Pharmacon Meran

Neuer Checkpoint-Inhibitor Avelumab in den Startlöchern

Meran - 25.05.2017, 14:28 Uhr

In den USA ist Bavencio bereits zugelassen. (Foto: Pfizer)

In den USA ist Bavencio bereits zugelassen. (Foto: Pfizer)


Nach Nivolumab, Ipilimumab und Pembrolizumab wartet der vierte Checkpoint-Inhibitor auf die Zulassung. Avelumab soll als Orphan Drug zur Therapie des seltenen Merkelzell-Karzinoms eingesetzt werden – weitere, nicht seltene Indikationen wie eine bestimmte Lungenkrebsform sind in der Pipeline. Warum beantragten Merck und Pfizer nicht in dieser Indikation die Erstzulassung? Professor Manfred Schubert-Zsilavecz aus Frankfurt stellte den PD-L1-Antikörper beim Pharmacon in Meran vor.

Checkpoints sind wichtige Schaltstellen, wenn es um die Aktivierung des körpereigenen Immunsystems geht. Insbesondere mit Blick auf die Vernichtung von Tumorzellen sind Checkpoint-Inhibitoren als Arzneimittel in den letzten Jahren in den Fokus der Forschung gerückt. Für die Wirkung spielen T-Zellen eine entscheidende Rolle. Befinden sich die Immunzellen zunächst noch in Lauerposition in den Lymphknoten, werden sie über an ihrer Oberfläche exprimierte Proteine aktiviert. Doch erfolgt diese Aktivierung kontrolliert. „Um im Bereich der T-Zellen in den Lymphknoten nicht über das Ziel hinauszuschießen, gibt es auch Bremsen“, erklärte Prof. Manfred Schubert-Zsilavec beim Pharmacon in Meran. Eine solche Bremse auf der T-Zelle ist beispielsweise das Oberflächenprotein CTLA4 (Cytotoxisches T-Lymphozyten-Antigen 4), Angriffspunkt des bereits zugelassenen Checkpoint-Inhibitors Ipilimumab (Yervoy).

Doch Tumorzellen sind clever und haben selbst Mechanismen entwickelt, der zerstörenden Wirkung der Immunzellen zu entkommen: „Tumore haben gelernt, Liganden zu bilden, um die Aktivität der T-Zellen zu blockieren“, erklärt der Professor für Pharmazeutische Chemie aus Frankfurt. Ein solcher Ligand ist PD-L1. Er bindet an den Programmed Death Rezeptor auf der Oberfläche von T-Zellen – und hemmt so aktiv deren Effektorfunktion. Therapeutisch wird dies bereits genutzt: Nivolumab (Opdivo) und Pembrolizumab (Keytruda) interagieren mit dem PD-1-Rezeptor auf der T-Zell-Oberfläche, lösen auf diese Weise die Bremse des Immunsystems und können so „dem Tumor den Garaus machen“, formuliert es Schubert-Zsilavecz.

Avelumab: Neuer Angriffspunkt im PD-L1-System

Avelumab (Bavencio) hat nun einen neuen Angriffspunkt. Er ist der erste Checkpoint-Inhibitor, dessen Ziel nicht auf der T-Zelle liegt. Strukturell ein PD-L1-Antikörper, neutralisiert Avelumab den von der Tumorzelle gebildeten Liganden und verhindert so, die Inaktivierung der T-Zelle durch PD-L1.

Nutzen Pfizer und Merck bewusst den Orphan-Drug-Status aus?

„Das Prinzip funktioniert“, sagt Schubert-Zsilavecz. Das zeigten die bereits zugelassenen Checkpoint-Inhibitoren wie Ipilimumab, Nivolumab und Pembrolizumab. Mit Avelumab hat sich das Portfolio nun nochmals erweitert, zumindest in den Vereinigten Staaten. Der PD-L1-Antikörper erhielt am 27. März 2017 die Zulassung der FDA in der Indikation Merkelzell-Karzinom, das Zulassungsverfahren bei der EMA läuft noch. Das Merkelzell-Karzinom (siehe Kasten) tritt ausgesprochen selten auf – weniger als 400 Patienten erkranken pro Jahr. Die FDA sah hier die Berechtigung, Avelumab den Orphan-Drug-Status zu geben und in einem beschleunigten Zulassungsverfahren den Marktzugang zu ermöglichen. Weitere Indikationen sind jedoch bereits geplant  – so laufen derzeit klinische Studien für den Einsatz von Avelumab beim Nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinom und beim urothelialen Karzinom.

Warum aber wird für Avelumab nicht für diese Indikationen die Erstzulassung beantragt? Schubert-Zsilavecz erklärt, das Merkelzell-Karzinom zeige zum einen eine ausgesprochene Immunabhängigkeit beim Tumorwachstum. Das prädestiniert es wohl, um die klinische Wirksamkeit eines PD-L1-Antikörpers zu untersuchen. Er bezieht sich hier auf eine Aussage von Pfizer. Zusätzlich gebe „es aktuell  keine belastbare pharmakotherapeutische Option“ zur Behandlung des seltenen Merkelzell-Karzinoms. In solchen Fällen kann die FDA beschleunigte Zulassungsverfahren nutzen, um Patienten mit schwerwiegenden und/oder lebensbedrohlichen Erkrankungen pharmakologische Therapieoptionen zu verschaffen. Der pharmazeutische Unternehmer steht allerdings in der Pflicht, weitere Daten nachzureichen und zu beweisen, dass diese frühe Zulassung gerechtfertigt war.

Was ist ein Merkelzell-Karzinom?

Violett-blaue und kugelige Tumoren kennzeichnen das Merkelzell-Karzinom. Es ist eine besonders aggressive Form des Hautkrebses, der dreimal häufiger zum Tod führt als ein Melanom. Er entwickelt sich in den sogenannten Merkelzellkörpchen, die in der Haut als Drucksensoren fungieren. An der Pathogenese vermutlich beteiligt ist ein Virus, das Merkelzell-Polyomavirus. Die maligne Erkrankung ist selten, jährlich erkranken in der Bundesrepublik rund 400 Menschen. Häufig kann der Tumor operativ entfernt werden, allerdings tritt bei 50 Prozent der Erkrankten ein Rezidiv auf, was die Behandlung erschwert. Die 5 Jahres-Überlebensrate beträgt weniger als 20 Prozent.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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