versandverbot.

Schulz-Asche: Wir können uns doch zwölf Jahre nach der Zulassung des Versandhandels nicht vom europäischen Markt abschotten. Und auch für die deutschen Versandapotheken wäre das rechtlich nicht machbar gewesen. Es ist zudem schon ein sehr schlechtes Signal von Herrn Gröhe in Richtung der vielen kleinen Start-ups aus dem Gesundheitswesen, die gerade innovative Wege beschreiten. Ein solches Verbot signalisiert denen doch, dass man für neue Ideen eigentlich gar keinen Platz freimachen will.


„Der Minister begeht einen schweren politischen Fehler, indem er die SPD weiterhin auffordert, ihren Widerstand aufzugeben.


DAZ.online: Ganz offensichtlich sieht der Minister das immer noch anders. Er fordert die SPD weiterhin auf, ihren Widerstand aufzugeben.

Schulz-Asche: Er begeht damit auch einen schweren, politischen Fehler. Der Minister hat nicht verstanden, dass auch die Union kein monolithischer Block ist – auch da gibt es unterschiedliche Positionen und Abgeordnete, die gegen das Versandverbot sind.

DAZ.online: Aber sollte ein Bundesminister nicht zuerst dafür sorgen, dass die flächendeckende Vor-Ort-Versorgung im ganzen Land gesichert ist, bevor er sich darum kümmert, dass Versandapotheken einen möglichst freien Marktzugang haben?

Schulz-Asche: Natürlich. Ich bin ja auch ein Fan der Apotheke vor Ort. Ich habe noch nie im Versandhandel bestellt. Aber der Versandhandel ist für viele Menschen inzwischen zu einer wichtigen Versorgungsalternative geworden, und von einer Gefährdung der flächendeckenden Versorgung vor Ort kann keine Rede sein – jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Deswegen schlagen wir in unserem Antrag ja umfassend vor, wie man den Beruf des Apothekers stärken und die Arzneimittelversorgung langfristig sichern kann.

DAZ.online: Ähnlich wie die SPD sind ja auch die Grünen in dieser Thematik eher geschwommen in den vergangenen Monaten. Frau Steffens stand als Gesundheitsministerin beispielsweise hinter dem Versandverbot, Ihre Partei wollte liberalisieren, und Sie wollen eine gedeckelte Aufweichung der Preisbindung. Wie steht die Partei grundsätzlich zum Apothekensystem und zur inhabergeführten Apotheke vor Ort?

Schulz-Asche: Ich bin gegen Diskussionen über weitreichende Liberalisierungen. Der EuGH hat uns einen Auftrag erteilt, was die Preisbindung betrifft, und um die müssen wir uns kümmern. Ich bin mir auch sicher, dass unser Antrag inzwischen Konsens in der gesamten Partei ist.

DAZ.online: Vielen Dank für das Gespräch!

 



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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7 Kommentare

Fehleinschätzung der Grünen Gesundheitspolitik

von Heiko Barz am 01.06.2017 um 13:47 Uhr

Frau S.Asche bemerkt, für mich schon überaus zünisch, das System des Versandhandels wäre unumkehrbar, da seit 2004 festgelegt, so sollte sie sich erinnern, wem wir diesen pharmazeutischen Schwachsinn zu verdanken haben. ( Fischer, Trittin, Bender und Co.) Welcher Partei gehörten diese 'Fachleute' eigentlich an?
Kann denn niemand dieser Frau Asche einmal erklären, dass der Bonuswahnsinn aus Holland einfach damit zu erklären ist, dass diese Heuschreckenabhängigen Rabatte von den Arzniemittelherstellern verlangen können - und das auch mit Nachdruck tun - wie wir diese vor 2004 auch bekamen.
Welche Diskriminierungen wir dabei erfuhren, mit der Krankheit Anderer auch noch Profit zu machen, gipfelt ja derzeit im Wust der Rabattverträge( Gewinner: K.Kassen) und im sogenannten Apothekenhonorar, dass seit 2004 stagniert.
Dass von diesem zementierten Honorar auch noch ein KKassenrabatt von 1.77€ abgeht sollte Frau Asche auch mal zur Kenntnis nehmen.
Der von der Grünen angedachte 1€ Bonus ist nicht diskutabel, weil deutlich sichtbare Auflösungserscheinungen, Aposchließungen, Apprbiertenmangel, Investitionsstau u.s.w. zu deutlich anzeigen, dass unglaubliche Fehler zur absoluten Verschlechterung der Arzneimittelversorgung der Patienten heute schon geführt haben.
Der von der Politik angedachte Paradigmenwechsel hin zur digitalen Versandeuphorie kennt aber nur einen absoluten Verlierer:: den PATIENTEN !!

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AW: Fehleinschätzung der Grünen

von Heiko Barz am 02.06.2017 um 14:27 Uhr

zynisch statt zünisch!

Auch oh Mann

von Peter Bauer am 01.06.2017 um 11:41 Uhr

Kapiert die Frau nicht ,dass in der öffentlichen Apotheke nicht der geringste finanzielle Spielraum für Rabatte ist.Nicht mal ganz kleine.Warum sind die meisten Apotheken mittlerweile unverkäüflich???Weil man einfach nicht mehr genug erwirtschaften kann,um neben dem Lebensunterhalt auch noch die Apotheke abzuzahlen.Wir können einfach keine Aufschläge selber machen ,die es dann hinterher gestatten darauf Rabatte zu geben.Alle anderen Branchen machen dies nämlich so.Wann machen sich solche Politiker endlich frei von diesem ewig gestrigen Denken,dass ein Apotheker in seiner Apotheke sich automatisch dumm und dusselig verdient.Und das sind dann "Gesundheitsexperten"!

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Oh Mann....

von Anita Peter am 01.06.2017 um 11:30 Uhr

Apotheken auf dem Land sollen jetzt 1 Euro Bonus geben, damit man die Kundschaft aus den Stadtapotheken wieder weg lockt??
a) dann gibt auch die Stadtapotheke 1 Euro Bonus und alles ist wieder zurück auf los.
b) ich kann mir nicht mal 50 cent Bonus leisten!

Und was nun?

» Auf diesen Kommentar antworten | 3 Antworten

AW: Oh Mann..

von Christian Becker am 01.06.2017 um 11:46 Uhr

Ist doch klar: zumachen. Sie und noch möglichst viele andere, die die Versorgung auf dem Land sicherstellen.
Dann hat auch Frau Schulz-Asche ihren Beleg, dass das schaden würde.
Ach so... dann wäre es aber zu spät, noch was zu ändern und Hurra!, wir haben ja die Versandapotheken die in die Presche springen können.

AW: @ Christian Becker

von Anita Peter am 01.06.2017 um 12:09 Uhr

Wenn ich 50 cent pro Packung Bonus geben muss, ist meine Apotheke nicht mehr zu betreiben, und das obwohl meine Privatentnahme niedriger ist als ein Nettogehalt einer angestellten Apothekerin. ( bei einer 40 Stundenwoche wohlgemerkt, die 20-30 Stunden, die ich darüber liege, rechne ich schon gar nicht mehr mit.... )
Wie eine Krankenschwester jetzt auf die Idee kommt, die Preisbindung sei schädlich für meine Apotheke, ist mir ein Rätsel.

AW: Oh Mann

von Christian Becker am 01.06.2017 um 12:51 Uhr

Das kann ich mir gut vorstellen, Frau Peters. Daher mein zynischer Kommentar.
Die Preisbindung ist ja letztendlich auch für die Kunden gut - was vielen wahrscheinlich erst klar wird, wenn es sie (die Preisbindung) und Sie (bzw. Ihre Apotheke) nicht mehr gibt.

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