Österreich

Gericht widerspricht EuGH-Urteil zur Bedarfsplanung

Berlin - 24.05.2017, 07:00 Uhr

Noch eine Runde: Seit Jahren gibt es in Österreich Streit um die Bedarfsplanung. Ein nationales Gericht hat nun einem Urteil des EuGH widersprochen. (Foto: Hans Ringhofer / picturedesk)

Noch eine Runde: Seit Jahren gibt es in Österreich Streit um die Bedarfsplanung. Ein nationales Gericht hat nun einem Urteil des EuGH widersprochen. (Foto: Hans Ringhofer / picturedesk)


In Österreich gibt es für Apotheken keine Niederlassungsfreiheit. Das starre Kriterium des Apothekengesetzes, das eine Mindestzahl von 5.500 Personen als Schutzzone für die bereits bestehenden Nachbarapotheken vorsieht, hat allerdings durch die Rechtsprechung des EuGH empfindliche Kratzer bekommen. Ein österreichisches Gericht hat der Entscheidung des EuGH nun aber widersprochen.

Nach dem österreichischen Apothekengesetz kann eine Konzession für eine neu zu errichtende oder die Erweiterung eines Standortes einer bestehenden öffentlichen Apotheke nur erteilt werden, wenn ein Bedarf hierfür besteht. Das trifft unter anderem nicht zu, wenn die bestehenden umliegenden öffentlichen Apotheken dadurch weniger als 5500 Personen zu versorgen hätten.

Auf dieser Basis waren vor einigen Jahren die Anträge von zwei Apothekern auf Erteilung einer Konzession für eine neu zu errichtende öffentliche Apotheke im Gemeindegebiet von Pinsdorf (Susanne Sokoll-Seebacher) bzw. auf Erweiterung einer Betriebsstätte im Gemeindegebiet von Leonding (Manfred Naderhirn) abgewiesen worden. Beide fochten die Entscheidung an und brachten damit einiges in Rollen. Die Fälle landeten vor dem Europäischen Gerichtshof.

Erster „Anlauf“ beim EuGH

In seinem Urteil vom 14. Februar 2014 (Rechtssache (C‑367/12, „Sokoll-Seebacher I“) stellte der EuGH zunächst fest, dass ein System der vorherigen Genehmigung für die Niederlassung neuer Apotheken bei Einhaltung bestimmter Kriterien grundsätzlich mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Eine entsprechende nationale Regelung werde aber nur dann als geeignet angesehen, wenn damit das angestrebte Ziel, die sichere und qualitativ hochwertige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln zu gewährleisten, in kohärenter und systematischer Weise erreicht werden könne. Diese Eignung spricht der EuGH der starren Regel ab, denn die zuständigen nationalen Behörden hätten keine Möglichkeit, von dieser Grenze abzuweichen, um örtliche Besonderheiten zu berücksichtigen. Die fixe Regel müsse deshalb aufgelockert werden.

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Apothekengesetz angepasst

Die geforderte Flexibilisierung wurde in Österreich im Juni 2016 mit einer Apothekengesetznovelle umgesetzt, in Anlehnung an das Urteil allerdings eingeschränkt auf ländliche und abgelegene Gebiete. Die beiden Apotheker bekamen nach Entscheidungen des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich ihre Konzessionen. Nachbarapotheken der beiden wollten jedoch nicht klein beigeben und gingen beim österreichischen Verwaltungsgerichtshof (VwGH) in Revision. Dieser gab den jeweiligen Revisionen statt. Die Ausgangsrechtssachen wurden an das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich zurückverwiesen, der nun vom EuGH noch einmal genauer wissen wollte, wie eng oder wie weit das Urteil „Sokoll-Seebacher I“ aus dem Jahr 2014 denn nun auszulegen sei.

Zweiter „Anlauf“ beim EuGH

In seinem Beschluss vom 30. Juni 2016 (Rechtssache C‑634/15 „Sokoll-Seebacher II – Naderhirn“) stellte der EuGH klar, dass das Kriterium einer starren Grenze der Personenzahl bei der Prüfung des Bedarfs „allgemein in keiner konkreten Situation, die einer Prüfung unterzogen wird, angewendet werden dürfe“. Andersherum ausgedrückt, so folgerte die Österreichische Apothekerkammer, müsse es überall in Österreich möglich sein, die Personengrenze von 5500 im Rahmen der Bedarfsprüfung unter bestimmten Bedingungen zu unterschreiten.

Apothekengesetz wieder angepasst

Daraufhin musste das heimische Apothekengesetz erneut nachgebessert werden. Nun darf die Grenze immer dann unterschritten werden, „wenn es aufgrund besonderer örtlicher Verhältnisse im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung unter Berücksichtigung des Versorgungsangebots durch bestehende Apotheken einschließlich Filialapotheken und ärztlichen Hausapotheken geboten ist“. Die Änderung ist am 7. Dezember 2016 in Kraft getreten.

Zu früh gefreut

Inzwischen hatten oberösterreichische Apotheker, die zunächst ebenfalls an der Bedarfsprüfung gescheitert waren, auf Geheiß des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich ihre beantragten Lizenzen erhalten, unter Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH. Nach „Wegfall“ der 5500er-Regel waren aus der Sicht des Gerichts alle sonstigen Voraussetzungen im Rahmen der Bedarfsprüfung gegeben und die Anträge somit positiv zu bescheiden. Der österreichische Verwaltungsgerichtshof sieht das allerdings anders. Ein Apotheker hatte sich über eine außerordentliche Revision beim VwGH gewehrt und bekam Recht. Mit einem Urteil vom 29. März 2017 (Ra 2016/10/0141), das jetzt in der Tiroler Zeitung aufgegriffen wurde,  erachtet er die Entscheidung als rechtswidrig und hebt sie auf. Der VwGH ist der Auffassung, dass die Rechtsprechung des EuGH nicht etwa die Prüfung des Bedarfs als solche als unionrechtswidrig erachtet, sondern lediglich das zahlenmäßig starre Ausschlusskriterium. Das Verfahren sei fortzusetzen, und die Apothekerkammer müsse, wie nach dem Apothekengesetz vorgesehen, ein Gutachten dazu erstellen.

EuGH-Entscheidung kann nicht direkt angewendet werden

Keinesfalls sei die Entscheidung des EuGH unmittelbar in Österreich anzuwenden gewesen, meint der VwGH, denn es habe sich um ein Verfahren mit reinem Inlandsbezug gehandelt. Da sei die Meinung des EuGH lediglich als „von Nutzen“ für die Entscheidungsfindung einzustufen. Außerdem habe ein „erhebliches öffentliches Interesse“ daran bestanden, dass die österreichischen Bestimmungen für Apotheken bis zu einer Neuregelung bestehen bleiben. Diese sei ja dann im Dezember 2016 auch gekommen. Die mögliche „inländerdiskriminierende“ Wirkung einer Norm sei während des Zeitraumes zwischen der Fällung eines EuGH-Urteils und der gesetzlichen Neuregelung angesichts eines erheblichen öffentlichen Interesses sachlich zu rechtfertigen und müsse daher hingenommen werden.

Fazit: Die Apothekerkammer hat den schwarzen Peter

Um der Rechtsprechung des EuGH Rechnung zu tragen, müssen die Behörden in Österreich in jedem einzelnen Fall prüfen, ob besondere örtliche Verhältnisse vorliegen, die ein Unterschreiten der Grenze von 5500 zu versorgenden Personen bei den Nachbarapotheken rechtfertigen und die Entscheidung entsprechend begründen. Der Gebietsschutz für Apotheken besteht weiter, könnte damit aber nach und nach aufgeweicht werden. Den schwarzen Peter hat die Apothekerkammer, die den Bedarf neuer oder erweiterter Abgabestellen nach dem Apothekengesetz im Einzelfall begutachten muss.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

EU

von Dr. Schweikert-Wehner am 24.05.2017 um 10:31 Uhr

Tapfer kämpft der Alpenmann, denn Gehorsam ist nur des deutschen Wahn.

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