Heimversorgung BVKA Mainz 2017

Antikorruptionsgesetz – wo endet die Kooperation und beginnt die Korruption?

Mainz / Stuttgart - 20.05.2017, 09:00 Uhr

Antikorruptionsgesetz: Soll Bestechung im Gesundheitswesen verhindern. Nicht immer trennscharf sind die Grenzen zwischen Kooperation und Korruption. (Foto: Bits ans Splits / Fotolia)

Antikorruptionsgesetz: Soll Bestechung im Gesundheitswesen verhindern. Nicht immer trennscharf sind die Grenzen zwischen Kooperation und Korruption. (Foto: Bits ans Splits / Fotolia)


„Am  4. Juni 2016 in Kraft getreten, gab es  bislang keine Verurteilungen nach dem neuen Korruptionsstrafrecht“, sagt Dr. Klaus Peterseim vom BVKA. Spurlos ist das Antikorruptionsgesetz dennoch nicht an den Heilberuflern vorbeigezogen. Etablierte Kooperationen werden plötzlich als toxisch wahrgenommen. Wird interprofessionelles Zusammenarbeiten politisch gewünscht und gefordert –  im Sinne der Patientensicherheit – gilt es hierbei das Strafrecht sicher zu umschiffen.

„Korruptionsdelikte sind Tandemdelikte, zur Bestechung gehören immer zwei, ein Vorteilsnehmer und ein Vorteilsgeber“, so griffig formulierte es Professor Dr. Hendrik Schneider bei der Jahrestagung des Bundesverbands klinik-und heimversorgender Apotheker (BVKA) diese Woche in Mainz. Das klingt zunächst einmal einleuchtend. Dies hatte im Juni 2016 sogar einen gesetzlichen Boden erhalten – in §299 a und b Strafgesetzbuch (StGB), Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen.  

Wo endet eine – politisch gewünschte und pharmazeutisch-medizinisch in manchen Bereichen durchaus sinnvolle – Kooperation und beginnt die Grenze, an der diese Zusammenarbeit nach Korruption riecht? Seit vergangenem Jahr erfordert „rechtssicheres Navigieren einen höheren Prüfaufwand“, erklärte Schneider, der den Lehrstuhl für Strafrecht an der Universität Leipzig innehat. Doch dieses Navigieren gestaltet sich offenbar nicht ganz trivial. Denn die Grenzen zwischen Kooperation und Korruption sind derzeit nicht trennscharf, was die Situation nicht gerade erleichtert. Wie wirkt sich das auf die Apotheker und die anderen Heilberufler in der Bundesrepublik aus?

„Es kommt zu einer Neukriminalisierung von Sachverhalten“

„Unklarheit und Furcht besteht bei vielen Kooperationen“, sagt Schneider. Heilberufler befänden sich in einer Art Ausnahmezustand, vergleichbar „einer Römischen Legion in Schildkrötenformation“ – zwar sehr effektiv, Angriffe abzuwehren, aber im Gegenzug auch sehr träge und langsam im Vorankommen. So lautet Schneiders Zwischenfazit nach fast einem Jahr Antikorruptionsgesetz: „Keiner weiß so richtig, wie § 299 a/,b auszulegen ist“. Zwar hat es bis dato keine Verurteilungen nach der neuen Rechtsprechung vom 4. Juni 2016 gegeben. Dennoch habe das Antikorruptionsgesetz einen „scharfstellenden Effekt“, wie sich Schneider ausdrückt. Die Sensibilität für das Thema Korruption sei gestiegen, man habe es vor dem Hintergrund des Antikorruptionsgesetzes nun mit einer Neukriminalisierung von Sachverhalten zu tun: Bislang gewünschte Kooperationen mit Heimen „wüerden als „toxisch“ wahrgenommen“ und man beginne mit den §§ 299 a/b nun darüber nachzudenken, ob bestimmte Handlungen anstößig seien. Der Vorsitzende des BVKA, Dr. Klaus Peterseim, positioniert sich hier klar: „Wir möchten, dass pharmazeutische Dienstleistungen nicht in den Geruch solcher Dinge fallen“.

Damit ein Korruptionsdelikt als Straftat eingestuft wird, müssen folgende Tatbestandsmerkmale vorliegen – und zwar alle. Das betont Schneider. Welche das sind, erklärt er anhand einer Tabelle.

Tatbestandsmerkmale Quelle: Dr. Hendrik Schneider, Leipzig
  § 299a Vorteilsnehmer 

§ 299b Vorteilsgeber

Wer kann Täter sein?

Angehöriger eines Heilberufs,

z.B.: Arzt, Pflegekraft, MFA, PTA

Jedermann,

z.B.: kaufmännischer GF des Klinikums
beim Abschluss von Kooperationsverträgen
mit niedergelassenen Ärzten

Womit wird bestochen? Vorteil: Leistung, auf die der Angehörige des Heilberufs keinen Anspruch hat und die seine
Lage verbessert.
Tatbestands-mäßiges
Marktverhalten

Verordnung von Arzneimitteln, Hilfsmitteln und Medizinprodukten
(§§ 299a Nr. 1, 299b Nr. 2 StGB)

Bezug NUR, wenn diese zur unmittelbaren Anwendung durch den HCP bestimmt sind
(§§ 299a Nr. 2, 299b Nr. 2 StGB)

Zuführung von Patienten (§§ 299a Nr. 3, 299b Nr.3 StGB)

Tathandlungen

Fordern,

sich Versprechen lassen,

Annehmen (des Vorteils)

Anbieten,

Versprechen,

Gewähren (des Vorteils)

Gegenleistung des Bestochenen Unlautere Bevorzugung  im Wettbewerb = Unrechtsvereinbarung
Vorsatz Der Bestochene muss wissen, dass er einen Vorteil erhält.

Anhand dieser Tatbestandsvoraussetzungen stellt der Strafrechtler eine Strategie zur effektiven Verteidigung vor – „Three Lines of Defense“. Was müssen sich Apotheker also fragen, bevor sie Kooperationen eingehen?

Hat der Kooperationspartner, wohlgemerkt ein Heilberufler, einen Vorteil? Wie sieht das marktübliche Verhalten aus? Und ergibt sich durch die Kooperation eine unlautere Bevorzugung im Wettbewerb? Diese Matrix – Vorteil, Marktverhalten, Unrechtsvereinbarung – müsste bei Apothekern stets im Hintergrund laufen. „Die Fettnäpfchen gehören zu ihrem Know-how“, mahnt Schneider.

Antikorruptionsgesetz schützt Patienten

Kommt ein Vorteil ausschließlich dem Wohle des Patienten zugute, so sei dies nicht strafbar – wenn beispielsweise Arzneimittel dem Patienten gebracht würden, um diesem Wege zu ersparen. Denn Voraussetzung für die Vorteilsnahme einer Person, ist deren Zugehörigkeit zu einem Heilberuf. „§ 299 a/b will als Rechtsreflex den Patienten schützen“, betonte der Jurist. Bekomme allein der Patient einen Vorteil, dann sei dies keine Straftat.

Wie sieht es nun im Falle einer patientenindividuellen Verblisterung aus? Als triftiges Argument für einen sich daraus ergebenden Vorteil des Patienten ließe sich doch die Erhöhung der Arzneimitteltherapiesicherheit ins Feld führen. Das große „Aber“ folgt allerdings auf dem Fuße – wird der Einrichtung die Verblisterung von der Apotheke kostenlos angeboten, so erweitert sich der Begünstigtenkreis der Vorteilsnehmer plötzlich um weitere Spielfiguren. Denn die Kostenersparung für das Heim – schließlich entfällt für das Pflegepersonal das Stellen der Arzneimittel, was personelle Ressourcen schafft – gewährt einen zusätzlichen Vorteil auf anderer Ebene.

Und wenn der Patient nun einwilligt, dass die Apotheke seine Arzneimittel verblistert liefert? Selbst hier könne die kostenlose patientenindividuelle Verblisterung zum Streitpunkt werden. Durch das Einverständnis des Patienten ist zwar die freie Apothekenwahl (§ 11 Apothekengesetz) berücksichtigt. Hinsichtlich des Antikorruptionsgesetzes sei dies allerdings zu kurz gedacht. Warum? Prof. Schneider erklärt: „Die Gegenleistung ist die Bevorzugung im Wettbewerb, nicht das Zuführen von Patienten“. Will also ein Heim einen Versorgungsvertrag abschließen und würde unter den potenziellen Versorgern diejenige Apotheke den Zuschlag bekommen, die als einzige die Verblisterung unentgeltlich als zusätzliche Leistung anbietet, handele es sich um Vorteilsnahme. Um das Berufsrecht ist es in diesem Punkt ebenfalls heterogen bestellt. So erwähnt Baden-Württemberg kostenloses patientenindividuelles Verblistern explizit als unlautere Zuwendung. Entlastet dies dann automatisch alle anderen Bundesländer? Schneider meint: Nein.

Ist die gesparte Briefmarke ein Bestechungsaufwand?

Nicht klar definiert sind auch die Marktverhaltensnormen: Könnten sich entsprechende Handlungsweisen nicht im Laufe der Zeit eingebürgert haben, die man als allgemeine Marktverhaltensnormen bezeichnen könnte? Zum Beispiel: Rezepte für Heimbewohner. Nicht selten holt die Apotheke diese im Auftrag des Heimes bei der Arztpraxis ab – oder bei den Arztpraxen. Der Vorteil für das Heim? Es spart hierdurch die Briefmarke für den Versand der Rezepte oder einen Boten, um die Rezepte der Bewohner in die Apotheke zu bringen.

Was liegt vor? Ein Bestechungstatbestand? Oder ist es Marktverhaltensnorm? Schließlich ist dieser Service für viele Apotheken mittlerweile normal. Bei der unlauteren Bevorzugung im Wettbewerb sei sicher auch die Relevanz des monetären Vorteils von Relevanz, erklärt Schneider hierzu. Hier sei sicher noch viel Aufklärungsarbeit vonnöten, die die Grenzen der neuen Korruptionstatbestände klar stelle. „Hier entsteht lokales Strafrecht, mit zum Teil abenteuerlichen Rechtsvorstellungen“ und einem unkalkulierbaren Ermittlungsrisiko. Ein solches Ermittlungsverfahren sei letztlich allerdings bereits „Degradierungszeremoniell par excellence“, Ziel müsse es sein, das Risiko für ein solches so gering wie möglich zu halten.

Doch: Antikorruptionsgesetz als Chance nutzen

Einen ganz anderen Blick auf die sich eröffnenden Optionen im Zuge des Antikorruptionsgesetzes wagt Michael Marxen, Schatzmeister des BVKA. Er findet, Apotheker sollten „die Beschränkung des Antikorruptionsgesetzes nutzen, um den Quatsch zu lassen, Taxidienste zu übernehmen“. Mit dem aktuellen Status quo – dass Apotheke den Heimen den Boten ersetzten, denn das Versenden von Rezepten per Post dauert zwei Tage – sei man weit weg von Bagatellsituationen.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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